fjort curt München

Im Gespräch: Fjørt

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Im September – quasi aus dem Nichts – platzt das Aachener Trio mit der Ankündigung einer neuen Platte in die spätsommerliche Beschaulichkeit. Das letzte Album „Kontakt“ gerade erst Anfang 2016 veröffentlicht, stellt die Band für den Herbst einen neuen Brocken an brachialem Post-Hardcore in Aussicht. Zur Einstimmung gibt es über die Facebook-Seite der Jungs eine knapp halbstündige Live-Session aus einem stillgelegten Hotel zu sehen, bei der ausgewählte neue Songs gespielt werden. So atmosphärisch und verstörend wie der Sound sind auch die reduzierten Bilder, die von der Iconographic Crew abgefilmt wurden.

Fjørt haben einen Plan und haben Wut. Wut im Bauch und im Kopf. Mit den elf Songs auf „Couleur“ transformieren sie diese Wut in exzellente Energie, die dem stereotypen Gleichklang einen fetten Batzen Schlacke ins Gesicht schleudert. Der Einstieg auf Platz 24 der Charts zeigt, dass eine Voice of Germany keine Blind Auditions braucht.

Im Januar gehen Fjørt auf ausgedehnte Tour durchs Land. Erste Konzerte melden schon ausverkauft. Am 25. Januar lassen die Buben die Wände des Strom-Clubs wackeln. curt nutzte die Gelegenheit, um der Band zwischen Proberaum und Tourbus ein paar Fragen zu stellen.

5 Jahre, 3 Alben, 2 Labels. Beschreibt doch bitte die Entwicklung der Band. Wie sieht eure Zwischenbilanz aus? Seht ihr euch da, wo ihr hinwolltet?
Ich glaube, wir hatten von Anfang an und bis heute einen wichtigen Motor, und zwar den Bock darauf, gemeinsam zahllose Stunden im Proberaum zu verbringen und Krach aus unseren Instrumenten rauszukitzeln. Wir sind wunderbar gleichgesinnt, was die Musik angeht. Es gab dann zu unserem großen Glück immer wieder Menschen, die das, was wir tun, gesehen haben und uns die Möglichkeit gaben, das Ganze auf Platte zu veröffentlichen. Heute reiben wir uns ungläubig die Augen, wenn zu manchen Konzerten so viele Leute kommen, dass man keinen mehr reinlassen darf. Als wir uns damals im Aachener Musikbunker „Demontage“ um die Ohren gepfeffert haben, hatte niemand so eine Entwicklung im Kopf. Kurzum, so etwas kannst du nicht planen. Wir freuen uns über die großartige Unterstützung der Leute, auf das neue Album und alles, was wir so mit dieser Kapelle erleben dürfen.

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Wie lieft die Entstehung vom neuen Album „Couleur“? Was hat sich im Vergleich zu „Kontakt“ verändert?
Beim Schaffensprozess einer Platte ist Zeit immer ein unbezahlbarer Faktor. Mehr noch als bei der „Kontakt“ haben wir die Songs diesmal wachsen lassen, nächtelang gefeilt und sie auch mal liegenlassen und uns anderen Dingen zugewendet, wenn es sich nicht richtig angefühlt hat. Als wir uns nach der „Kontakt“ zusammengesetzt haben und das erste „Ich hab da so einen Song im Kopf“ in den Raum geworfen wurde, wussten wir nicht, ob daraus eine Platte entsteht. Ideen kommen und gehen. Man muss ihnen Raum geben und sie an der richtigen Stelle abpassen. Dass das mit „Couleur“ geklappt hat, ist wunderbar. Dafür haben wir in diesem Jahr auch so gut wie keine Konzerte gespielt und freuen uns umso mehr auf die anstehende Tour.

Zu eurem Label Grand Hotel van Cleef. Wie „lebt“ es sich in der norddeutschen Tiefebene? Von der Einstellung her passt es bestimmt gut, musikalisch sehe ich euch da aber eher als Exoten.
Das Grand Hotel van Cleef besteht aus einer guten Hand voll Leuten, die für ihre Bands brennen und mit absoluter Leidenschaft am Werk sind. Es ist künstlerisch und vor allem menschlich ein wirklich tolles Miteinander, was uns sehr wichtig ist. Wir waren damals zwar musikalisch eine Besonderheit beim Grand Hotel, fühlten uns aber mit diesem Scheuklappen-Denken was Genregrenzen angeht noch nie so richtig wohl und sind sehr froh, Teil eines offenen, vielschichtigen Labels zu sein. Mittlerweile kommen auch mehr Bands der etwas härteren Gangart beim Grand Hotel unter, als neuestes Beispiel seien LIRR genannt, was super ist. Hamburg ist auch schon so etwas wie unsere zweite Heimat geworden, wir mögen die Stadt und fühlen uns dort sehr wohl.

