Die Zeiten, in denen passives Material Pinselstrichen und Gedankengängen unterworfen war, sind vorbei. Immer mehr Künstler arbeiten mit oder sogar gegen lebendige Flächen, erkunden ihre Besonderheiten, kommunizieren mit ihnen. Gegenseitiges Bewabern statt passivem Bemaltwerden.
Heute, im Jahrzehnt der Individualisierung und Selbstdarstellung, ist die organische Materie gerne auch zweibeinig und anspruchsvoller denn je, wenn es um das Zeigen des eigenen Geschmacks geht.
Das führt uns zu einem Münchner Tätowierer, der seine Rolle anders versteht als die meisten seiner Gilde. Der mit Nadel und Ink auf warmes Fleisch zeichnet, seiner Kreativität – mit ein paar Grenzen – freien Lauf lassen darf. Klar weiß er, dass er Dienstleister ist, aber eben auch freier Maler. Für seine Kunden bedeutet das: keine Skizze, keine mit Kohlepapier auf die Haut gepauste Rohzeichnung. Stattdessen: ein grobes Thema und Vertrauen in den Stil desjenigen, der die Nadel führt. Der heißt in unserem Fall Thai aka Trashinkbomber und sorgt für Schmerzen und wunderschöne Unikate. curt-Redakteurin Patricia Breu hat sich sofort in seinen Style verliebt – und sich unter seine Nadel getraut.

Wie unterscheidet sich Freehand vom klassischen Tätowieren und wie arbeitest du?
Bei mir gibt es keine Zeichnung vorher zu sehen, alles entsteht während des Prozesses und die Vorbesprechung läuft übers Netz ab. Ich kriege von meinen Kunden immer nur eine grobe Idee oder ein Thema. Dafür kriegen sie etwas in meinem Style; keines meiner Tattoos wird es zweimal geben. Ich arbeite deswegen freehand, weil ein Bild auf einem Blatt Papier einfach etwas anderes ist als ein Bild auf der Haut. Du musst z. B. den Köperfluss beachten. Ich passe die Tattoos deswegen beim Stechen dem Körper an und arbeite mich Stück für Stück voran. Die meisten meiner Tattoos sind großflächig, darum fange ich erst ab 400 Euro an. Der ausgemachte Preis ändert sich aber nicht, auch wenn es mehrere Sessions dauert.
Wie viel an deinen Tattoos ist überhaupt geplant?
Insgesamt ist mehr improvisiert als geplant.
Deine Kunden wissen also nie, wie das fertige Tattoo aussehen wird. Weißt du’s?
Ich hab immer so ein grobes Bild im Kopf, wie’s sein wird, das entsteht schon während des Schreibens. Meine Kunden wissen ja auch, dass sie bei mir nur ein Überraschungspaket bekommen, und müssen mir zu 100 % vertrauen.
Was, wenn dem Kunden das Tattoo nachher nicht gefällt?
Das passiert eigentlich nicht. Meine Kunden sind keine Spontangänger, die meisten beobachten mich schon seit Jahren und wollen einfach ein Tattoo haben, das sehr eigen ist.
Du hast Malerei und Grafik an der Münchner Akademie der Bildenden Künste studiert. Hat dich das beeinflusst?
Auf jeden Fall. Die beiden Welten Kunst und Tätowieren vermischen sich bei mir automatisch. Bei meiner letzten Einzelschau hab ich auch eine Mixed-Media-Arbeit gemacht, bei der Leute als Performance ein Tattoo bekommen haben, aber eben nicht in echt, sondern als Projektion. Ich nehme mir beim Stechen schon sehr viele Freiheiten, bringe auch meine eigene Hand-
schrift ein. Trotzdem sehe ich Tätowieren immer noch als eine Dienstleistung an. Die bildende Kunst, meine anderen Projekte, die mache ich für mich. Mit meinen Tattoos sollen vor allem meine Kunden glücklich sein – sie laufen schließlich ein Leben lang damit rum, nicht ich.

Würdest du jemandem ein Arschgeweih stechen?
Nee. Aber ich biete ja allgemein keine klassischen Tattoos an.
Hast du schon mal einen Auftrag abgelehnt?
Ja, das kommt öfter vor, z . B. wenn sich jemand etwas wünscht, dass ich mir einfach nicht vor-
stellen kann. Manche Leute wollen auch einfach zu viele verschiedene Elemente in einem Motiv haben. Oder wenn ich schon im Vorfeld, also beim Mailen mit dem Kunden, merke, dass das Vertrauen nicht da ist. Wenn jemand nicht wirklich Bock drauf hat, dass alles freehand gemacht wird, mit einem ganz konkreten Motiv im Kopf zu mir kommt, dann kann ich ihm seinen Wunsch nicht erfüllen – ich kann ja nicht in seinen Kopf hineingucken.
Was war das Abgefahrenste, das sich ein Kunde je gewünscht hat?
Auf einer Tattoo-Convention in Krakau hab ich jemandem eine Fischgräte auf den Penis tätowiert – mit gefühlten 500 Leuten drum herum, die die Handys drauf-gehalten haben. Das war ziemlich freaky.
Der Artikel ist in der curt Ausgabe #79 erschienen.
Interview: Julia Fell. Selbstversuch: Patricia Breu. Fotos: Johannes Mairhofer