Interview Burhan Qurbani curt München

Im Gespräch: Burhan Qubani

Wie konnte es 1992 zu den Anschlägen auf das Wohnheim von Asylanten in Rostock kommen? Diese Frage beschäftige nicht nur Politiker und Soziologen, sondern auch den deutsch-afghanischen Regisseur Burhan Qurbani. Seinen Film „Wir sind jung. Wir sind stark.“ haben wir euch im Rahmen unseres Kinoüberblicks bereits vorgestellt, heute kommt auch der Mann dahinter zu Wort.

Kannst du uns ein bisschen über dich erzählen? Wie bist du zum Filmemachen gekommen?
Wir mussten schon während der Schule berufsorientierte Praktika machen. Und in der 10. Klasse war ich im Staatstheater in Stuttgart. Meine Eltern kommen ja aus Afghanistan, da gehört es zum guten Ton, dass man Medizin oder Jura studiert. Und irgendwie hab ich für mich festgestellt, ich möchte mehr in Richtung Literatur oder Theater gehen. Dann wollte ich tatsächlich mehr Theaterdramaturgie machen. Ich war dann schon in Tübingen eingeschrieben für Literaturwissenschaften, Rhetorik und … das dritte habe ich vergessen.

Dann kann es ja nicht sehr spannend gewesen sein.
Ich war nur eingeschrieben, ich habe nicht einen Tag studiert. Gleichzeitig habe ich nämlich die Prüfung gemacht für die Filmhochschule und wurde angenommen, noch bevor das Studium los ging. Mein Originalzeugnis liegt heute noch in Tübingen.

Was gibt dir der Film, was dir die Literatur nicht gibt? Denn das war ja die Alternative.
Film ist intellektuell einfacher. Filmemacher sind einfacher gestrickt, das weißt du inzwischen vermutlich auch. Gleichzeitig ist Film ein audiovisuelles Medium und viel sinnlicher als Literatur. Du hast dort zwar das Kopfkino, aber den Zuschauer zu führen, ihn mit in die Emotionen zu nehmen und mit Musik zu arbeiten, mit Geräuschen, mit Bildern, mit gesprochener Sprache ein Thema zu vermitteln, das ist schon was anderes.

Und woher nimmst du diese Themen?
Das hab ich mich auch immer gefragt. Ich finde diesen Prozess super spannend, aber ich kann dir nicht sagen, wie das genau passiert. Es ist nicht so, dass ich auf dem Klo sitze und eine Epiphanie habe. Bei Rostock habe ich das Thema seit 92 nicht mehr aus meinem Kopf bekommen. Und irgendwann bin ich über einen Artikel mit dem Titel „Der angekündigte Progrom“ gestolpert, wo noch mal resümiert wurde über die Prozesse der Menschen, die damals beteiligt waren, und inwiefern das ein politisch gewollter Moment war. Der Artikel war der Anlass, mich näher damit zu beschäftigen. In meinem nächsten Film wird es um Asylsuchende gehen, die in Deutschland keine Lobby haben. Die klettern hier bei euch in München auf die Bäume, um zu bleiben oder ihre Rechte irgendwie laut zu machen. In Berlin treten sie in den Hungerstreik oder drohen, von Schulen zu springen, aber sie haben keine Stimme. Und wenn ich als Filmemacher emotional oder sensorisch oder dramaturgisch etwas bauen kann, was so jemandem eine Stimme gibt, dann finde ich das total spannend.

Wie war das, als du es damals von den Ausschreitungen erfahren hast?
Meine Eltern haben damals ein kleines Hotel geführt in Frankfurt und da lief im Aufenthaltsraum die ganze Zeit der Fernseher. Vier Tage lang haben diese Ereignisse stattgefunden und während dieser vier Tage war das einfach omnipräsent. Ich war damals elf Jahre also in  einem Alter, wo man gerade Mensch wird, ein „Ich“ wird. Und wenn man dann diese Bilder sieht, eben nicht von Glatzen, von Rechtsradikalen, von Leuten mit Hakenkreuzen, sondern von ganz normalen Jungs und Mädchen, die schimpfen und randalieren und ein Haus mit Leuten in Brand setzen, die genau wie ich Schlitzaugen und schwarze Haare haben, da fragt man sich natürlich: Was passiert da gerade in dem Land, in dem ich wohne?

Kannst du dir das heute mit mehr als 20 Jahren Abstand erklären, warum diese normalen Jugendlichen so gewalttätig wurden?
Nur zum Teil. Mein Film versucht aber auch nicht, etwas zu erklären, sondern beschreibt eine Situation, in der es passieren kann. Aber weil ich es nicht erklären kann, habe ich es erzählt. Weil ich es nicht verstanden habe, musste ich es dramatisieren. Aber ich bin kein Politikwissenschaftler. Wir Filmemacher sind nur bis zu einem begrenzten Grad intellektuell fähig.

