Gerhard Polt
Illu_ Andy Weixler

Im Gespräch: Gerhard Polt

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Gerhard Polt, geboren 1942 und aufgewachsen in München, wohnt inzwischen am Schliersee. Einige Monate im Jahr verbringt er in Terracina, im Süden Italiens.

Lecko mio  –  eine schöne Verbindung von Italienisch und Bairisch. Das Italienische klingt sehr verwandt mit dem Bairischen, mehr als mit Hochdeutsch.
Sicher, klar. Weil das Bairische sehr vokalreich ist und das Italienische auch.

Wann hast du Italienisch gelernt?
So konzentriert hab ich das nie gelernt. Ich hab mir schon mal ein Buch genommen, aber im Wesentlichen über die Medien und die Leute gelernt. Durch das blanke Reden und Zuhören, durchs Lauschen. Im Italienischen gibt es eine Entsprechung für die deutsche Wendung „Vom Regen in die Traufe“. Nämlich: „Von der Pfanne auf den Grill“.  „Dalla padella alla brace!“ Also von der Pfanne ins Feuer. Diese symbolischen Beschreibungen gibt’s ja in jeder Sprache. Aber was noch besonders ist bei Italienisch und Bairisch: Weil Italien so nah ist und aufgrund der Kontakte gibt es im bairischen Dialekt unglaublich viele Wörter, die aus dem Italienischen kommen. Also, ich mein jetzt bewusst Italienisch, nicht lateinische Fremdwörter oder so. Wie Stubn, das kommt von stufa, der Ofen. Oder Strizzi von strizzare, das heißt auswinden; ein Strizzi ist also ein Ausgewundener. Oder Stuzal von stuzzicadenti, der Zahnstocher; der ist auch gestutzt. Oder auch schön: etwas dachen, wenn jemand was mitgehen lässt. Und taccheggiare heißt Ladendiebstahl begehen. Auch im Kasperltheater der Kasperl Larifari. Was das genau heißt, weiß ich jetzt leider nicht. Aber fari sind auf jeden Fall die Lichter, und das kommt auch aus dem Italienischen. Wer mit solchen Wortbildungen viel gearbeitet hat, das war der Carl Orff, mit der Carmina Burana oder Astutuli, die Schlaumeier, des san die ganz Gscheidn. Der Carl Orff hat sich dessen sehr stark bedient, weil er auch wusste, wie stark so lautmalerische italienische Wörter, wie kokolores zum Beispiel, im Bairischen verwendet werden. Das Bairische hat ja schon eine Ähnlichkeit, weil in weiten Teilen Italiens wird auch das Zungen-R geredet, wie im Bairischen. Es gibt zwar in Italien auch Zonen, wo es das Zäpfchen-R gibt, aber das Zungen-R ist am meisten verbreitet. Und dann, wie gesagt, durch den Vokal-reichtum hast du eine Ähnlichkeit mit dem Bairischen, weil die auch
so offen reden.

Kann man das grob datieren, wann diese Wörter ins Bairische gekommen sind?
Es hat ja schon vor Mozarts Zeiten kaum einen Musiker gegeben, der nicht irgendwie mit dem Italienischen umgegangen wäre. Italienisch und Französisch waren halt die zwei Sprachen für die Künstler, auch die Maler. Die sind alle nach Italien gegangen und haben ihre Kenntnisse mitgebracht. Denk auch an die Lüftlmaler: Da sind Leute gekommen, um die Häuser anzumalen, das waren alles Italiener. Die Verbindung Italien-Bayern, die ist immer enorm stark gewesen. Auch über den Wein. Und damit auch die Begriffe. Ich glaub auch, dass das Wort Knödel oder Nocken von dem Italienischen gnocchi kommt. Und der Norddeutsche sagt auch gern notschi.

Wenn du in Italien bist, was fehlt dir dann von hier?
Ich vermiss ja nix, ich bin ja nicht im Gefängnis in Italien. Ich vermiss ehrlich g’sagt gar nix.

Und auf was freust du dich, wenn du wieder zurückkommst?
Das Einzige wär jetzt vielleicht beim Essen: Eine Geschmacksrichtung, die es in Italien nicht gibt, das ist das Süßsaure, also das Wurstsalatartige. Italiener würden nie Essig mit Zwiebeln in dieser Form essen. Ich glaub auch, einen Obazdn wird’s da nicht geben. Es gibt einfach so Grundgewürze. Die Italiener verwenden zum Beispiel komischerweise keinen Dill oder sehr selten. Dill ist eine Pflanze, die vom Süden kommt, aber in Italien relativ selten benutzt wird. Kümmel auch, komischerweise.

Wo ist der Unterschied, wenn man in München in ein Wirtshaus geht und in Rom?
Das weiß ich nicht. Weil das kommt drauf an, wo in Rom und bei uns genauso. Ob du in dem Münchner Lokal gut essen kannst oder schlecht.

