nebraska Rezension curt München

Auf DVD/Blu-ray: Drama-Special

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Dramen sind viel zu theatralisch oder kitschig? Nicht unbedingt. In unserem neuesten Special präsentiert euch curt gleich fünf Genrevertreter, die trotz – oder auch wegen – ihrer ruhigen, manchmal spröden Art für Filmfans einen Blick wert sind.


„Nebraska“

Wie heißt es so schön, seine Familie kann man sich nicht aussuchen. Wenn dem so wäre, David hätte sicher einen Antrag auf Wechsel gestellt. Mutter Kate ist im Alter kein bisschen milder geworden ist, macht immer noch jeden zur Schnecke, der ihr in den Weg kommt. Darunter hat dann vor allem ihr leicht demenzkranker Ehemann Woody zu leiden. Da er aufgrund seiner Gutgläubigkeit zudem schon immer ein leichtes Opfer war, kann er auch gar nicht verstehen, dass ein vermeintliches Gewinnerlos für eine Million Dollar in Wahrheit nicht mehr als ein Werbeprospekt ist. Alle Versuche, ihm diesen Traum auszureden, scheitern. Als es David irgendwann reicht, verspricht er seinem Vater, mit ihm die 900 Meilen lange Reise anzutreten.

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Es wäre ein Leichtes gewesen, aus Woody einen liebenswürdigen Trottel zu bauen. Aber „Nebraska“ geht hier bewusst nicht den naheliegenden Weg. Bis zum Schluss ist der latente Alkoholiker nicht unbedingt der Sympathieträger. Aber auch nicht der selbstbezogene Tyrann, den man anfangs vermutet, sondern ein Mann mit einfachen Sehnsüchten. Wenn dieser mit der Zeit hinter den Falten und dem unflätigen Verhalten hervortritt, er und David sich erstmals etwas annähern, nimmt das Familienporträt eine deutlich wärmere Haltung ein. Die Aufarbeitung der Vergangenheit spielt sich auch in der Umsetzung wieder, erzählt wird der Film in ausdrucksstarken Schwarz-Weiß-Bildern. Dazu passend komponierte Mark Orton einen Score, schlicht, wehmütig und bewegend.
Wertung: 8 von 10

Regie: Alexander Payne; Darsteller: Bruce Dern, Will Forte, June Squibb, Bob Odenkirk; VÖ: 30. Mai 2014

„Kill Your Darlings – Junge Wilde“
1944, der junge Allen Ginsberg hat gerade sein Studium an der Columbia University in New York begonnen, als er dem rebellischen Kommilitonen Lucien Carr über den Weg läuft. Der ist selbstbewusst an der Grenze zur Arroganz, gut aussehend und immer daran interessiert, mit Allen und den beiden Autoren William Burroughs und Jack Kerouac Staub aufzuwirbeln. Das gelingt ihm auch ganz gut, die Uni hat er schon mehrfach wechseln müssen. Und auch bei Allen hinterlässt er bleibenden Eindruck. Doch leider nicht nur bei ihm, denn der Ex-Professor David Kammerer hegt ebenfalls Gefühle, was zu einer Menge Spannungen führt. Und die entladen sich in einem blutigen Tod gleich zu Beginn des Films. Danach wird in einer Rückblende erzählt, wie die Jungs sich kennenlernten und auch, wie es zu der Eingangsszene kam.

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Auch wenn der Anfang darauf schließen lässt, von einem Thriller hat der Film im weiteren Verlauf nur wenig. Im Mittelpunkt steht vielmehr vor allem das komplexe Verhältnis zwischen dem zurückhaltenden Allen Ginsberg und dem bewusst provozierenden Lucien Carr. Ein wirklicher Aufreger ist „Kill Your Darlings – Junge Wilde“ nicht, dafür ist das Tempo zu gemächlich und gleichmäßig. Hin und wieder wird der ruhige Fluss des Films zwar schon unterbrochen, zum Beispiel wenn sich die Gruppe mal wieder Drogen eingeworden hat. Doch das eigentliche Ziel des Biopics war es, die Stimmung der 1940er einzufangen, als eine lose Clique ambitionierter Schreiberlinge gezielt Grenzen suchte, um sie zu übertreten. Und das ist Regisseur John Krokidas absolut gelungen.
Wertung: 7 von 10

Regie: John Krokidas; Darsteller: Daniel Radcliffe, Dane DeHaan, Michael C. Hall, Jack Huston, Ben Foster; VÖ: 22. Mai 2014

„Le Weekend“
Das verflixte 7. Jahr haben sie schon lange hinter sich, seit nunmehr 30 Jahren sind Nick und Meg bereits verheiratet. Ob das jedoch ein Grund zum Feiern ist? Wenn sie sich etwas zu sagen habe, dann umfasst das oft Kritik, mindestens aber Genörgel. Um vielleicht doch noch zueinander zu finden, beschließt das britische Pärchen ein Wochenende in Paris zu verbringen – dort, wo sie seinerzeit ihre Flitterwochen verbracht haben. Doch die geplante Auffrischung droht in einem Desaster zu enden: Mittlerweile wird die Stadt von Touristen überrannt, die Preise sind unbezahlbar, ihr damaliges Hotel nur noch eine Bruchbude. Dann aber laufen sie zufällig Morgan über den Weg, ein alter Freund von Nick, wodurch die Reise eine etwas unerwartete Richtung einschlägt.