Wie steht es um die Szene in Aachen. Ein guter Platz für eure Art von Musik?
Vor einigen Jahren prangte noch „Rockcity Aachen“ über dem Schild am Ortseingang, es gab eine sehr lebhafte Szene mit vielen aktiven Bands und Konzerten. Das hat dann leider stark abgenommen, viele dieser Bands haben sich aufgelöst und die Lust, Bands live anzuschauen, wurde anscheinend abgelöst von sehr vielen Partys, auf denen dann zu Dosenmusik getanzt wurde. Im Moment tut sich aber wieder etwas. Ein paar neue Aachener Kapellen sind aus dem Proberaum gekommen und beschallen die kleinen Läden vor Ort. Das mitzubekommen macht sehr viel Laune. In letzter Zeit sind wir sehr gerne mit ein bis zwei Kaltgetränken in dem ein oder anderen Laden und sehen, was es da Neues gibt.

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Woher nehmt ihr eure Inspiration? Was sind Einflüsse für euch oder Vorbilder?
Ich glaube, musikalisch lässt sich das nicht an bestimmten Genres festmachen. Wir haben ein Faible für laute Gitarrenmusik, das ist klar, aber genauso für alles andere, bei dem man merkt, dass der Künstler mit Leib und Seele dahintersteht. Als wir selbst angefangen haben, Mucke zu machen, war es immer dieses Gefühl von „das fährt mich an die Wand“, was uns fasziniert hat und wir gerne selbst machen wollten. Wir haben uns da nicht an einer bestimmten Band orientiert, sondern mehr an dem, was es bei uns im Kopf hinterlässt. Da gibt es so ein paar große Namen, Idole von früher wie Alexisonfire oder Underoath, aber auch z.B. die viel zu wenig wahrgenommenen Eaves aus Aachen (R.I.P.), die wahnsinnig brachial und intensiv waren. Das hat bleibenden Eindruck hinterlassen. Für das, was wir tun, treibt uns dieses Gefühl an und wir versuchen es mit dem zu vertonen, was uns dann aus den Fingern kommt.

Für mich klingt „Couleur“ ein wenig sperriger als „Kontakt“. Ein bewusster Prozess, um nicht den bequemen Weg zu wählen?
Vom Sound her hatten wir die neue Platte ’ne Schippe rougher, kantiger als die letzte vor Augen. Wir sind super zufrieden damit, wie sie jetzt geworden ist. Was die Themen auf der Platte angeht, schreiben wir immer über das, was uns zu diesem Zeitpunkt vor den Kopf stößt und beschäftigt. Das Gesamtbild wird einem erst klar, wenn ein Album endlich fertig ist. Wenn wir uns die Platte jetzt mit etwas Abstand anhören, fühlt sie sich sehr dringlich an und nach einem Durchlauf wirbelt einem ziemlich der Kopf – was wir sehr gut finden. Wir sind Fans davon, wenn Musik an uns zerrt, etwas von uns möchte und vielleicht ein paar neue Gedanken hinterlässt.

Welche Themen bringen euch im Jahr 2017 zum Kotzen?
Wir erleben in unserer Gesellschaft immer mehr, dass das „Ich“ höchste Konjunktur hat. Vielleicht findet man neben den Belastungen des täglichen Auffrischens des eigenen Instagram-Profils oder der regen Diskussionsbeteiligung in den sozialen Netzwerken auch einfach nicht mehr die Zeit, um die ältere Dame beim Bäcker vorzulassen oder der Mutter mit Kind im Bus Platz zu machen. „Davon habe ich keine Ahnung, das kannst du eigentlich besser“, haben wir lange nicht mehr in Gesprächen gehört. Es scheint eine Schwäche geworden zu sein, kein Experte in einem Themenbereich zu sein. Lieber wird mit völliger Ahnungslosigkeit eine Auffassung vertreten, damit man selbst etwas darstellt. Erwähnt werden muss darüber hinaus, denke ich, nicht mehr, dass der wachsende Populismus in diesem Land eine rechtsradikale Partei als drittstärkste Kraft in den deutschen Bundestag geführt hat, was wahrscheinlich der absolute Tiefpunkt für uns in diesem Jahr war.

