So schön ein jugendliches Aussehen meist sein mag, manchmal kann es auch ganz schön unpraktisch sein. Nehmen wir Samantha Crain. Die ist mittlerweile immerhin 27 Jahre alt, würde aber auch glatt noch als Teenie durchgehen. Und das verträgt sich nicht so gut mit ihren Ambitionen, als Künstlerin ernstgenommen zu werden. Was macht Samantha also? Nennt ihr drittes Album „Kid Face“ und nimmt so ihren Kritikern so den Wind aus den Segeln, noch bevor sie den ersten Ton gesungen hat.
Ihr bislang persönlichstes Album soll es sein, mit Texten, die ihr am Herzen liegen, so kündigte die Sängerin ihr neuestes Werk an. Das übliche PR-Geschwätz oder doch Herzensangelegenheit? Schließlich behauptet jedes Teenie-Idol von sich gerne, jetzt deutlich gereifter zu sein. Mit Hochglanzposterpop hat die Amerikanerin aber zum Glück wenig am Hut, auch wenn Opener „Never Going Back“ überraschend flott daherkommt. Wenn Vergleiche anstehen, dann jedoch mehr mit Folkpop à la Amy Macdonald, weniger Britney Spears & Co.
[display_video youtube=e8OahmSHqsA]
Schon in Lied Nummer zwei „Taught to Lie“ flirtet sie zudem mit Country. Der eher raueren Version wohlgemerkt, die von Ursprünglichkeit und weiten Landschaften erzählt. Cowboyhut-Howdy-Nummern haben da also nur wenig zu suchen. Wie weit sie von den glattgebügelten Kollegen aus Nashville entfernt ist, zeigt sich spätestens beim nächsten Track, dem grandiosen „Paint“. „I try not to disappear, into the shadow“ singt sie da und man kann sie sich richtig vorstellen, die unberührten, verborgenen Orte, die Amerika selbst vergessen hat. Abgelegene und trostlose Gegenden, wie man sie aus dem Film „Winter’s Bone“ kennt.
[display_video youtube=x59qpfhLF7I]
So wie hier ist auch der Rest des Albums eher spärlich instrumentiert und – abgesehen von „Somewhere All The Time“ – im unteren Tempo angesiedelt. Die Texte sind tatsächlich persönlicher Natur, fast so, als hätte sie ihren Notizblock mit ins Tonstudio genommen und direkt vom Blatt heruntergesungen. Das bedeutet natürlich auch, dass sie eher simpel sind, was hier aber ganz gut zu der ungeschminkten Musik passt. Das Aushängestück von „Kid Face“ ist ohnehin die Stimme von Samantha Crain. Wenn sie voller Inbrunst und einem leichten Wimmern ihr Innerstes nach außen kehrt, werden Erinnerungen an Hippie-Ikone Melanie wach, die vor bald fünfzig Jahren ganz ähnlich klang.
Insgesamt wirken die elf Tracks natürlich etwas altmodisch. Hip ist die von einem nordamerikanischen Indianerstamm abstammende Sängerin also nicht, will es vermutlich auch gar nicht sein. Das kann man belächeln, wenn man mag. Man kann sich aber auch darüber freuen, dass hier mal wieder jemand einfach nur seine Musik durchziehen will, ohne dabei auf angesagte Trends zu schielen. Vor allem, wenn dabei auch noch so schöne Lieder wie „We’ve Been Found“ herauskommen, mit dem Samantha das Album zu einem melancholischen Ende führt.
„They hide in the trees around the meadow
Craving on pure liquid metal
We dropped our guard“
Schön also, dass mit fast einjähriger Verspätung „Kid Face“ doch noch hierzulande erscheint. Wer sich beeilt, bekommt bei der ersten Auflage übrigens noch eine zweite CD mit fünf weiteren Liedern dazu. Beeilen sollte sich auch, wer die zierliche Samantha einmal live erleben will. Am 5. Februar spielt sie als Vorband von Deer Tick im Ampere und curt verlost 3×2 Tickets dazu. Spätestens jetzt solltet ihr also schleunigst eine Mail an unsere Glücksfee auf den Weg schicken.
TEXT: Oliver Armknecht