Eddi Reader Rezension Vagabond curt München
Foto: Genevieve Stevenson

Gehört: Eddi Reader – „Vagabond“

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„Too many people take second best
But I won’t take anything less
It’s got to be perfect“

Gleich mit der ersten Single einen Nummer-1-Erfolg feiern zu können, perfekter könnte der Einstieg ins Musikbusiness wohl kaum sein. Wenn man daran jedoch nie anschließen kann, mehr noch, die Band nach nur einem Album auflöst, ist es nicht überraschend, wenn einen rund 25 Jahre später höchstens Musikhistoriker noch kennen. Siehe Fairground Attraction, die 1988 mit „Perfect“ den ultimativen Ohrwurm ablieferten, sich aber schon ein Jahr später im Streit wieder trennten. Immerhin durften sich Freunde feiner Folkmusik in Folge über eine Reihe richtig schöner Soloalben von Frontfrau Eddi Reader freuen. Und das gilt auch für Longplayer Nummer zehn, „Vagabond“, mit dem sich die Sängerin nach fünf Jahren Pause vor einigen Tagen zurückmeldete.

Viel geändert hat sich nicht, noch immer stehen bei ihr unaufgeregte Folknummern im Mittelpunkt. Bei „Buain Ná Rainich (Fairy Love Song)“ etwa kramte die Schottin tief im Familienfundus und entdeckte im Nachlass ihres Onkels ein altes Volkslied, das uns mit seinem getragenen Tempo und den teilweise gälischen Texten weit in die Vergangenheit mitnimmt. Es ist nicht die einzige Coverversion, beim Opener „I’ll Never Be The Same“ entstaubte sie eine nicht übermäßig bekannte Jazznummer von anno dazumal. Textlich auf der melancholischen Seite angesiedelt, wird daraus bei Reader nicht zuletzt durch das verspielte Pianosolo ein überaus beschwingter Einstieg.

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Immer wieder wechselt sie auf den kommenden dreizehn Liedern zwischen diesen beiden Polen hin und her: klassischer, teils sehr traditioneller Folk auf der einen, schwungvoller Jazz auf der anderen Seite. Eine solche Mischung dürfte eigentlich gar nicht funktionieren. Eigentlich. Wäre da nicht diese Stimme. Auch mit 54 Jahren ist sie so glasklar wie eh und je, thront über den Stücken – welchem Genre sie auch angehören – und hält so bei „Vagabonds“ zusammen, was sonst nicht zusammengehört.

Andererseits passt genau diese Heterogenität natürlich zu einem Album, das sich dem ziellosen Wandern verschrieben hat. Einem Wandern, das von Fernweh getrieben ist wie in dem schwärmerischen Titellied oder Abschlusstrack „It’s A Beautiful Night“. Mit diesen beiden klassischen Reader-Nummern im Rücken kann man sie quasi vor sich sehen, die lange, verstaubte Straße auf dem Weg zum Sonnenuntergang. Manchmal führt sie der während der Reise auch in ein verträumtes Straßencafé (das teils auf Französisch gesungene „Midnight in Paris 1979“) oder in verrauchte Hafenbars („Baby’s Boat“).

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Doch wo auch immer sie sich nun gerade herumtreibt, alles wirkt aus einem Guss und ohne nennenswerte Schwächen. Einige Lieder stechen sicher etwas mehr hervor als andere, wenn zum Beispiel das Akkordeon ausgepackt wird, insgesamt ist aber auch „Vagabonds“ wie seine Vorgänger ein sehr harmonisches Album geworden. Das könnten manche Hörer vielleicht langweilig finden oder ein bisschen zu kunstvoll. Denn trotz der staubigen Straßen und der verfallenen Notenblätter ist Readers Musik alles andere als dreckig, vielmehr elegant, ein bisschen nostalgisch und aus der Zeit gefallen. Und auch wahnsinnig schön. Für die heutigen Charts ist das sicher weniger geeignet, den Geheimtippstatus wird Eddi Reader also auch 2014 nicht ablegen können. Aber wen an trüben Tagen das Fernweh und die Sehnsucht packt, findet mit dem Album hier einen rundum gelungenen Begleiter.

TEXT: Oliver Armknecht

Aufmacherfoto: Genevieve Stevenson