Als 2008 nach unzähligen Verschiebungen doch noch „Chinese Democracy“ der Guns N’Roses erschien, meinte man das am längsten erwarte Album aller Zeiten vor sich zu haben. Doch während Fans der Gunners „nur“ 15 Jahre auf Nachschub warten mussten, schaffte es jetzt eine hierzulande nicht ganz so bekannte Band, das noch einmal um zwei Jahre zu toppen: Mazzy Star. Seit dem 1996er „Among My Swans“ hatte es kein neues Album des amerikanischen Duos gegeben, nicht einmal ein „Greatest Hits“ war uns vergönnt.
Es sind sogar fast zwanzig Jahre vergangen, seitdem die Shoegazer mit der verträumten Highway-Ballade „Fade Into You“ die Alternative-Charts stürmten – zu einer Zeit als Alternative auch wirklich noch bedeutete, anders zu sein. Wirklich untätig waren der Gitarrist David Roback und Sängerin Hope Sandoval seither nicht. Roback wirkte zum Beispiel am Soundtrack zu „Clean“ mit, Sandoval sang für diverse Elektro-Bands – unter anderem The Chemical Brothers und Massive Attack – und veröffentlichte zwei Soloalben, zuletzt das grandiose „Through the Devil Softly“ (2009).
Nun sind 17 Jahre eine verdammt lange Zeit. Musik, die damals noch relevant war wie Britpop oder Trip Hop, ist schon vor vielen Jahren in Vergessenheit geraten. Umso größer die Neugierde, wie Mazzy Star wohl heute klingen würden. Kurz gesagt: Nicht groß anders als damals auch. Wäre „Seasons of Your Day“ 1998/99 erschienen, wäre es die logische Fortsetzung des Vorgängers gewesen. Das mag für manche enttäuschend sein, die vielleicht eine Weiterentwicklung erhofft hatten. Gleichzeitig ist die Zeitlosigkeit aber auch konsequent, denn das Duo klang schon zu seiner Hochzeit so, als wären sie aus der Zeit gefallen, irgendwo in den Mitternachtsstunden gefangen, zu der selbst die Uhren schon träumen.
Und wenn die Songs so gut ausfallen wie hier, sollte das auch die wenigsten stören. Geradezu majestätisch schreitet Opener „In the Kingdom“ voran, unterstützt vom warmen Klang der Orgel. Überhaupt wirkt das Album heller als ihre frühen Alben. Gerade die beiden Singles „Common Burn“ und „California“ sind geradezu lichtdurchflutet. Eine Surferhymne sollte man natürlich trotz allem nicht erwarten. Und auch vom fröhlichen Bangles-Pop ist man noch weit entfernt. Vielmehr darf man hier innerlich den letzten Sonnenstrahlen zuschauen, die auf dem Meer glitzern, bevor es auf „Seasons of Your Day“ wieder rauer wird, dunkler, melancholischer.
Beim Titellied etwa wird noch mehr von dem ohnehin schon nicht besonders hohen Tempo rausgenommen und Sandoval singt mit ihrer typisch hauchenden Stimme über eine schwierige Liebe, ohne sich jedoch je dem Kitsch hinzugeben:
Won’t you let me come inside?
I’ve released all of my pride
I know you’re alone because I’ve been there
I was storming all of the day outside your door
„Flying Low“ wiederum wirkt, als stünde die Sängerin auf einer Bühne eines dreckigen Saloons stehen, erweitert die Musik mit Blues- und Countryanleihen. Und spätestens wenn sie in „Sparrow“ von kalten Augen und einem Lächeln aus Lehm singt, sind wir angekommen, in einer Nacht so finster, dass nur noch die weiten Straßen, die sich einsam durchs Land ziehen, Trost spenden. Doch auch das ist nicht das Ende, die Jahreszeiten des Tages schließen in „Lay Myself Down“ mit den ersten Sonnenstrahlen des Morgens:
Would I forget
Laying myself down
Just to regret
And that’s all
Fans, die nach 17 Jahren langen endlich wieder ein neues Album des Alternative-Duos in Händen halten dürfen, haben also allen Grund zur Freude: Mazzy Star sind zurück und haben zehn traumhafte Lieder im Gepäck. Insgesamt heller und wärmer als früher haucht sich Hope Sandoval wie eh und je durch „Seasons of Your Day“ und begleitet uns einen Tag lang, vom Sonnenuntergang durch die finsterste Nacht bis zum Morgengrauen. Bleibt nur zu hoffen, dass die beiden sich das nächste Mal nicht ganz so viel Zeit lassen.
TEXT: Oliver Armknecht