Zarte Melodien, sphärische Klänge: Ende Mai erscheint das fünfte Album „Tales Of A Grass Widow“ der Schwestern Bianca und Sierra Casady aka CocoRosie. Bei sieben Konzerten in Deutschland ist eines davon am 1. Juni in München @ Alte Kongresshalle.
CocoRosie wird ein besonderes Gespür für Sprache und Symbolik zugeschrieben. Hinter ihrem kindlichen Gesang und der engelshaften Erscheinung stecken starke Frauen mit politisch und feministisch motivierten Texten.
Wie seid ihr auf den Albumtitel gekommen?
Bianca Casady: Wir haben eine lustige Beziehung zu Titeln. Die Bedeutung des Titels verändert und offenbart sich für uns immer wieder neu. Wir untersuchen also zurzeit noch, was genau der „Grass Widow“ ist. Man hat natürlich das Wörterbuch, das dir ein paar Variationen liefern kann. Es ist aber vage gesagt ein verstoßenes Kind, das sich in der Welt der Natur wohlfühlt. Wir entdecken es also immer noch, wenn wir darüber sprechen. Viel von unserem Verständnis für Dinge wird von dem Geist entwickelt. Es ist auch formbar. Es ist keine Tatsache. Hinter dem Titel steckt keine Tatsache. Es ist etwas, das wir lernen. Es ist immer interessant für uns, die Ideen der anderen zu hören, weil es in unserer Arbeit sehr viel Raum für das gibt.
Auf eurer Single „After the Afterlife“ besingt ihr das „Leben danach“. Kann die Vorstellung an ein Ende der Welt nicht auch schön sein, weil wir uns dann alle eigentlich um nichts mehr sorgen müssten?
Bianca Casady: Es könnte ein guter Moment für die Erde sein. Wir haben darüber schon ein paar Songs geschrieben. Das fing bei unserem letzten Album an. In „Fairy Paradise“ wird gesagt, dass die Erde uns eines Tages ausstoßen wird. Manche Leute glauben, dass die Zerstörung des Planeten sehr traurig ist. Eine andere Art, das zu sehen, ist: Es ist traurig für die Menschen, weil sie so selbstzerstörerisch sind, aber die Erde wird sich reparieren. Ich denke, wir sollten alle so hart wie möglich versuchen, uns zu ändern und andere zum Ändern zu bringen. Das muss alles aber auch auf persönlicher Ebene funktionieren, damit es globale Auswirkungen hat.
Seht ihr eure Umgebung anders als noch vor ein paar Jahren?
Bianca Casady: Wir sind zur Zeit sehr kritisch, was den allgemeinen Zustand angeht. Wir haben große Erwartungen daran, wie wir gerne hätten, dass sich die Welt umwandelt. Wir bitten die Menschen, ihre Erwartungen hochzuschrauben. Manchmal muss Bewegung wohl auch durch eine Katastrophe ausgelöst werden. Ich glaube, dass wir auf einen Wendepunkt zugehen. Wir haben aber nicht viel zu verlieren, außer eben alles. Bei der Richtung, die die Ökologie gerade geht, haben wir nichts mehr zu verlieren, wenn wir etwas Radikales versuchen.
Ihr habt die „Future Feminists“ gegründet und sagt darüber, dass ihr die Männer dabei nicht ausschließen wollt. War das bis jetzt im Feminismus so?
Bianca Casady: Die Männer haben sich vom Feminismus ausgeschlossen gefühlt. Sie haben sich nicht wirklich selber gefragt, ob sie ein Feminist sind oder nicht. Es gibt sogar viele Frauen, die sich diese Frage bisher nicht wirklich gestellt haben oder passiv einen nicht feministischen Standpunkt eingenommen haben. Ich finde, das ist nicht richtig. Das ist eigentlich ein Widerspruch für Frauen, dass sie sagen, keine Feministinnen zu sein. Wir haben versucht, die verschiedenen Irrtümer, die im Zusammenhang mit dem Konzept von Feminismus auftauchen, aus der Welt zu schaffen. Der Teil mit dem „Future“ bedeutet, dass wir uns aus der lineraren Geschichte herausnehmen wollen, also aus dem, was mit Feminismus in Verbindung gebracht wurde. Die einzige mögliche Zukunft der Menschheit auf der Erde bedeutet, eine radikale Veränderung einzugehen. Wir schlagen vor, sich aus feministischer Perspektive an die Lösungen für die Welt heranzuwagen. Das kann auch Männer mit einschließen, was für die Leute schwer vorstellbar ist. Frauen mussten sich bisher in das männliche System, die männliche Identität, Sprache und den männlichen Gott einfügen. Es ist also schwer vorzustellen, dass sich die Männer in ein weibliches System integrieren. Es ist aber nicht viel radikaler als das, was wir sowieso gerade machen. Und wenn die Dinge nicht so funktionieren, wie es zurzeit ist, dann gibt es doch keine andere Möglichkeit als diese.
CocoRosie Live: 1. Juni in der Alten Kongresshalle