Im Gespräch: Regisseur Udi Aloni (Art/Violence)
Spielart Festival 2013

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Ein Schritt vorwärts, ein Schritt zurück – seit vielen Jahren schon ist der Nahostkonflikt ein Dauerthema in News und Politsendungen. Gerade auch, weil sich dort nichts bewegt, haben die meisten Bewohner dort längst die Hoffnung auf ein normales und würdiges Leben aufgegeben. Um ihnen diese zurückzugeben und mit künstlerischen Mitteln gegen Gewalt zu protestieren, gründete Juliano Mer-Khamis das Freedom Theatre in der palästinensischen Stadt Jenin. Nachdem Juliano von Unbekannten ermordet wurde, stellten seine Freunde und Kollegen Udi Aloni, Batoul Taleb und Mariam Abu Khaled einen Dokumentarfilm über ihn das Theater zusammen. Art/Violence, wie der Film heißt, haben wir euch vor einigen Wochen schon vorgestellt (>> klick).

Zusammen mit Looking for Jesus von Katarzyna Kozyra wird Art/Violence am Mittwoch im Ampere gezeigt. Schon vorab hatten wir die Gelegenheit, Regisseur Udi Aloni einige Fragen zu stellen.

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Warum hast du dich entschieden, bei „Art/Violence“ Regie zu führen?
Anders als bei meinen sonstigen Filmen gab es hier nie eine klare Entscheidung. Bevor Juliano ermordet wurde, arbeitete ich mit ihm an einem neuen Spielfilm „Antigone in Jenin Refugee Camp“. Nebenher fingen wir an, mit Batoul und Mariam, zwei seiner talentiertesten Schülerinnen, einen Dokumentarfilm zu drehen. Anfangs sollte diese Dokumentation eher humoristisch sein, bis dann Juliano ermordet wurde. Nach diesem Mord begannen Mariam, Batoul und ich, an dem Stück „Warten auf Godot“ zu arbeiten. Das war unsere Art, um Jul zu trauern. Wir nahmen dann einfach weiterhin alles auf, was wir taten. Schritt für Schritt und nach endlosen Hindernissen und Blockaden, entschieden wir uns dann, einen Film daraus zu machen. Unser Film sollte nicht „der“ Film über Juliano werden – der muss erst noch gedreht werden – sondern eher darüber, wie wir sein Vermächtnis fortgeführt haben. Der Film betont unsere Liebe fürs Theater, für Frauenrechte in Palästina und unseren Widerstand gegen eine Besatzung und jede Form von Unterdrückung.

Wie bist du denn zu dem Freedom Theatre gekommen?
Nachdem ich Julianos Film „Arna’s Children“ gesehen habe und er meinen „Forgiveness“, entwickelten wir beide Respekt für die Arbeit des anderen. Als Jul sein Freedom Theatre eröffnete, organisierte ich eine Gruppe von Israelis aus Tel Aviv, um am Eröffnungstag dabei zu sein. Ich war extrem beeindruckt von dem Projekt, das Juliano da auf die Beine gestellt hatte. Also schrieb ich eine Titelgeschichte über ihn in „Time Out Tel Aviv“. Einige Jahre später sagte er zu mir, dass er bereit wäre, jemandem wie mir die schnell wachsende Multimediaabteilung des Freedom Theatres zu übergeben. Zuerst kam ich für nur drei Tage als eine kurze Testphase. Aber nach den drei Tagen war es klar, dass die Chemie zwischen Juliano, seinen Schülern und mir einfach stimmte. Wir beschlossen, dass ich bleiben und mich auf drei Sachen konzentrieren würde: die Multimediaabteilung, die Filmschule und zusammen mit Jul der Spielfilm „Antihone in Jenin Refugee Camp“.

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Was hat dich dazu bewegt zu bleiben? Was genau hoffst du, mit dem Theater zu erreichen?
Ich glaube, dass militante Kunst die Kunst der Schwachen ist. Derjenigen, die kaum in der öffentlichen Wahrnehmung existieren. Bei militanter Kunst geht es mehr um das Präsentieren, weniger um das Repräsentieren. Die etablierte Kunst, die ich früher gemacht habe, repräsentierte einen existierenden Rahmen, der schon eine Ideologie und ein Publikum hatte. Bei der Erschaffung von militanter Kunst in Jenin haben wir ebenfalls ein Publikum und einen Rahmen für diese Kunst geschaffen. Wir fühlten, dass diese Erfahrung nicht nur Jenin, nicht nur das Westjordanland, sondern auch die gesamte palästinensische Gesellschaft in Israel und den besetzten Gebieten beeinflussen würde.

