Der Versuch, die steigenden Temperaturen aufzuhalten war erfolgreicher als gedacht, seither ist die ganze Erde unter einer dicken Eisschicht begraben. Lediglich ein 650 Meter langer Zug bietet Zuflucht, in ihm lebt der klägliche Rest der Menschheit. Eine strikte Trennung in mehrere Klassen soll für Ordnung sorgen. Und eben diese Trennung sorgt für mächtig Unmut.
Aufgebracht über die jahrelange Unterdrückung durch die Oberschicht planen Curtis (Chris Evans) und Edgar (Jamie Bell) zusammen mit dem alten Anführer Gilliam (John Hurt) einen gewaltsamen Aufstand. Der Sicherheitsexperte Namsoong (Song Hang-ko) soll ihnen dabei helfen, bis an die Zugspitze zu gelangen, denn wer die Maschine kontrolliert, kontrolliert auch das Leben im Zug.
Eine Menschheit, die nach einer Katastrophe vor dem Abgrund steht, sowie eine Gesellschaft mit willkürlichen, oft menschenverachtenden Klassen – beides gehört zum festen Repertoire von Science-Fiction-Geschichten. Das Grundprinzip hinter „Snowpiercer“ ist also bekannt, neu ist jedoch der Einfall, diese Gesellschaft in einen sich unentwegt fortfahrenden Zug zu pferchen. Ausgedacht hatte sich das Szenario der französische Comicautor Jacques Lob schon Ende der 70er, 1982 veröffentlichte er dieses als „Le Transperceneige“ zusammen mit dem Zeichner Jean-Marc Rochette. Eine direkte Verfilmung ist „Snowpiercer“ jedoch nicht, vielmehr ließ sich Regisseur Joon-ho Bong von der Graphic Novel inspirieren.
Doch auch wenn Bong hier eine eigene Interpretation der Geschehnisse abliefert, an vielen Stellen lässt sich das Comicerbe noch erahnen. Wer mit der Erwartung an den Film geht, dass jede Szene erklärt wird, jeder Einfall glaubwürdig ist, der stößt hier schnell an seine Grenzen. Einiges wirkt nicht ganz durchdacht, so manches Verhalten ist nicht plausibel, an anderen Stellen ist „Snowpiercer“ sogar ganz bewusst übertrieben. Wenn wir im Laufe des Films immer weiter Richtung Zugspitze vordringen und grotesk dekadente Abteile durchqueren, nimmt das deutlich satirische Züge an.
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Doch das ist auch einer der Gründe, warum „Snowpiercer“ über weite Strecken ein sehr guter Film ist: Man weiß nie, was als nächstes passiert. Heruntergekommene, düstere Abteile wechseln sich mit atemberaubenden Inneneinrichtungen ab, meditative Aufnahmen der zu Eis erstarrten Landschaften mit perfiden Foltersequenzen, harte und spannend choreografierte Actionszenen mit ausgiebigen philosophischen Diskussionen.
Nicht alles davon ist gleich gut geglückt. So gibt es einige Computereffekte, die recht billig aussehen. Schlimmer noch ist aber, dass der Science-Fiction-Film immer wieder Zeit verschwendet, mit in die Länge gezogenen Dialogen, unnötigen Hintergrundgeschichten, später auch einem ausgedehnten, recht banalen Duell. Wirklich entgleisen tut „Snowpiercer“ zwar nie, er kommt aber ins Schlingern. Und doch ist die eisige Dystopie eine der bemerkenswertesten Filme in der letzten Zeit, denn vergleichbar abwechslungsreich und originell geht es in dem Genre nur selten zu.
Fazit: Ein originelles Szenario, spannende Kampfszenen, eine teils brillante Optik, dazu noch satirische Züge – „Snowpiercer“ ist über weite Strecken ein Fest für Fans actionlastiger Science-Fiction-Filme. Geschmälert wird das Vergnügen durch Probleme beim Tempo, manche werden sich auch an der mangelnden Glaubwürdigkeit stören.
Wertung: 8 von 10
Regie: Joon-ho Bong // Darsteller: Chris Evans, Jamie Bell, Song Hang-ko, Tilda Swinton, John Hurt, Octavia Spencer // VÖ: 23. September 2014