Wir haben es mal wieder geschafft. 50 Wochen lang haben wir jetzt wieder unsere Ruhe vor dem größten Missverständnis in der Geschichte Bayerns: der Wiesn. Unter dem Vorwand, Bayern zu zeigen, wie es ist, schießt dieser 16-tägige Stimmungsunfall nämlich Jahr für Jahr unanständiger am Ziel vorbei und zeigt ein Bild, das mit Bayern ungefähr so viel zu tun hat wie Reherl mit Rehen (wer den Unterschied nicht kennt möge googlen und anschließend unbedingt weiterlesen).
Ein realistisches Bild von Bayern zu zeichnen, ist ungleich schwerer, denn die Wahrheit liegt im Detail. Der feine Unterschied zwischen Bier und Delirium, zwischen Tradition und Volkstümlichkeit, zwischen Kulturgut und dem Fliegerlied. Die Schönheit Bayerns ist in seiner Zwiespältigkeit begründet, in dem Miteinander von atemberaubender Schönheit und düsterner Härte des Lebens.
Zwei Männer, die sich diesem recht unpopulistischen Heimatgedanken verschrieben haben, sind Gerd Baumann und Sebastian Horn – der eine einer der erfolgreichsten deutschen Filmmusikkomponisten der letzten Jahrzehnte, der andere alpenländische Legende der Rock-, Pop- und Countrymusik. Was zuerst als Soundtrack für den mittlerweile legendären Niederbayernkrimi „Sau Nummer vier“ gedacht war, erscheint nun als ganzes Album.
Auch ohne Film entstehen hier sofort Bilder wohliger Finsternis und Melancholie, die trotzdem eine tief empfundene Lebensfreude ausstrahlen – allerdings eben auf eine sehr eigene Art. „Der Himme is blau, und mir draht’s die Gurgel zua. / Olle san guad drauf, oba i drah langsam duach“ singt Sebastian Horn mit seiner tiefen und doch zerbrechlich wirkenden Stimme im Opener „Himmeblau“ und weckt Assoziationen zum Oktoberfest, um dann klarzustellen: „Mi zerfrisst der Kummer / i stirb jeden Dog“. Der direkt darauffolgende „Deifedanz“ dagegen erzählt vom – erfolgreichen – Kampf mit dem Teufel, die pure Energie sprüht dabei aus jedem einzelnen Ton.
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Die Lieder vom Unterholz sind ein Stück Bayern, das fernab von Folklore und Brauchtum existiert. Ein Bayern, das für Partytouristen vollkommen uninteressant sein mag, dafür allerdings für ernstzunehmende Bayern – und auch ernsthaft zuagroaßten Preißn – eine echte Heimat darstellt. Jede der 15 Geschichten ist bereits für sich ein echtes Kleinod. Zusammengenommen ergeben sie einen Schatz – der 52 Wochen im Jahr hervorragend zu diesem Land passt.
TIPP: Der Niederbayernkrimi „Paradies 505“ mit der Musik von Dreiviertelblut läuft am 19. Oktober um 20.15 Uhr im Bayerischen Fernsehen. Der Vorgänger „Sau Nummer vier“ wird im Anschluss als Wiederholung gezeigt.
TEXT: Sebastian Klug