Thriller Special Rezension DVD curt München

Auf DVD/Blu-ray: Thriller Special

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Normal ist woanders. Bei unserem heutigen Streifzug durch die Thrillerwelt haben wir vier ziemlich ungewöhnliche Exemplare gefunden, die wir euch natürlich nicht vorenthalten wollen.

„Enemy“
Die ganz große Abwechslung bietet der Alltag von Geschichtsprofessor Adam (Jake Gyllenhall) ja nicht. Die Arbeit läuft, er hat eine hübsche Freundin namens Mary (Mélanie Laurent), mit der er zwar nicht viel spricht, dafür aber oft und ausgiebig Sex hat. Eine etwas unerwartete Wendung nimmt sein Leben, als er auf Anraten eines Kollegen einen Film ansieht und darin einen Schauspieler entdeckt, der ihm aufs Haar gleicht. Fasziniert (und verstört) von dieser Gemeinsamkeit, setzt Adam alles daran, diesen Doppelgänger aufzuspüren. Und tatsächlich hat er Erfolg: Anthony St. Claire (Gyllenhaal) nennt er sich, ist Schauspieler und mit der schwangeren Helen (Sarah Gadon) verheiratet. Doch damit gerät alles erst recht aus den Fugen.

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Mysteriös? Das ist bei „Enemy“ noch harmlos ausgedrückt, denn der Film tut alles dafür, um Erwartungen im Nichts enden zu lassen und Vermutungen ad absurdum zu führen. Schon die erste Szene – eine vornehme Orgie verbunden mit dem großen Auftritt einer Spinne – lässt einen verlegen am Kopf kratzen. Denn einen Kontext oder gar eine Erklärung, die verweigert uns der Thriller hier, oft genug auch im weiteren Verlauf. Warum sehen die beiden gleich aus? Was hat es mit den Spinnen auf sich? Ist das Geschehen überhaupt real? Fragen gibt es zwangsläufig, Antworten jedoch nicht. Das wird für manche ein Problem darstellen: Um „Enemy“ genießen zu können, braucht es sowohl die Bereitschaft zu ausgiebigen Interpretationen als auch eine hohe Frustrationsgrenze. Ein Faible fürs Surreale ohnehin. Letztere wird nicht nur durch die rätselhafte Geschichte erreicht, sondern auch Bild und Musik. Von einigen Szenen einmal abgesehen, verlässt „Enemy“ zwar nie den Boden der Realität, doch durch die farbarme, leicht verwaschene Optik hat man als Zuschauer oft das Gefühl, nie ganz da zu sein. Weniger subtil, aber nicht minder effektiv, ist die musikalische Untermalung des Films: bedrohlich, hypnotisch, fremd lässt sie selbst in den klareren Momenten keinen Zweifel daran aufkommen, dass hier vieles nicht so ist, wie es erscheint.

Wertung: 7 von 10


Regie: Denis Villeneuve // Darsteller: Jake Gyllenhaal, Mélanie Laurent, Sarah Gadon // VÖ: 10. November 2014


 

„Under the Skin“
„Könnten Sie mir den Weg zeigen?“ Neu ist die Masche nicht, variiert wird ebenso wenig. Doch Originalität ist auch nicht wirklich notwendig, wenn man so überirdisch schön ist wie Laura (Scarlett Johansson). Das ist in ihrem Fall auch kein großes Wunder, denn die hübsche Frau ist tatsächlich ein Alien. Und eines mit einem großen Appetit auf Mensch. Aus diesem Grund fährt sie auch ohne Ende mit ihrem Van durch Schottland, sammelt Männer ohne große Bindungen, dafür aber großem Verlangen auf und bringt sie in eine Wohnung, aus der sie nie wieder lebend entkommen.

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Nach einem äußerst surrealen Einstieg, dessen einziger Erkenntnisgewinn darin besteht, dass Laura nicht-menschlichen Ursprungs ist, sind wir auch schon mit ihr in den Straßen unterwegs, immer auf der Suche nach Menschen, die einsam sind. Verloren. Menschen, die keiner vermissen wird. Allein deshalb hat „Under the Skin“ von Anfang an auch etwas Melancholisches an sich. Und natürlich etwas Rätselhaftes, denn Erklärungen gibt uns niemand. Wie auch, wenn es nahezu keine Dialoge gibt? Doch die braucht es auch nicht, wenn die Opfer erst einmal in der Wohnung sind: Was folgt ist eine der verstörendsten Sequenzen, die man dieses Jahr in einem Film zu sehen bekam. Wenn wir hier begleitet von einer großartigen, hypnotischen Musik im Nichts verschwinden, muss das erlebt, nicht erzählt werden. Wenn der Film ein Problem hat, dann dass nach diesen starken audiovisuellen Alpträumen nichts Interessantes mehr kommt. In der zweiten Hälfte von „Under the Skin“ bewegt sich der Fokus weg von den monströsen Vorgängen hin zum Monster selbst und dessen Wunsch, keins mehr zu sein. Hier jedoch fehlen die Einfäll , um dem altbekannten Motiv neues Leben einzuhauchen. Und dieser zunächst so einmalige Film wird auf einmal etwas, was man bei wohl am wenigsten erwartet hätte: banal.

