Alois Nebel DVD Rezension curt München

Auf DVD/Blu-ray: Alois Nebel

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Die Tschechoslowakei Ende 1989: Während in Prag und den anderen großen Städten des Landes die Bürger voller Hoffnung Richtung Westen schauen, ticken die Uhren in Bílý Potok ein wenig anders.

In dem kleinen, abgelegenen Ort nahe der polnischen Grenze leben die Menschen fernab vom Trubel in ihrer eigenen kleinen Welt. Einer von ihnen ist Alois Nebel, der am örtlichen Bahnhof arbeitet und Frieden beim Rezitieren alter Fahrpläne findet. Doch immer wieder wird dieser Frieden gestört, als Erinnerungsfetzen an ein traumatisches Erlebnis ihren Weg in sein Bewusstsein finden.

Alois Nebel DVD Rezension curt München

Wandel ist gut? Nicht immer, so die Erkenntnis aus „Alois Nebel“. Zwei eigentlich positive Ereignisse bilden bei der Verfilmung des gleichnamigen Comics den Rahmen: das Ende des ersten Weltkriegs und die samtene Revolution, welche Ende 1989 den Übergang der Tschechoslowakei zu einer Demokratie einleitete. Doch in beiden Fällen gehen die Veränderungen nicht für jeden mit erstrebenswerten Folgen einher. Zum einen spricht der tschechische Animationsfilm das heikle Thema der Sudetendeutschen an, welche 1945 vertrieben wurden. Zum anderen zeigt er aber auch, dass der Gewinn von Freiheit 1989 mit dem Verlust von Sicherheit und schützenden Strukturen einherging.

Geistige Krankheiten, unverarbeitete traurige Erlebnisse, Arbeitslosigkeit, Armut, Prostitution und Tod – „Alois Nebel“ konfrontiert den Zuschauer mit einer ganzen Reihe düsterer Themen, die so gar nicht in das gerade durch die USA verbreitete Bild passen, Animationsfilme seien in erster Linie Unterhaltung für die Kinder. Verstärkt wird diese allgemeine Trostlosigkeit durch das komplette Fehlen von Farben: schwarz, weiß, gelegentliche Grautöne, mehr gibt es nicht in der rauen Welt des Altvater-Gebirges.

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Und doch ist es gerade die Optik, welche „Alois Nebel“ zu einem ganz besonderen Animationsfilm macht. Das wunderbare Spiel mit Licht und Schatten entwickelt eine geradezu magische Zugkraft. Bemerkenswert ist jedoch nicht nur die mangelnde Farbigkeit, sondern auch die Art der Animation: Regisseur Tomás Lunák griff auf das heute kaum mehr übliche Rotoskopieverfahren zurück. Hierbei werden die Szenen erst mit realen Schauspielern gedreht, auf eine Glasscheibe projiziert und anschließend abgezeichnet. Das Ergebnis sind deutlich natürlichere Animationen, zusammen mit den hart umrandeten Konturen ergeben sie hier eine ganz eigene, sehr atmosphärische Mischung aus Realismus und Stilisierung.

Alois Nebel DVD Rezension curt München

Inhaltlich ist „Alois Nebel“ jedoch weniger aufregend. Sehr ruhig, teilweise fragmentarisch erzählt Lunák von vergangenen wie heutigen Unglücken und den Versuchen, diese zu meistern. Das ist vor allem dann stark, wenn es um den Alltag Nebels und seiner Umgebung geht. Unbefriedigend bleibt hingegen die Nebenhandlung um einen stummen Fremden, welche nie wirklich ausgebaut wird und auch sehr abrupt endet. Doch wer Interesse an diesem speziellen historischen Inhalt hat oder auch an optisch ungewöhnlichen Erfahrungen, für den zeigt der tschechische Animationsfilm, welche poetische Kraft dieses oft belächelte Medium hat.

Fazit: Ein Drama in Schwarz-Weiß über die Vertreibung der Sudetendeutschen und die Aufarbeitung alter Traumata, das hat nur wenig mit dem zu tun, was wir mit Animationsfilmen verbinden. Doch es ist diese Mischung aus ungewöhnlicher Optik und melancholischer Geschichte, die „Alois Nebel“ trotz der spärlichen Handlung zu etwas ganz Besonderem macht.

Wertung: 7 von 10


Regie: Tomás Lunák // VÖ: 28. November 2014