© Christin Büttner

BIG SKIES: Der Himmel
tut sich auf

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Am 19. September fand in der Südstadt in München etwas angenehm Untypisches statt. Mehr oder minder im Geheimen spielten nach der Vorband A FISH CALLED LOUIS (melodiöser belgischer Folk) vier Wahlberliner, die auf kleinster Bühne eine ganz große Show brachten. BIG SKIES – eine Band, die dringend größere Bühnen braucht, obwohl die Atmosphäre in der Südstadt die weitaus angenehmere ist.

Big Skies Band
Big Skies on small stage
© Christin Büttner

Sänger JIM CUBITT hatte Mühe, nicht an der Decke anzustoßen, wenn er die Arme hob. Schlagzeuger ALEX CUMMING schmiegte sich an die Wandleuchte in seinem Nacken geradezu graziös an. JACK WHARTON hantierte geschickt mit dem Mikro, das er über einen Verstärker gehängt hatte, der wohl zwei Aufgaben gleichzeitig zu erfüllen hatte. Und ADAM NEAL quetschte sich im letzten Augenblick noch mit dem Handy an der Backe – „Not now. I need to get on the stage“ – auf die letzten unbesetzten Quadratzentimeter Bühne. Die Show war großartig: zwei Zugaben und eine Schlussverbeugung. Wie nach einem Shakespeare-Drama.

Big Skies Band
Sänger Jim Cubitt
© Christin Büttner

Und last but not least: curt hatte die Gelegenheit zu einem Interview.

Die offizielle Bandgeschichte auf der offiziellen Band-Seite klingt wie ein Märchen: Drei Freunde aus London treffen sich im Pub. Und weil sie nichts Besseres vorhaben, wandern sie schnell mal nach Berlin aus.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, England zu verlassen?
JIM: Ich wohnte in einem Vorort südlich von London, ziemlich weit draußen. Adam und Jack hatten eine gemeinsame Wohnung in Ost-London. Als die beiden von einem Job als DJ aus Berlin zurückkamen, trafen wir uns in einem Pub. Sechs Wochen später waren wir weg.
JACK: Raus aus den Schulden. Wir hatten eine viel zu teure Wohnung.
ADAM: Und wir hatten Mäuse in unserer Wohnung. Die haben wir dann dort gelassen.
JACK: Das waren keine sechs Wochen, höchstens drei, bis wir weg waren. Wir teilten uns dann ein Zimmer in einer Wohnung in Kreuzberg. Das war unsere erste gemeinsame Bleibe.
Es war eine Drei-Zimmer-Wohnung, wobei wir zu dritt ein Schlafzimmer teilten. Ich bekam das Doppelbett, Adam das Hochbett und Jim die Luftmatratze. Die Wohnung war fast leer, sodass wir da nicht viel machen konnten außer fernsehen oder Musik hören. Anfangs hatten wir einen Mitbewohner. Nach ein paar Monaten kam er um drei Uhr morgens rein und sagte: „You guys shut the fuck up!“ Dann war er über Weihnachten weg und kam nicht zurück. Dann hatten wir drei Zimmer.

Und dann habt ihr in Berlin Arbeit gesucht?
JACK: Nein, haben wir nicht. Schau, wir waren drei Leute in einem Zimmer. Die Miete war also billig. Alles was wir machten, waren Jobs als DJ, oder halt Gelegenheitsjobs. Es ging uns super gut.
ADAM: In den ersten sechs Monaten haben wir ganz schön gesoffen. Wir haben überhaupt kein Tageslicht gesehen. Wir sind weggegangen, morgens ins Bett gegangen und mitten in der Nacht aufgestanden.
JACK: Erinnerst du dich an den kalten Winter 2010? Wir kannten maximal Temperaturen um den Gefrierpunkt. Als wir Ende November in Deutschland ankamen, war es minus 20 Grad kalt – tagsüber! Wenn wir rausgingen, schrien wir „Aah“ vor Schmerz.
JIM: In den ersten drei Monaten haben wir nichts von Berlin gesehen. Es war immer dunkel. Wir konnten nirgendwo hingehen, weil wir die Straßenschilder nicht lesen konnten.
JACK: Aber zusammen zu wohnen hat Spaß gemacht. Wir haben uns immer „Gute Nacht“ gesagt. Wie bei den Waltons.

