Zu Hause ein Star, in der Fremde ein Nobody. Wie gleichgültig der Rest der Welt der einstigen Popgröße England gegenübersteht, zeigte sich in den letzten Jahren wunderbar an Bombay Bicycle Club. In ihrer Heimat erhielten sie für ihre ersten drei Alben goldene Schallplatten – oder was auch immer man heute dazu sagt –, Nummer vier erreichte gerade sogar die Spitze der Charts. Und in Deutschland? Da ist man schon froh, unter die ersten Hundert zu kommen. Dass die vier Jungs aus London ständig ihren Musikstil ändern, mal Indierock machen, dann wieder Dancepop, zwischendurch auch mal Folk, dürfte die Sache mit der Fangemeinde auch nicht unbedingt vereinfachen. Da wird schnell der Vorwurf der Beliebigkeit hervorgekramt, die Befürchtung, hier wird einfach alles mal ausprobiert, bis man dann endlich die Welt erobert hat.
Mindestens ebenso wahrscheinlich ist aber, dass hier einfach nur ein paar junge Leute mit offenen Augen (plus Ohren) durch die Welt stolpern und aufgreifen, was sie gerade so vorfinden und gut finden. Und das zeigt sich auch an Longplayer Nummer vier „So Long, See You Tomorrow“, bei dem man auch nach 45 Minuten nicht genau weiß, was das eben eigentlich war. Er war eine Weile unterwegs, in Japan und Indien, den Niederlanden, Türkei, das weiß man von Lead Singer und Komponist Jack Steadman. Und diese ungleichen Eindrücke spiegeln sich auch in den zehn Liedern wider. Bei „Feel“ etwa baute man ein Bollywoodsample ein und vermischte das mit Computerklängen.
Wenn man wollte, könnte man sich also als musikalischer Detektiv versuchen und die einzelnen Soundelemente einem Land, einem Einfluss oder zumindest einem Genre zuordnen. Man kann es aber auch bleiben lassen und einfach nur ein bisschen Spaß haben. Das klappt bei der Vorabsingle „Carry Me“ beispielsweise wunderbar, die mit stampfenden Drums und mehrstimmigen Gesängen unserer Vorstellung von Indierock vielleicht noch am nächsten kommt. Wären da nicht die ständigen Tempowechsel.
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Auch an anderer Stelle pfeifen Bombay Bicycle Club darauf, Songs eine durchgängige Identität zu geben. „Whenever, Wherever“ möchte einem zunächst weismachen, eine melancholische Ballade zu sein. Aber dann entschied man sich doch dafür, einen Gang zuzulegen, die Drum Machine anzuschmeißen und eine Gute-Laune-Hymne unters Volk zu bringen, nur um ganz zum Schluss doch wieder zum Anfang zurückzukehren. Sentimental wird das Album aber ohnehin nie, der Spaß am Rumprobieren ist dafür einfach zu groß. Selbst bei der aktuellen Single „Luna“ – bei dem Titel eine Steilvorlage par excellence für Schmachtfetzen – steht eher eine Mitternachtsparty auf der Tagesordnung, weniger das Anheulen des Mondes.
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Ein bisschen ungewöhnlich ist das schon; um das Album zu genießen, wäre es daher nicht verkehrt, die verspielte Experimentierfreudigkeit der Jungs zu teilen. Textlich sind Bombay Bicycle Club dafür weniger ambitioniert und halten die Lyrics simpel. So simpel, dass man manchmal schon dem Nonsens recht nahe kommt. Aber wer bei der musikalischen Wundertüte auf den Sinn wartet, der hat das Projekt ohnehin nicht verstanden. Zugegeben, das haben vermutlich nicht mal die vier Bandmitglieder. Aber genau das macht den Charme aus. Oder wie sie es im Titel- und Abschlusslied „So Long, See You Tomorrow“ so treffend ausdrücken:
„When you reign it down lights come
You’re packing up packing up
I won’t see you again
But you have made you have made it up
Keep going round and round and round“
Der Karneval ist vorbei, man packt seine Sachen und schaut dann, was der nächste Tag so bringt. Das nächste Album. Die nächste Reise.
Bis es so weit ist, darf man Bombay Bicycle Club bei ihrem Zwischenstopp in München nächsten Sonntag zuschauen. Zumindest wenn man das Glück hatte, sich rechtzeitig Karten fürs Backstage besorgt zu haben, denn die sind inzwischen leider ausverkauft.
Bombay Bicycle Club „So Long, See You Tomorrow“ Caroline (Universal) VÖ: 7. Februar 2014
TEXT: Oliver Armknecht