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Spektakuläres gibt es hier nichts, stattdessen wird die Geschichte eines Paares erzählt, das vielleicht länger zusammen war, als es ihnen gut getan hat. Manchen wird das nicht reichen, gerade die erste Hälfte des Films ist trotz diverser bissiger Dialoge doch sehr ruhig geworden. Anderen wird das leise Dahinplätschern dagegen aus der Seele sprechen, denn hier wird thematisiert, was sicher in den meisten langjährigen Ehen irgendwann durch den Kopf schwirrt: Warum sind wir eigentlich noch zusammen? Manchmal droht das Drama bei seinem Versuch der Authentizität zwar in die Belanglosigkeit abzugleiten, wird aber immer wieder von humorvollen Szenen und vor allem den beiden Hauptdarstellern Jim Broadbent und Lindsay Duncan gerettet.
Wertung: 7 von 10

Regie: Roger Michell; Darsteller: Jim Broadbent, Lindsay Duncan, Jeff Goldblum; VÖ: 28. Mai 2014

„Scherbenpark“
Manchmal denke ich, ich bin die einzige in unserem Viertel, die noch Träume hat. Ich hab zwei: Ich will meinen Stiefvater Vadim töten. Und ich will ein Buch schreiben über meine Mutter.“ Ganz alltäglich sind diese Träume nicht. Wer aber den Alltag von Sascha Naimann kennt, der versteht warum. Seitdem ihre Mutter erschossen wurde, muss sich die 17-Jährige alleine mit ihren beiden jüngeren Halbgeschwistern durchschlagen. Das ist nicht ganz einfach, denn der Plattenbau „Scherbenpark“, in dem sie wie so viele andere Exilrussen leben, ist geprägt von einem gewaltsamen Umgang und Perspektivlosigkeit. Erst als sie Chefredakteur Volker und Sohn Felix kennenlernt und vorübergehend bei ihnen einzieht, darf sie einen Blick auf eine ganz andere, vermeintlich bessere Welt werfen.

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„Scherbenpark“ ist aber keine reine Milieustudie zu der Lebenssituation von Russlanddeutschen oder dem Alltag in Plattenbauten. Später wird mindestens ebenso viel Zeit auf die ersten sexuellen Erfahrungen von Sascha verwendet und die komplizierte Beziehung zu Felix. Von da an läuft die Geschichte jedoch ein wenig aus dem Ruder. Nicht nur die junge Heranwachsende ist auf der Suche nach Orientierungspunkten, der Film wandert ebenso ziellos herum. Erschwerend kommt hinzu, dass Sascha bis zuletzt ungreifbar bleibt, viel mehr als ihre Wut bekommen wir nicht von ihr zu sehen. Die ist dafür sehr sehenswert geworden, wenn Hauptdarstellerin Jasna Fritzi Bauer durch die Landschaft zetert und spuckt, sich wirklich mit jedem anlegt, der ihr vor die Füße läuft.
Wertung: 6 von 10

Regie: Bettina Blümner; Darsteller: Jasna Fritzi Bauer, Ulrich Noethen, Max Hegewald, Vladimir Burlakov, Maria-Victoria Dragus; VÖ: 23. Mai 2014

„All Is Lost“
Ein verlorener Container, gefüllt mit Turnschuhen. Das war es. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, davon mitten auf dem Meer gerammt zu werden, während man gerade schläft? Und dass er genau die Stelle erwischt, wo das Funkgerät war? Nicht sehr hoch, so viel ist klar. Aber Wahrscheinlichkeitsrechnung bringt den unglücklichen Segler auch nicht weiter. Erst mal heißt es, die undichte Stelle zu flicken und das Wasser aus dem Boot zu schöpfen. Das gelingt ihm auch, doch das nächste Unglück in Form eines Sturms naht. Und plötzlich muss der Mann jenseits der 70 ganz alleine um sein Überleben kämpfen.

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Im Vergleich zu ähnlichen Filmen wie „Life of Pi“ verzichtet „All Is Lost“ auf das große Spektakel. Fluoreszierende Quallen sucht man ebenso vergebens wie nervenzerreibende Haiattacken. Auch sonst gibt es hier keinen schmückenden Ballast. Die Vorgeschichte bleibt unerzählt, wir wissen nicht, wer der Segler ist, kennen nicht einmal seinen Namen. Dass der Film fast völlig ohne Sprache arbeitet, hilft ebenfalls nicht, einen Blick hinter die zerfurchte Fassade des Seglers zu erhaschen. Und doch ist „All Is Lost“ genau wegen dieser spröden Herangehensweise lohnenswert – und natürlich für Robert Redford, der mit seinem stillen, intensiven Spiel den existenziellen Kampf zwischen Mensch und Natur greifbar macht; die kleine, unbedeutende Kreatur gegen die übermächtige Gewalt des Meeres.
Wertung: 7 von 10

Regie: J. C. Chandor; Darsteller: Robert Redford; VÖ: 23. Mai 2014

TEXT: Oliver Armknecht