Und dann kam Alex …?
ALEX: Ich kam sechs Monate später in Berlin an. Die Jungs sind im Winter umgezogen und ich im Sommer. Ich war mit einer Band aus Kanada auf Tournee, bei der ich ganz Deutschland gesehen hatte. Die Band ist dann nach Kanada zurückgeflogen und ich bin geblieben. Ein paar Monate hab ich mich nach einem neuen Projekt umgeschaut und bin dann im Internet auf die Jungs gestoßen. Und so haben wir uns kennengelernt.
JIM: Dann ging es voran. Er hat uns angetrieben.

Warum bist du in Deutschland geblieben?
ALEX: Ich war in Kanada auf Tournee gewesen. Auch in den Staaten. Aber nie in Europa. Und als ich dann hierher kam, fand ich, dass die Behandlung, die du als Musiker in Deutschland erfährst, sich stark unterscheidet von allem, was ich vorher kannte. Es ist hier viel leichter, Musiker zu sein und was auszuprobieren.
ADAM: Glaub ich nicht.
JACK: Ja doch. Dir wird hier mit Respekt begegnet, wenn du auf Tournee bist. Vom Publikum und von den Veranstaltern auch. Sie sorgen für dich. Sie lassen dich nicht allein.
ADAM: Und geben dir Freibier.
JIM: Und ein Bett zum Schlafen.

Lebt ihr immer noch zusammen?
JACK: Nein, getrennt. Wir hatten uns satt. Sechs Monate in einem Zimmer heißt, dass du sechs Jahre keinen mehr sehen magst.

Dann verdient ihr jetzt viel Geld?
JACK: Nein, aber wir machen ein paar regelmäßige Veranstaltungen in Berlin. Eine Sache heißt „Rock ’n’ Roll Bingo“. Schon gehört? Eigentlich ist es eine Club Night und wir geben Bingotickets aus. Wir spielen Musik. Statt der Nummern auf dem Bingotickets stehen da Bandnamen. Wenn wir ein Lied spielen, machst du auf dem Bingozettel dein Kreuz bei der Band, von der es ist, Jim überprüft das auf der Bühne. Wenn du alle zehn Bands richtig ausgekreuzt hast, gewinnst du. Bingo! So was machen wir in Berlin. Als ich nach England zu meinen Eltern zurückkam und sie fragten: „Was macht ihr so in Berlin?“, hab ich geantwortet: „Bingo-Abende.“ (Anmerkung: Bingo wird in England gern von alten Leuten gespielt.)
JIM: Ich hab zufällig einen Kommilitonen aus Exeter in Berlin auf der Straße getroffen. Er hat gleich erzählt, was er so alles gemacht hat nach dem Studium. Und dann kam die Frage: „Und was machst du?“ – Ich: „Bingo-Abende.“

Wie ist das Leben in Deutschland?
JACK: Der Tag ist nicht lang genug für den ganzen Papierkram. Selbstständig sein ist wie eine Arbeit für sich. Wir haben echt versucht, mit dem Finanzamt zurechtzukommen. In Berlin ist das ein erschreckend riesiges Gebäude.
ALEX: Ich wohne mit meiner holländischen Freundin zusammen. Sie hat total schnell Deutsch gelernt. Sie hilft mir mit dem Papierkram. Und ich hab noch mehr davon, weil ich immer ins Ausländeramt muss. Das Ausländeramt ist der einzige Ort in ganz Berlin, wo du keinen findest, der Englisch spricht. Ich bin sechs Monate lang alle zwei Wochen hingegangen, um mein Visum zu bekommen. Dabei hab ich rausgefunden, dass die da alle wie Mütter sind.
JIM: Jetzt füttern sie ihn dort täglich.

Sicher habt ihr viel Besuch von Freunden aus London, die bei euch wohnen wollen?
JACK: Die ganze Zeit. Wir haben ja bekanntlich eine andere Trinkkultur in England. Die Freunde trinken sehr früh und viel. Und dann gehen sie früh ins Bett. Wenn also unsere Freunde da sind, dann nervt uns diese frühe Sauferei. Um Mitternacht sind sie entweder zu besoffen, um auszugehen, oder sie weinen schon oder streiten miteinander.
ALEX: Ich hab keine Probleme mit meinen kanadischen Freunden.
ADAM: Die sind gut ausgebildet in Kanada.

