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curt war da: CocoRosie in der Alten Kongresshalle

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Bässe, Flöten und Amazonen: CocoRosie zeigen, dass ihr neues Album „Tales of a Grass Widow“ auf der Bühne ganz hervorragend funktioniert.

Am Anfang ist es nur ein Spektakel für die Magengegend, als der isländische Produzent Valgeir Sigurðsson mit wummernden Bässen und null Melodien der Menge einheizt. Gelegentlich webt er ein paar Pianoklänge in seinen Bassteppich. That’s basically it. Was nicht sein muss: Depeche Mode finden ein paar hundert Meter weiter bei Hundswetter statt, arme Fans. Was kümmert’s uns: Die Alte Kongresshalle ist gut gefüllt, es kann also losgehen. Denn CocoRosie schweben längst unsichtbar sphärisch durch den Raum.

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Valgeir Sigurðsson // Foto: Achim Schmidt

Als die Schwestern endlich auftauchen, kann sich niemand mehr halten. Was ein Potpourri aus grellen Lichtern, aus Nebel, aus Fell und Glitzer, und Valgeir Sigurðsson bleibt gleich unterstützend auf der Bühne. Drei weitere Musiker – ein Bassist, ein japanischer Multi-Instrumentalist und der altbekannte, hyperbegabte Beatboxer Tez – versprechen uns die Baumschule unseres Lebens.

Valgeir Sigurðsson
Foto: Achim Schmidt

Der erste Song „Child Bride“ („The man with the black hat will take me home tonight“) –  ja, einer der Hits des neues Album – ist kaum angesungen, und gleich Gänsehaut. Bei „Tales of a Grass Widow“ reduzieren CocoRosie ihr In-your-Face-Sophisticated-Dasein, das ihnen oft als prätentiös ausgelegt wird. Ihre Endzeitszenarien sind dennoch süßlich vorgetragen wie eh und je. Es ist nicht wirklich schockierend, wenn kindlich von Kinderhochzeiten gesungen wird, aber es macht was mit einem: Das neue Album ist direkter, emotional ehrlicher. Die von Sierra gesungenen Zeilen „This is the end of time/let’s all hug and say goodbye“ scheinen ins Universum zu entschweben. Man muss immer genau hinhören, denn es wird ja gerade so verspielt das Ende der Welt besungen. CocoRosie scheinen dem übrigens gelassen entgegenzusehen: Sierra strahlt ununterbrochen, als wenn auf den Weltuntergang nur etwas Besseres folgen könnte, Bianca performt unnahbar und professionell – zwei sehr präsente Bühnenfiguren.

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Foto: Achim Schmidt
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Foto: Achim Schmidt

Die Live-Version von „Harmless Monster“ ist ein Höhepunkt: Die Steigerung von ruhigen, morbiden Pianoklängen zu einer tanzbaren Nummer scheint perfekt. Als gäbe es nicht schon genug zu sehen, werden Visuals von Blumen, Meer und einem traurigen Clown mit Liveaufnahmen von den Schwestern überblendet. Oder von den Schwestern, wie sie sich selbst und die Leinwand filmen, auf welcher zu sehen ist, wie sie sich selbst filmen und auf der Leinwand zu sehen sind, usw. Keine ganz neue Idee, und auf Dauer anstrengend, zumal zum Schluss natürlich die Kamera aufs Publikum gehalten wird, und der typische Effekt eintritt: Ich sehe mich, also gröle ich.

In „After the Afterlife“ und „Gravediggress“ – ja, zwei weitere Hits des neuen Albums – wechseln sich Flöten und Bässe gekonnt ab, und fiedeln vom Weltuntergang und ausgestoßenen Gestalten. Man mag diese teilweise ironischen, pseudo-unschuldigen Statements finden wie man will: Die Beats sind großartig. Es wird sich auch eindeutig verabschiedet von Fisher-Price-Instrumenten, aber nicht von einer musikalischen Experimentierfreude. Die Einflüsse verschiedener Kollaborationen und die Genreverkettungen fühlen sich genau richtig an. Das neue Album lässt ein solches Konzert trotzdem nicht unbedingt erwarten, umso beeindruckender auch das Gespür der Wald- und Wiesenköniginnen für Showelemente und (musikalisches) Timing. Ähnlich einer Theaterpause treten alle Musiker von der Bühne, und die Stunde der Human Beatbox Tez ist gekommen: wildes Zischen, Brummen und Bässe, dazwischen beatboxt er Ginuwines all-time sexy Classic „Pony“, ein Ausnahmezustand und -talent; das Mikrofon am Adamsapfel und die Bässe werden deeper. Es lässt sich schwer beschreiben, was dieser Typ kann. Jedenfalls bereichert er die CocoRosie-Schwesternschaft ungemein.

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Foto: Achim Schmidt

Nach der Pause taucht die Häuplingsfrau/Schamanin Bianca lange nicht auf, dafür gibt’s eine Wahnsinns-Tanzeinlage einer Vogue-Tänzerin (directly from the Bronx: ist es Leiomy Maldonaldo?) in BH und zuckerwattefarbenem Tutu. Sierra und die Tänzerin schütteln wild ihre langen Haare und trainierten Körper: für alle ein großer Spaß. Das Alles mutet zunehmend wie eine bizarre Burlesque-Show an, und spätestens jetzt hat man vergessen, dass draußen tatsächlich die Welt untergeht (wettertechnisch).

Die zweite Hälfte des Konzerts fällt insgesamt ruhiger aus. Bianca taucht wieder auf, diesmal ohne ihren schwarzen Umhang. Dafür: glitzernder Schulterschmuck, Yankees-Cap und fast bodenlange Dreads sowie fluoreszierende Kriegsbemalung, eine goldglänzende Pumpleggins. Bianca hat etwas Launisches, Divenhaftes an sich, dreht sich mal weg vom Publikum, dann wieder hin, lächelt nie; ihre Performance ist ungemein vereinnahmend, und schwer zu greifen. Von ihrem letzten Album „Grey Oceans“ spielen CocoRosie „R.I.P. Burn Face“, „Smokey Taboo“ und „Fairy Paradise“ in fast unkenntlichen Versionen – sehr basslastig und sehr überzeugend.

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Foto: Achim Schmidt

Auf der Bühne lächeln alle stets (bis auf Bianca), als würde man sich einen Witz erzählen, den das Publikum nicht mitbekommt. Als die Band verschwindet, will das keiner wahr haben. Also wird einfach solange geklatscht, gejubelt und Seifenblasen gepustet bis CocoRosie zur Zugabe erscheinen. Und siehe da: die Harfe und Trompete, die Flöten und Bässe, alle wieder bereit. Bianca singt das sehr berührende, unveröffentlichte „Teen Angel“. Es endet mit Sirenengesänge und Schwesternliebe. Erneuter Abgang, aber auch jetzt möchte sich niemand in den Weltuntergang schmeißen. Neben mir schreit jemand: ‚Gewöhnt euch an den Juniregen, so bleibt’s jetzt für immer!‘ Was soll’s – es gibt tatsächlich eine zweite Zugabe! Zum krönenden Abschluss nimmt Sierra lächelnd Anlauf und wirft sich in die verwirrte Menge, gleitet über ihr. „Fear not you’re a Rainbowwarrior“ sind Bianca passend. Dann Techno, dann endgültiger Abgang – oh, what a beautiful mess.

TEXT: MICHAELA NEUKIRCH; FOTOS: FRANK ACHIM SCHMIDT