Gut, darüber kann man sich auch unterhalten, ob das bei der Politik wirklich anders ist. Denkst du denn, dass sich etwas wie damals heute in der Form wiederholen könnte?
Das was gerade passiert, diese Islamphobie und dieses geballte, organisierte Auftreten von diesen Hooligans gegen Salafisten, bringt das einem schon erschreckend nahe. Wir haben diesen Film auch gemacht, weil wir es eben nicht beschränken wollten auf einen spezifischen Ort oder eine spezifische Zeit. Rassismus gibt es heute ja noch immer.

Hast du Rassismus eigentlich auch selbst erlebt in Deutschland?
Du kannst hier nicht 33 Jahre leben, ohne jemals eins aufs Maul zu bekommen oder alltäglichen Rassismus zu erfahren. Wenn die U-Bahn zum Beispiel vollgepackt ist, aber keiner setzt sich neben dich, weil du Ausländer bist. Es gibt aber auch Rassismus unter Ausländern. Die Araber hassen die Türken, die Türken hassen die Rumänen, die Rumänen haben keinen Bock auf die Sinti und Roma. Es ist ja nicht so, dass die Deutschen ein Exklusivrecht auf Rassismus haben.

Hast du das Gefühl, dass der Rassismus wieder stärker geworden ist in der letzten Zeit?
Ich merke das ja bei mir selbst. Mit ISIS, wo so viele Leute mit einem Kalifat liebäugeln, muss ich schon gestehen, wenn ich an Moscheen vorbeilaufe oder an jungen Männern, die in einer U-Bahn sitzen und im Koran lesen – die haben schon vor einem Jahr da gesessen und aus dem Koran gelesen, und ich bin ja selbst Moslem – aber natürlich kucke ich sie heute anders an. Und denke vielmehr: Okay, was ist das? Wohin führt das? Ist das jemand, der nur aus der Liebe zu Gott im Koran liest? Oder ist das jemand, der vor allem sieht, dass wir in einer dekadenten, verdorbenen Welt leben, und dass die gesäubert werden muss? Aber ich glaube, das ging uns nach dem 11. September auch so. Ich kann mich noch erinnern, ich bin ein halbes Jahr nach den Anschlägen in Stuttgart mit der U-Bahn gefahren, und da war ein Koffer. Wie oft Koffer vergessen werden in der U-Bahn. Ich war allein in der U-Bahn, und eine Station lang dachte ich, ich bin jetzt tot. Ich flieg in die Luft. Ein halbes Jahr vorher hätte ich mir in einer solchen Situation nichts gedacht. Das beweist, wie unsere Wahrnehmung durch das beeinflusst wird, was rund um uns herum passiert.

Aber von dieser Angst zu den Übergriffen überzugehen, das ist doch noch ein ganzer Schritt. Was müsste man denn tun, damit so was wie in Rostock nicht wieder passieren kann?
Man darf die Leute am rechten Rand nicht ignorieren. Man muss sie zurückholen in die Mitte und sie für voll nehmen. Das Schlimmste, was passieren kann, ist so was wie ein NPD-Verbot. Wenn man, wie ich heute gelesen habe, 500 Islamisten die Pässe wegnehmen will, damit sie nicht nach Syrien gehen und als Ultraradikale zurückkommen. Statt ihnen die Pässe wegzunehmen, sollte man lieber auf sie zugehen und fragen: Was ist denn in euren Gemeinden los? Warum habt ihr das Bedürfnis nach einer neuen Sinnhaftigkeit und nach Syrien zu gehen oder zum Islam zu konvertieren? Ich glaube, dass wir Neugierde haben müssen und eine Bereitschaft zu einem Dialog mit genau den Kräften, die wir eigentlich die ganze Zeit verteufeln. Es ist natürlich überaus schwer, bei einer Gesellschaft von 80 Millionen  jedes verlorene Schaf zurückzuholen. Aber dieser ganze Staat ist gegründet worden mit dem Holocaust im Rücken und auf der Idee, dass „die Würde des Menschen unantastbar ist, und sie zu schützen  die Aufgabe aller staatlichen Gewalten ist“. Und das heißt für mich eben auch, dass man sich vor allem um die Jugend kümmern muss, anstatt große Summen in die Wirtschaft zu investieren und goldene Fallschirme für Manager zu spannen. Wenn es so etwas wie eine Silver Bullet gibt, die allgemeine Lösung für Weltfrieden und Liebe, dann ist das Bildung. Bildet die Leute aus!

Wir danken für das Gespräch!