Denkst du wirklich, dass Kunst die Welt verändern kann?
Das weiß ich selbst nicht, aber sie kann ihr auf jeden Fall eine Bedeutung geben. Ich glaube auch, dass wenn Juliano nicht ermodert worden wäre, unsere militante Kunst vielleicht nicht die Welt verändert hätte, aber zumindest die Kunst, so wie wir sie kennen.

Im Film bringt ihr drei internationale Klassiker auf die Bühne: „Alice im Wunderland“, „Warten auf Godot“ und „Antigone“. Wie sind die drei relevant für eure Sache?
„Alice im Wunderland“ wurde gemacht, als Jul noch am Leben war. Er suchte es aus und führte Regie. Es war ein Stück voller Optimismus, Freude und Liebe fürs Theater. Sein Ziel war, dass Menschen nach Jenin kamen, um es zu sehen. Bei „Warten auf Godot“ war das ganz anders. Das wurde erst nach dem Mord gemacht. Es ist ein Stück über Schwache, über die Wiederholung von Leere und Depression. Und doch lässt die Schönheit des Stücks und die Momente voller Würde zwischen den Protagonisten eine Hoffnung inmitten dieses fortlaufenden Pessimismus entstehen. Und nach dem Mord war diese Hoffnung das maximal Mögliche. Der letzte Teil unserer Trilogie, „Antigone“, ist eine Art Echo unserer Hommage an den gemeinsamen Traum. Wir wollten verstehen, wie Antigone an einem Ort wie dem Flüchtlingslager funktionieren könnte, wo es keinen Creon gibt, gegen den man rebellieren könnte. Keine Vaterfigur, die sich trotz all seiner Grausamkeit überhaupt interessiert.

Aber warum diese drei Klassiker und keine Stücke von lokalen Schriftstellern?
Ich habe zwei Antworten auf diese Frage. Die erste ist, dass wenn ich als Israeli Kunst schaffe, mich niemand fragt, warum ich von Shakespeare oder Beckett beeinflusst werde. Die Forderung der liberalen Linken in Europa nach der Authentizität der Palästinenser ist selbst schon ein Problem. Die andere Antwort ist, dass das Freedom Theatre mehrere palästinensische Stücke aufgeführt hat, darunter eins von Kanafani. Mahmoud Darwish und die palästinensiche Hip-Hop-Gruppe DAM sind sehr präsent im Film. Aber „Alice im Wunderland“ und „Antigone“ sind Klassiker, die speziell umgearbeitet wurden, um lokale Geschichten zu erzählen, die selbst schon palästinensische Stücke sind. Bei „Warten auf Godot“ war es wichtig für uns, ein universelles Stück aufzuführen, genau so, wie es geschrieben wurde, um die universellen Werte des Theaters zu ehren.

Ist Kunst denn universell verständlich?
Wie Juliano im Film erklärt, ist die Alice aus unserer Adaption von „Alice im Wunderland“ auf der einen Seite ein Mädchen, das für seine Unabhängigkeit kämpft, und auf der anderen Seite der Geist des Arabischen Frühlings.

Jetzt, wo der Film abgeschlossen ist, was sind deine nächsten Projekte?
Ich arbeite an einem neuen Spielfilm zusammen mit meinem Freund Tamer Nafar und dem renommierten Drehbuchautor Oren Movermann. Er hat den Arbeitstitel „The Last Verse“ und basiert auf der wahren Geschichte eines berühmten palästinensischen Hip-Hop-Künstlers aus Lod. Das ist eine gemischt palästinensisch-jüdische Stadt und eine der ärmsten Gegenden in Israel.

Spielart Festival >> Zusammen mit Looking for Jesus von Katarzyna Kozyra wird Art/Violence am Mittwoch im Ampere gezeigt 20. November

Beginn: 21 Uhr // Muffatwerk, Ampere // Kombiticket für beide Filme: 8 Euro (ermäßigt 4 Euro)

Das Interview führte Oliver Armknecht.