Ihr scheut keine deutlichen Worte. Wo hat eure Dialogbereitschaft eine Grenze?
Jeder soll sein Leben so gestalten, wie er es gerne möchte. Daher wäre es absolut falsch, einen bestimmten Lebensweg zu glorifizieren. Es gibt jedoch Menschen, die ihr eigenes Leben über das anderer stellen und genau da ist die Grenze. Hier dann das Maul zu halten, würden wir uns nicht verzeihen können.

Wie weit oder nah stehen wir vom ersten Schuss auf die Menschen, die es anders sehen?
Wir stehen bereits dahinter, oder?

Eure Hotel Session ist ein cooles Video und eine gute Aktion. Was hat auch dazu angeregt? Wie viel Shining-Ästhetik steckt in dem Video?
Unsere erste Idee war, dass wir die Songs gerne live zeigen wollen. Am liebsten gleich mehrere Songs, in einer besonderen Atmosphäre. Vielleicht jeden Song in einem anderen Raum? Aber die Frage nach der Location war noch offen. Es kam dann irgendwann die Idee, an einem verlassenen Ort, in diesem „Lost Place“-Stil etwas zu machen. Ein Hotel wäre der Wahnsinn. Nach endlosen Telefonaten hat Malek vom Grand Hotel es dann tatsächlich bewerkstelligt, dass wir ein paar Tage im Schwarzwald in diesem wahnsinnig schönen alten Hotel drehen durften. Der Denkmalverein Freudenstadt hat uns das dankenswerterweise ermöglicht. Das Flair dort war einnehmend. Einerseits gibt es dort bildhübsche, gut erhaltene Räume, an anderen Stellen sieht man extrem deutlich den Zahn der Zeit. Man hat sofort Bilder der damaligen Zeit im Kopf, wenn man dort reingeht. Da stecken viele Geschichten in den Wänden, was spannend und gleichzeitig auch gruselig ist. Das war für uns und vor allem auch für Michi (Iconographic), der unsere Videos macht, unglaublich inspirierend.

Couleur, Raison, Magnifique, Bastion, zumindest angekündigte Konzerte in Lüttich und Paris. Wie frankophil seid ihr, woher kommt die Liebe zu Frankreich? Wie nehmen die Franzosen eure Musik auf?
Wir spielen in unseren Texten sehr gerne mit Worten und dessen Bedeutung, drehen sie um und setzen sie in einen anderen Kontext. Man sucht immer nach Beschreibungen, die am besten treffen, was man aussagen möchte. Manchmal braucht es dafür Worte, die nicht so gebräuchlich sind oder aus einer anderen Sprache kommen. Es gibt in unserer Sprache viele französische Wörter, die „eingedeutscht“ sind und dadurch irgendwie einen doppelten Boden haben – man benutzt sie, aber dennoch sind sie eigentlich fremd. Der Klang der Worte ist schön, im Zusammenhang des Songs drücken sie aber vielleicht etwas völlig anderes aus. Es eröffnet ganz neue Möglichkeiten, sich an sowas auszutoben. Tatsächlich haben wir bislang noch nie in Frankreich spielen können, aber wir hoffen, dass sich das irgendwann mal ergibt.

Bald geht es auf Tour. Welche Bands, Bücher, Filme sorgen für Zerstreuung in den Stunden des Wartens auf das Konzert?
In unserem Van laufen immer die unterschiedlichsten Sachen, getreu nach dem Prinzip „The driver is the DJ“ geht das je nach Steuermann von neu entdeckten kleinen Hardcore-Bands über Jazz bis zu Philipp Poisel. Wenn du einmal angekommen bist, ist das Warten aber meistens gefüllt mit Aufbau, Soundcheck und der Vorbereitung auf das Konzert. Wir sind dann immer schon gedanklich beim Abend, ein Buch hat auf Tour noch niemand in die Hand genommen.

Am 25.01.2018 spielt ihr in München. Auf was können sich die Leute hier freuen?
Wir sind auf jeden Fall heiß drauf, die neuen Songs zu spielen. Bei jeder Tour tüfteln wir aufs Neue an den Songs und daran, wie wir sie mit Licht untermalen und etwas Besonderes auffahren können. Ich denke, diesmal werden wir nochmal mehr „ausrasten“, was das angeht. Wir freuen uns wahnsinnig drauf, das im Januar dann auf die Bühne zu bringen.

Unsere Verlosung ist beendet, die Gewinner wurden informiert.


curt präsentiert: Fjørt – COULEUR TOUR 2018 // 25.01.2018 // 21.30 Uhr // Support: EAST > Facebook // Strom Club // VVK 17,20 zzgl. Gebühren
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