Wertung: 6 von 10


Regie: Jonathan Glazer // Darsteller: Scarlett Johansson // VÖ: 10. Oktober 2014


 

„No Turning Back“
Kann ein einziger Tag das ganze Leben zerstören? Bei Ivan Locke (Tom Hardy) lautet die Antwort eindeutig ja. Ein einfacher Seitensprung unter Alkoholeinfluss, mehr verbindet ihn nicht mit Bethan (Stimme: Olivia Colman). Seit dieser unglücklichen Betriebsfeier hatte der Bauingenieur nichts mehr von ihr gehört. Bis heute, als sie ihm am Telefon eröffnet, schwanger von ihm zu sein und kurz vor der Entbindung zu stehen. Das ist nicht nur seiner Frau Katrina (Stimme: Ruth Wilson) schwer zu vermitteln, auch auf seine Arbeit hat dies einen direkten Einfluss. Denn statt bei einem wichtigen Termin dabei zu sein, macht er sich auf den Weg ins Krankenhaus und gibt per Telefon Donal (Stimme: Andrew Scott) die nötigen Anweisungen.

„No Turning Back“ ist einer dieser Filme, bei denen man sich im Vorfeld fragt, wer denn auf eine solche Idee kam. Warum sollte ich als Zuschauer sehen wollen, wie ein Mann anderthalb Stunden lang Auto fährt und dabei ein Telefongespräch nach dem anderen führt? Wer „No Turning Back“ gesehen hat, wird diese Frage nicht mehr stellen. Von Anfang an sitzt man gebannt vor dem Bildschirm, fragt sich, ob Ivan das Chaos in Ordnung bringen kann, fiebert irgendwann sogar mit ihm mit. Und dass obwohl hier streng genommen nicht wirklich was passiert. Die Abwechslung beschränkt sich darauf, welches Auto gerade draußen am Fenster vorbeifährt. Manchmal schnäuzt sich der grippekranke Bau-Ingenieur die Nase. Das war es aber auch schon. Andere Schauplätze gibt es nicht, wir beginnen mit dem Wageninneren und hören rund 90 Minuten später auch damit auf. Sicher gibt es immer wieder kammerspielartige Filme mit sehr beschränktem Schauplätzen, doch ähnlich radikal reduziert wie hier geht es nur selten zu – „No Turning Back“ hätte genauso gut auch als Hörspiel umgesetzt werden können. Dass das Ganze überhaupt in Filmform funktioniert – und das sogar sehr gut – ist in erster Linie auf die pointierten Dialoge, die starke Leinwandpräsenz von Tom Hardy und die ständig wechselnden Gesprächspartner zurückzuführen.

Wertung: 8 von 10


Regie: Steven Knight // Darsteller: Tom Hardy // VÖ: 23. Oktober 2014


 

„Liebe ist das perfekte Verbrechen“
Marc (Mathieu Amalric) liebt die Literatur, das Wandern in den Schweizer Alpen und hübsche, junge Frauen. Und wenn letztere besonders begabt sind, ist der Universitätsprofessor privaten Nachhilfestunden auch nicht abgeneigt. Als mit Barbara eine seiner Lieblingsstudentinnen eines Tages spurlos verschwindet, gerät sein Leben zunehmend aus der Bahn. Nicht nur dass die Polizei unangenehme Fragen stellt, auch Barbaras Stiefmutter Anna (Maïwenn) ist auf Marc aus – in mehr als einer Hinsicht. Und dann wäre da noch Studentin Annie (Sara Forestier), die ebenfalls in den Genuss der kleinen Extrastunden kommen will.

Was ist real, was ist eingebildet? Von Anfang an spielt die Verfilmung des Romans „Die Rastlosen“ von Philippe Djian mit dem im Thrillergenre so beliebten Verwischen von Grenzen. Und dafür greifen die Brüder Jean-Marie und Arnaud Larrieu – die sich sowohl Regie wie auch Drehbucharbeit teilten – gleich auf ein ganzes Arsenal an Mitteln zurück: schwarzer Humor, Zitate aus Romanen, sonderbare Figuren, Gedächtnisschwund. Großes kündigt sich auf diese Weise an, man brennt geradezu darauf, tief in die dunklen Geheimnisse einzutauchen, sich langsam im Wahnsinn in der Abgeschiedenheit der Natur zu verlieren. Nur passiert genau das nicht. Man wartet vergeblich darauf, dass die Handlung irgendwann einmal in Schwung kommt. Zweites Problem ist die mangelnde Glaubwürdigkeit. Eben weil die Larrieu-Brüder immer an der Grenze zum Traumhaften herumtänzeln, haben die Figuren kaum Gelegenheit, zu tatsächlichen Charakteren zu werden. Sie handeln, ja. Aber warum sie tun, was sie tun, das will sich nie so richtig erschließen. Uneingeschränkt großartig ist jedoch die Optik. Die weiten Schneelandschaften, die starken Kontraste zwischen heimeliger Hütte und der modernen Universität, zwischen blendend-hellen Tagaufnahmen und den geheimnisvoll-düsteren bei Nacht – all das unterstreicht die richtig ansprechende Atmosphäre von „Liebe ist das perfekte Verbrechen“.

Wertung: 6 von 10


Regie: Jean-Marie Larrieu, Arnaud Larrieu // Darsteller: Mathieu Amalric, Karin Viard, Maïwenn, Sara Forestier // VÖ: 17. Oktober 2014