Danebenliegen kann man in beiden Fällen.
Ja, das ist eine sehr individuelle Frage. Du kannst in Rom in eine sogenannte Falle gehen, das heißt auf Italienisch intrappolato – in die Falle gegangen. Das kann dir hier aber auch passieren. Was nach wie vor ein grundsätzlicher Unterschied ist, glaub ich, dass du bei uns da den Salat schon angerichtet bekommst, und da dorten würzt du ihn dir selber. Du bekommst Salat, Öl, Essig – alles extra. Wobei man sagen muss, in Süditalien war der Essig früher gar nicht so bekannt. Die haben alles mit Zitrone gesäuert, Salz und Zitrone. Aber nicht mit Essig. Es gibt den berühmten Essig aus Modena, wo eine Essigkultur ist, der Balsamico, der auch 30, 40, 50 Jahre alt sein kann. Und das ist ein Gewürz, das man nur tropfenweise benutzt.

In Italien hat sich das Essen auch sehr verändert. Es ist erst in der Mussolini-Zeit passiert, dass die Süditaliener den Reis kennengelernt haben. Den hat es zuvor nur im Norden gegeben. Die Italiener haben das größte Reisanbauland in Europa mit mindestens vierzig verschiedenen Reissorten. Oder Polenta, Maismehl, das ist typisch für den Norden, das hat es früher im Süden auch nicht gegeben. Das ist alles runtergebracht worden. Dafür gab es aber auch Leute, die vom Norden runtergekommen sind, um die Pontinischen Sümpfe freizulegen. Die haben noch nie in ihrem Leben eine Olive gesehen.

Gibt es denn auch andersrum Begriffe im Italienischen, die aus dem Deutschen kommen?
Ja, Blitz zum Beispiel. Das kommt natürlich aus dem Militärischen, von Blitzkrieg. Aber interessant ist, wenn die Italiener eine Razzia machen – also so wie wir das in Deutschland verwenden, nämlich fälschlicherweise als Polizeirazzia, wo die bei Verbrechen auf die Suche gehen. Im Italienischen ist Razzia eher ein Überfall, aber im negativen Sinn. Und zu einer Polizeiaktion, die wir als Razzia bezeichnen, sagen die Italiener Blitz. „La policia ha fatto un blitz!“ Also wenn irgendwelche mafiosen Leute verhaftet werden, dann ist das ein Blitz. Oder ein Wort, das manchmal in der Zeitung gebraucht wird, ist Leitmotiv. Es gibt schon ein paar Wörter, die aber vor allem in der Zeitungssprache verwendet werden. Oder zum Beispiel una kermesse, also eine Kirmes. Im Bairischen sagst du halt Dult.

Das ist ja mal wenigstens was Positives. Schöner als Blitz.
Ja. Manchmal sagen sie auch il panzer, meinen damit aber meistens Fußballspieler. Da hab ich das oft gehört: il panzer.

Gibt es in Italien eine Entsprechung zur bayerischen Volksmusik, wie sie typischerweise im Bierzelt gespielt wird?
Nein, da gibt es keine Entsprechung. Inzwischen haben sie zwar so was importiert, Oktoberfest in Carrara oder so was. Aber es gibt diese Form der Biermusik nicht. Es gibt schon die sogenannte sagra, sagra di polenta oder so, wo eine bestimmte Frucht angeboten wird und dazu gibt es Essen. Und dazu gibt es eine Musik, aber das ist was ganz anderes. In Italien gibt’s so etwas wie ein Bierzelt nicht. Drum gibt es auch diese Art der Musik nicht.

Dafür haben sie was, wo sie die Vorreiter waren. Das sind die Alleinunterhalter. Mit einer Rhythmusmaschine. Der drückt ein paar Knöpfe, da dröhnt ein ganzes Konzert raus, singt dazu, wenn er lustig ist, und wenn er zum Bieseln muss, drückt er  ein paar Knöpfe. Da fällt es gar nicht auf, dass er kurz weg ist.  Also diese Form von Alleinunterhalter ist ausgeprägt in Italien. Da ist wirklich nur dieser Kasten da. Irgendwann kommt er dann, macht ein paar blöde Sprüch’, dann gibt er die verschiedenen Instrumente ein, die dudeln dann da raus. Das ist wirklich irr! Bei Hochzeiten hab ich das oft schon gesehen.

Tastierista heißt er, wir sagen Alleinunterhalter oder so, aber halt mit Maschine. Der braucht nimmer selber spielen. Der braucht nur eine Steckdose, dann macht er Stimmung. Bei Stromausfall wär die Stimmung dahin. Dann sagt er: „Ham Sie ein Notaggregat? Sonst ist’s mit der Stimmung vorbei.“

Das Interview ist in der curt Ausgabe #81 „Lecko mio“ erschienen. Illustration: Andy Weixler >> Homepage