Im Gespräch: Grave Pleasures

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Vor 4 Jahren surften sie noch als Beastmilk auf der Apokalypse und sind in kürzester Zeit zum größten Exportschlager Finnlands in Sachen harten Riffs und dystopischen Weltuntergansfantasien geworden. Dann, oh Schock, der große Bruch. Nachdem der Hype um ihr Debüt „Climax“ noch nicht ganz verklungen war, soll es das also schon gewesen sein. Gott sei Dank ist aber auch Finnland ein Dorf und innerhalb der Szene kennt man sich bestens. Kurzerhand und mit gebührendem Respekt gegenüber den Gründungsmitgliedern erwuchs aus der Asche Beastmilks das neue Projekt mit Namen Grave Pleasures, um das Erbe anzutreten.

Im Jahr 2017 und mit erneutem Besetzungswechsel steht die Formation jedoch mehr denn je hinter den bekannten Topoi und veröffentlicht am 29. September mit „Motherblood“ ihr zweites Album, das Fans der alten Beastmilk-Zeiten sowie der Wiedergeburt mit Grave Pleasures versöhnen dürfte.

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Anlässlich dieses schwermütigen epischen Releases trafen wir Juho Vanhanen, den Oranssi-Pazuzu-Gitarristen und nach Mat „Kvohst“ McNerney maßgeblichen Übeltäter bei Grave Pleasures, auf ein extra schwarz gebrühtes Tässchen Tee.

Juho, die Bandgeschichte seit dem Durchbruch von Beastmilk ist ziemlich turbulent. Untereinander kennt ihr euch in verschiedenen Band-Konfigurationen aber schon ein Weilchen. War es schwierig für dich, als Nachzügler deinen Platz in dieser apokalyptischen Familie zu finden?

Nun, das war ganz witzig, denn als Matt dabei war, das neue Album zusammenzusetzen, stand die Band unter ziemlichem Zeitdruck. Ich sprang als Session-Gitarrist ein und wir machten aus, dass ich zumindest einen Teil der Shows begleiten würde. Doch als wir die ersten Shows spielten und das Line-up wieder einmal zusammenbrach, fragte mich Matt, ob ich nicht komplett einsteigen und ein Album schreiben will. Ich brauchte etwas Bedenkzeit, habe aber schnell gemerkt, dass ich das unbedingt tun will. Schon seit einer ganzen Weile mache ich sehr experimentelle progressive metalesque Sachen, stehe aber auch total auf Pop-Musik. Insofern war es für mich eine gute Gelegenheit, Letzteres einmal wirklich auszuprobieren.

Und das ist für dich so aufgegangen?

Ich fing an, einige Demos zu verschicken, und wir merkten schnell, dass wir bereits einige Songs in petto hatten. Zudem waren wir sehr froh darüber, so schnell an Aleksi an der Gitarre und Rainer an den Drums geraten zu sein. Wir passen nahezu perfekt zusammen und die ganzen Industrial- und Pop-Punk-Ästhetiker harmonieren gut. Ich hatte Glück, dass einigen Sessions eine feste Mitgliedschaft folgte und ich die Chance bekam, in eine poppigere Richtung weiter zu experimentieren.

Du bist selbst erst von einer Tour mit deiner eigenen Band Oranssi Pazuzu zurück, die sich ebenfalls in Szenekreisen einen Namen gemacht hat. Wie bringst du gleich zwei erfolgreiche Bands unter einen Hut?

Es bedarf verdammt viel Kalender-Browsing und man muss einige Dinge einfach gut timen. Das heißt, wenn eine Band gerade dabei ist, ein Album herauszubringen oder auf Tour geht, muss die andere Band dabei sein, neue Songs zu schreiben. Beide Bands können nicht gleichzeitig unterwegs sein, klar, aber es war sehr hilfreich, dass Matt mit seiner anderen Band Hexvessel beschäftigt ist. Das hat es etwas vereinfacht. Musikalisch oder künstlerisch gesehen, ist das aber sehr easy für mich. Ich fand es immer interessant, meine beiden Seiten auszuleben und neben den Noise-Dingen auch Popmusik innerhalb von Rockmusik zu verwirklichen. Experimentieren, aber auch sehr direkt Musik machen zu können, das gefällt mir wahnsinnig gut. Für mich fühlt es sich wie die perfekte Balance an. Ich hätte Angst, wäre diese Balance nicht da und wenn die beiden Ufer miteinander verschwimmen würden. Aber solange Musik mich bewegt, interessiert es mich nicht, in welchem Genre sie angesiedelt ist. Ich bin sehr glücklich, beide Seiten ausleben zu können.

