Das neue Jahr naht und damit auch die guten Vorsätze. Und die des Exhäftlings Oscar Grant (Michael B. Jordan) lauten: wieder von vorne anzufangen, alles besser zu machen. Mehr für seine Freundin Sophina (Melonie Diaz) da zu sein, für seine kleine Tochter. Ehrlicher zu sein. Einen neuen Job zu finden. Große Pläne also, und die gilt es an Silvester auch richtig zu feiern. Zusammen mit Freunden will er deshalb nach San Francisco fahren, um dort das Jahr 2009 zu begrüßen. Es wird die letzte Bahnfahrt seines Lebens sein.
In einer Rezension das Ende eines Films zu verraten, ist so ziemlich das größte No-Go, das man sich vorstellen kann. Außer natürlich jeder kennt es schon. Und die Chancen stehen gut, dass das hier der Fall ist, denn der skandalöse Tod von Oscar Grant, der von einem Bahnpolizisten erschossen wurde, führte in den USA zu größeren Ausschreitungen, die selbst hierzulande für Wellen sorgten. Darüber noch einen Film drehen zu wollen, das riecht nach geschmackloser Ausschlachtung einer Tragödie. Und überhaupt: Was will man über ein medial so breit getretenes Ereignis noch erzählen?
Die Antwort von Ryan Coogler ist überraschend: Er konzentriert sich gar nicht so sehr auf den fatalen Moment, als Oscar und seine Freunde mit der Polizei aneinandergeraten. Stattdessen wendet sich der Regisseur und Drehbuchautor dem Protagonisten selbst zu, schildert seine letzten Stunden, zeigt uns, wer dieser Mensch eigentlich war, der eine so traurige Berühmtheit erlangte. Die Idee dahinter ist einfach, einleuchtend und gleichzeitig hundsgemein. So schockierend Unglücksfälle wie der von Grant auch akut sein mögen, sie verblassen relativ schnell – schließlich ist es schwer, mit einem anonymen Namen aus der Zeitung tatsächlich mitzufühlen. Indem wir ihn aber kennen, zumindest ein wenig, entfaltet das Ende erst seine richtige Wirkung.
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Auf diese Weise muss Coogler auch gar nicht groß auf die Tränendrüse drücken, er lässt die Geschichte einfach für sich sprechen. In kurzen nicht zusammenhängenden Episoden bekommen wir einen Einblick in das Leben Grants. Dabei weckt „Nächster Halt: Fruitvale Station“ bewusst auch den Eindruck, Videos aus dem Familienarchiv zusammengeklaubt zu haben. Durch den Einsatz einer Handkamera sind wir nah dran am Geschehen, Hintergrundmusik gibt es fast keine. Und wenn doch, ist sie so sparsam und organisch mit den natürlichen Geräuschen kombiniert, dass sie kaum auffällt.
Natürlich, ein unvoreingenommener Beobachter ist Coogler nicht. Er macht keinen Hehl daraus, dass er selbst von der Geschichte damals aufgewühlt war und begegnet Grant daher auch mit sehr viel Sympathie. Dessen diversen Vergehen und Schwächen verschweigt er zwar nicht, schiebt sie aber rasch beiseite. Verkörpert durch Michael B. Jordan, der ebenso wie die Nebendarstellerinnen Melonie Diaz und Octavia Spencer eine hervorragende Leistung abgibt, entsteht so das warmherzige und bewegende Porträt eines Mannes, der trotz seiner Fehler ein guter Mensch hätte sein können – wenn man ihn gelassen hätte.
Fazit: Abhaken, vergessen? Das ist bei „Nächster Halt: Fruitvale Station“ kaum möglich. Indem der Film uns erzählt, welcher Mensch sich hinter der Schlagzeile verbarg, wird die Geschichte um den fahrlässig getöteten Oscar Grant zu einem brutalen Drama, das einen nicht mehr loslässt.
Wertung: 9 von 10
Regie: Ryan Coogler // Darsteller: Michael B. Jordan, Melonie Diaz, Octavia Spencer // VÖ: 2. Oktober 2014