50 Jahre hatte sie es keiner Menschenseele erzählt, aus Scham, aber auch aus Schmerz. Schließlich durfte niemand wissen, dass Philomena als junges Mädchen (Sophie Kennedy Clark) ein uneheliches Kind bekam und deswegen in ein Kloster geschickt wurde.
Ein halbes Jahrhundert später, Philomena ist inzwischen zu einer alten Frau geworden (Judi Dench), kann sie dieses Geheimnis jedoch nicht mehr für sich behalten. Zu groß ist die Trauer anlässlich seines Geburtstages, dass sie ihren Sohn damals weggeben musste. Ihre eigenen Versuche, ihn wiederzufinden, waren nie erfolgreich gewesen. Doch dieses Mal hat sie Unterstützung in Gestalt des arbeitslosen Journalisten Martin Sixsmith (Steve Coogan), der dringend eine neue Story braucht. Und diese Story nimmt eine ganz andere Wendung, als sie es sich wohl vorgestellt hatten.
„Basiert auf einer wahren Geschichte“ wird ja immer gern hinzugezogen, um langweilige Filme aufzuwerten oder Übertriebenes zu rechtfertigen. Doch „Philomena“ ist weder das eine, noch das andere. Abgesehen vom etwas dramatisierten Ende entspricht der Film den tatsächlichen Erlebnissen von Philomena Lee, deren Kind in den 50ern von Nonnen an Adoptiveltern weitergegeben wurde, ohne dass sie ein großes Mitspracherecht dabei hatte. Ein weiteres Aufbauschen wäre aber auch gar nicht notwendig gewesen, denn die lebenslange Suche einer Mutter nach ihrem verschwundenen Kind ist auch so bewegend genug.
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Das schafft Regisseur Stephen Frears, ohne auf große Momente oder emotionale Manipulation setzen müssen. Vielmehr ist „Philomena“ ein bemerkenswert unspektakulärer Film, dessen Tragik sich nur durch seine Geschichte entfaltet – und natürlich durch seine beiden Hauptdarsteller. Judi Dench durfte für ihre Rolle als gutmütige, eher schlichte Philomena mal wieder auf Oscarehren hoffen. Und auch Steve Coogan, sonst eher als Komiker bekannt, macht als zynischer, herablassender Journalist eine richtig gute Figur.
Dass die Zusammenarbeit zweier so unterschiedlicher Charaktere nicht ganz reibungslos sein kann, ist klar. Tatsächlich ist „Philomena“ oft eben aufgrund dieser Gegensätzlichkeit überraschend lustig, gerade wenn der weltgewandte Martin an der einfach gestrickten Philomena und ihrer Naivität verzweifelt. Manchmal geht der Film an dieser Stelle etwas zu weit: Wenn die betagte Irin zum Beispiel später jedem freundlichen Angestellten um den Hals fällt oder etwas zu begeistert über ein Frühstücksbüffet plappert, dann verkommt sie etwas unnötig zur Witzfigur.
Und auch die etwas plumpe Religionskritik hätte es nicht gebraucht, denn beides spielt keine wirkliche Rolle. Entscheidend sind hier tatsächlich nur eine Frau und die Liebe zu ihrem Sohn, die Sorge um ihn, die Schuldgefühle und der Wunsch, trotz allem ein Teil seines Lebens gewesen zu sein. Das ist an manchen Stellen sehr aufwühlend, an anderen komisch, hin und wieder lässt man sich auch von Martins ohnmächtiger Wut anstecken. Doch am Ende des Gefühlsritts wartet dann doch das Seelenheil: „Philomena“ ist ein Drama, das einem zwar nahe geht, aber eben auch Trost spendet.
Fazit: Die wunderbar gespielte Suche einer Mutter nach ihrem Kind ist aufwühlend und komisch zugleich. Da verzeiht man dann auch, dass die Hauptfigur manchmal ins Lächerliche gezogen wird und die zeitweilige Religionskritik etwas plump ist.
Wertung: 8 von 10
Regie: Stephen Frears // Darsteller: Judi Dench, Steve Coogan, Sophie Kennedy Clark // VÖ: 12. September 2014