Was mögt ihr gar nicht in Deutschland?
JIM: Die Sprache.
JACK: Und das Essen. Wir wissen schon, dass das englische Essen nicht so toll ist. Aber wir sind es gewohnt. Manchmal vermissen wir eine Tasse Tee oder Roast Dinner am Sonntag.
ADAM: Roast Dinner – das vermisse ich sehr.
ALEX: Und ich vermisse Eishockey. Meine Mannschaft wird immer um drei Uhr morgens übertragen und ich kann nie ausgehen, weil ich auf die Spiele warten muss.
JIM: Und im Fernsehen wird kein Cricket gezeigt.
JACK: Und die Supermärkte sind sonntags nicht geöffnet. Dann hast du am Sonntag Morgen nichts zu essen und musst dir wieder einen Scheiß-Döner kaufen.
JIM: Ein riesiger Unterschied zu England ist, dass man sich hier überall total sicher fühlt. Du kannst frühmorgens heimgehen und nichts passiert.
JACK: Mir ist in drei Jahren hier nie was passiert.
ALEX: Auch ein ziemlicher Unterschied zu Kanada. Einmal bin ich heimgefahren und auf der Straße einem Bären begegnet. Das war mitten in der Stadt, sogar eine ziemlich große Stadt im Westen Kanadas. Ich wollte den Wildlife Service anrufen, damit die den Bären holen, aber keiner ist ans Telefon gegangen. In der Zwischenzeit war der Bär an den Mülltonnen.
Am nächsten Tag haben sie mir gesagt: „Wenn du Bären siehst, musst du nirgends anrufen, weil die nur an den Müll gehen. Aber bei einem Puma musst du uns informieren, weil die auf die Jogger losgehen.“ Die Pumas sind wie große Katzen. Die verfolgen die Leute und wenn du dich umdrehst, verstecken sie sich hinter einem Abfalleimer.
ADAM: Und killen dich.
ALEX: Die wollen nicht dein Geld und auch nicht deinen Scheiß. Die töten dich einfach.

Big Skies Band
© Christin Büttner

Was ist mit deutschem Humor?
JACK: Was ist das?

Tja, lassen wir also dieses Thema. Anderes Thema: Wart ihr schon mal bei deutschen Ärzten?
JIM: Ich schon, als ich eine schwere Grippe hatte. Ich war zehn Tage im Bett. Dann hat mir jemand eine Ärztin empfohlen und ich bin hingegangen. Die Ärztin war sehr nett und sagte: „Halte mal deine Hände auf.“ Dann hat sie Röhrchen mit Pillen in meine Hände gelegt. Dann versuchte sie, sie wieder meinen Fingern zu entreißen. Die, die hängen geblieben sind, waren dann die Pillen, die ich nehmen musste. Eine Heilpraktikerin. Es ging nur ums Chi und ich sagte: „Give me some drugs!“ Bei der Grippe hat sie mir nicht geholfen, aber ich denke, mein Chi ist jetzt gereinigt.
JACK: Ich hab mir einen Fuß angebrochen und bin dann zu einer deutschen Ärztin gegangen. War großartig. Sechs Wochen später ging ich zur Kontrolle in England zu einem Arzt und erzählte ihm, was die in Deutschland alles gemacht hatten. Er sagte: „Bisschen viel, oder?“ Und als ich dann noch sagte, dass sie in Deutschland zusätzlich Krankengymnastik verschrieben hatten, antwortete er: „Braucht es nicht. Du kannst ja gehen.“

Was bringt die Zukunft? Habt ihr schon Pläne, was die Musik angeht?
JACK: Wir nehmen im Januar ein Album auf und werden es im April rausbringen. Das ist der nächste Schritt. Wir sind ganz aufgeregt, was das nächste Jahr angeht.
JIM: Und wir machen noch eine Tournee im November.
JACK: Wir geben ein paar Konzerte in England. Manchester, London, Bristol, Reading und Bournemouth. Um England für das Album anzuheizen, weil wir dort das Album gleichzeitig mit Deutschland veröffentlichen werden. Es wird also eine gemischte Tournee. Deutschland und England.
JIM: Wir kommen vor Weihnachten auch noch einmal nach München.
JACK: Und Rock ’n’ Roll Bingo machen wir auch noch.

Hoffentlich auch bald in München. Wir freuen uns drauf. BIG SKIES mach BIG SPASS!

Danke für das Gespräch.
Das Interview führte Sonja Pawlowa.