Foto: Die Stadtspürer

Rabenschwarzes München – unterwegs mit den „Stadtspürern“

„Passts mir fei bloß auf euch auf, gell! Nach Sonnenuntergang habts ihr nix mehr draußen verloren. Vor allem unbemanntes Weibsvolk“, meint Brigitte. „Und Winkelhurerei is’ eigentlich auch verboten, gell“, sagt sie mit einem Blick auf die feschen Madln am Eck. Die resolute Bayerin ist „Stadtspürerin“. Richtig gelesen: „Spürerin“, gehört sie doch zu jenen authentischen Guides, die ganz besondere Führungen durch unsere Stadt anbieten.

Heute Abend ist Brigitte aber vor allem eines: Henkersfrau. Und die kennt die schmutzigsten Geheimnisse aller unehrbaren Berufe im mittelalterlichen München. Unehrbare Gestalten, die gibt’s da viele – quasi alle, die sich nachts draußen rumtreiben.

Weil, wenn’s dunkel wird, dann bleibt man lieber daheim. Wir aber stehen am Platz vor der Frauenkirche. Es regnet. Und es dämmert. Wir befinden uns im Mittelalter und es riecht ein bisschen streng. Besser gesagt, es stinkt gewaltig. Das liegt vermutlich am Stadtgraben, der sich vor der Kirche auftut. In der „Kloake“ Münchens landet eigentlich alles, was keine Miete zahlt. Pipi, Kacka, Schlachtreste, der ein oder andere betrunkene Sandler … „Ja mei, so war’s halt, gell“, meint Brigitte.

Vielleicht kommt der süßliche Geruch aber auch von unseren Füßen. Nicht, dass wir die nicht gewaschen hätten – es ist nur so, wir stehen auf einem Friedhof. Weil gestorben wurde schließlich schon immer. Erst recht im Mittelalter! Und da spült so ein Regen wie heute schon mal den einen oder anderen Totenschädel frei. Mit ein wenig Glück findet man auch ein paar Säuglingshände. Die sind begehrt, denn aus „Kindshändle“ kann man Hexenflugsalbe oder Pulver gegen Verbrecher machen. Und auch von denen gibt’s viele.

Ja, im Mittelalter ist man abergläubisch. Wenn bei rund 17 Geburten im Leben einer Frau (das dann etwa mit 28 Jahren vorbei ist) im Schnitt nur drei Kinder das Erwachsenenalter erreichen und bei diesen eh schon grausigen Umständen dann auch noch Seuchen wie die Pest und die Cholera um sich greifen, dann kann man ein bisschen Aberglauben ja auch irgendwie verstehen.

Ein weiterer Glaube ist jedenfalls, dass aus dem Westen nichts Gutes kommt. Dort ist nämlich die Hölle. „Und genau da geht mein Kollege jetzt hin“, sagt die Brigitte. Ein zweiter Stadtspürer winkt uns freundlich zu, bevor er mit seiner Tour „Schauriges München“ in die Geisterwelt abtaucht. Zum Glück ohne uns. Wir gehen weiter durch die südliche Altstadt bis zum Sendlinger Tor.

Bei uns geht’s schon auch noch ziemlich schrecklich zu. Denn Brigitte erzählt uns von brutalen Henkern, die auf die Walz gehen und bei ihrer Meisterprüfung mit einem einzigen Schwertschlag töten müssen, von schlimmen Folterungen und Hinrichtungen. Und von Hexen, die grausam verbrannt werden.

Eine von Brigittes Lieblingsgeschichten ist die von Marco Bragadino. Der Gute ist Italiener und Alchemist, vor allem aber Betrüger. Er sagt, er könne Gold für den Herzog machen und Frauen zu Kindern verhelfen. Komisch nur, dass die Babys ihm viel ähnlicher sehen als den Ehemännern. Als das mit dem Gold dann auch nichts wird, lässt der Herzog ihn am Marienplatz öffentlich köpfen. Oder in Brigittes Worten: „Kinder, packts was fürs Picknick zam, endlich is’ wieder was los in Minga! Fernsehen gab’s damals ja nicht.“

So ganz ungeschoren kommt unser Team aber auch nicht davon. Der eine wird symbolisch zum Schlitzohr – die Bezeichnung rührt daher, dass Verbrechern der Silberohrring herausgerissen wurde, ohne den sie kein Begräbnis kriegen – und der andere wird aufgeseilt: eine äußerst unangenehme Foltermethode. Passend zu den Geschichten von Folter und Fäulnis reicht Brigitte noch einen Sack mit Würmern herum. Haribo – Glück g’habt!

Vor unserer Verabschiedung am Sendlinger Tor entführt uns unsere Stadtspürerin noch in die Zeit der Münchner Freudenhäuser und „Hübschlerinnen“. Die Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt. Ausgerechnet auf der heutigen Shoppingmeile, der Kaufingerstraße, war früher der größte Strich Münchens. „Wie heißt es doch so schön? ,In München steht ein Hofbräuhaus, doch Freudenhäuser müssen raus, damit in dieser schönen Stadt das Laster keine Chance hat!‘“

Wir danken Brigitte und den Stadtspürern für diese humorige und spannende Tour „Rabenschwarzes München“! Wir kommen wieder.


Über die Stadtspürer

Die Geheimnisse Münchens einmal „spürbar“ anders entdecken. Besondere Führungen mit erzählerischem Elan
und bewegenden Geschichten statt kulturhistorischen Daten und Fakten. Für Münchner und alle, die es werden wollen – dafür stehen die Stadtspürer. Neben dem „rabenschwarzen“ und „schaurigen“ München findet ihr noch viele weitere mystische Führungen – wie etwa „Der Ruf der Isarnixe“, „Glücksorte“ oder „Okkultes Schwabing“.
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Dieser Artikel ist in der curt-Ausgabe #92 erschienen. Fotos: Die Stadtspürer