München Stadt der Künste Rezension curt

curt liest: „München –
Stadt der Künste“

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Ein formidabler Wälzer, den die Herausgeber Martin Bernstein und Wolfgang Görl da aus dem Boden gestampft haben. Aus dem Münchner Erdreich kann man in diesem Fall sagen, denn ihr Werk „München – Stadt der Künste“ widmet sich der Kulturgeschichte der Stadt. curt hat den 416 Seiten starken Schmöker gewogen.

Kulturgeschichte kann mächtig fad sein: Daten, Namen, ein knochentrockener Berg an Informationen. Wenn man Pech hat! Man kann aber auch Glück haben und der Autor weiß zu unterhalten, Fakten packend in kurzweilige Lebensgeschichten zu verpacken. In der Münchner Kulturgeschichte der Süddeutschen Zeitung Edition haben sich ganze 50 Autoren ans Werk gemacht. Und, ja, sie verstehen ihr Handwerk. Schließlich ist es gar nicht so einfach, Kunst, Architektur, Literatur, Film, Bildhauerei und Musik einer Stadt vom Mittelalter bis heute kompakt, verständlich und dazu noch unterhaltsam unter einen Buchdeckel zu bekommen.

München Stadt der Künste Rezension curt
Doppelseite über den Münchner Architekturmaler Domenico Quaglio (1786–1837)

Im Grunde ist das Buch zur großen SZ-Reihe ein informativer und kurzweiliger Spaziergang durch die Kunststadt München. Es ist ein Sammelsurium vieler Geschichten und Porträts von Menschen, die Bayerns Metropole in mehr als 850 Jahren ihren Stempel aufgedrückt haben. Darunter natürlich die großen Namen der Stadt: Asam, Sckell, Klenze und Schmeller, Miller, Heyse, Valentin, Fassbinder und wie sie alle heißen. Aber auch „kleinere Lichter“, von denen manch einer im Zusammenhang mit München noch nicht gehört hat.

München Stadt der Künste Rezension curt
Volkssänger Anderl Welsch, Konrad Dreher, Karl Maxstadt, Papa Geis, Elise Aulinger und Bally Prell

Etwa Karl Wilhelm Diefenbach, der Ende des 19. Jahrhunderts eine Kommune im Isartal bei Höllriegelskreuth gründete und Pazifismus sowie die freie Entfaltung des Menschen propagierte – und dafür als „Kohlrabi-Apostel“ verlacht wurde. Oder die fast vergessene Autorin Annette Kolb, deren Werk „Die Schaukel“ laut Regisseur Percy Adlon „das Wesen Münchens wie kaum ein anderes trifft“.

Es macht Spaß, in dem reich bebilderten Kulturführer immer mal wieder zu schmökern. Dabei ist für jeden etwas dabei: für den Münchnerkenner ebenso wie für Zuagroaste. Das Besondere an „Stadt der Künste“ ist jedoch nicht das gut skizzierte Bekannte, sondern die Nebenschauplätze, die kleinen Geschichten und Anekdoten, die das Leben und Wirken der lokalen Kulturschaffenden zu etwas Persönlichem machen.

München Stadt der Künste Rezension curt
Kapitelauftakt zum Filmemacher Rainer Werner Fassbinder

Weiteres Plus: die „Künstlerspuren“ im Anhang. Gedenktafeln, Straßennamen, Grabstätten …: Wer auf Entdeckungsreise gehen will, erfährt hier, wo die jeweils Porträtierten in der Stadt noch heute präsent sind.

Fazit: Ein informatives Kulturgeschichts- und gleichsam faszinierendes Geschichtenbuch zum Anschauen, Lesen, Wiederfinden und Neuentdecken.

TEXT: Mirjam Karasek