In einem eurer Recording Diaries sprichst du von der „joy from the void“ und dem Zeitgeist, der uns prägt. Tatsächlich tickt die Doomsday Clock immer schneller. Ist das Heraufbeschwören dieser Dämonen für euch eine Art Ventil?

Definitiv! Für mich bedeutet der Grundgedanke hinter Grave Pleasures das Sich-Abfinden und Akzeptieren von negativen Aspekten im Leben. Wenn du aus den 80ern wie ich kommst, ist die ganze Welt bereits verdammt düster geworden. Aber sobald du das akzeptierst, kannst du auch das Leben mehr genießen. Es ist alles sehr absurd und hat eine komische Seite an sich. Sieh dich um: Wir sind wirklich am Arsch. (lacht) Du musst diese Dunkelheit der Dinge nehmen und einfach eine Party draus machen. Dieses Album „Motherblood“ bedeutet für mich das Ende der Welt. Doch man kann das akzeptieren und das Beste draus machen.

Also fast so wie bei REM und „it’s the end of the world as we know it“?

(lacht) Du hast es erfasst! Genau so stelle ich mir das vor, nur dass Grave Pleasures natürlich einen viel düsteren Grundanstrich haben.

Stehen diese dystopischen und spirituellen Elemente in eurer Musik denn wirklich so im Fokus? Seid ihr ein Stück weit sogar eine politische Band?

Ich denke nicht, dass wir auf diese eine Art politisch sind. Aber natürlich ist Kunst etwas, was den Dingen einen Spiegel vorhält. Man sieht die Welt und drückt sich aus. Wie fühlst du dich? Was filterst du für dich heraus? Es geht um die Existenz an sich. Zumindest bedeutet es für mich Musik zu machen, auch über meine Realität zu reflektieren. Ich sitze auf dieser Kugel, die durch das All rast und durch diese Leere reist. Das ist alles obskur, aber es fühlt sich für mich richtig an, das, was ich fühle, durch Musik zu äußern. Zudem ist es interessant zu sehen, wie die Leute ihrerseits darauf reagieren oder sich mit diesem Mindset identifizieren. Selbst wenn man seine Auffassung nicht in Worte fassen kann … Ich spiele und nehme Musik beispielsweise auf, um Menschen zu finden, die sich ebenfalls mit all dem auseinandersetzen.

Du siehst das also mehr als eine Art Meditation?

Exakt! Die Dinge sind mal oberflächlicher, manchmal haben sie aber auch einen Twist. Wenn man über die schlimmen Dinge im Leben nachdenkt, fallen einem auch immer die schönen Dinge ein. Das ist das Schöne an Musik, das man sich nicht immer entscheiden muss. Man kann sich einfach unheimlich vielfältig ausdrücken.

Auf eurem neuen Album „Motherblood“ habt ihr zu einer kraftvollen Form gefunden. Die Songs klingen allesamt sehr frisch und druckvoll, ein wenig anders als auf „Dreamcrash“. Manch einer wird sich zweifelsohne an „Climax“ von Beastmilk erinnert fühlen. War es eine bewusste Entscheidung, euch diesem Erbe zu stellen?

Es war eine Entscheidung in dem Sinne, dass wir ein Album machen wollten, dass sehr tanzbar ist, obwohl sich die Welt ihrem Ende zuneigt. Insofern war es eine bewusste Entscheidung und die beiden Alben verbindet sehr viel. Auch wenn ich finde, dass „Motherblood“ sehr viel emotionaler klingt als „Climax“. Es ist intimer, aber per definitionem haben wir kein Abziehbild geschaffen. Es ist auch sehr hypnotisch, was daher rührt, dass ich gerne mit Kraut-Musik hantiere. Es klingt definitiv nach dieser Richtung, doch auf der anderen Seite sollte es sehr industriell klingen, Industrial-Beats und all das. Aber diese „Cold War“- oder Post-Punk-Schiene wollte ich nicht bedienen, sondern etwas futuristischer vorgehen. Manchmal waren es auch die Beats, die vor dem Song entstanden sind. Refrains und Melodie folgten meist später.

Eben das meinte ich damit, dass „Motherblood“ frischer klingt. Dieses hypnotische Element kommt gut rüber.

Das ist schön zu hören! Ich denke, das wurde bisher nicht allzu sehr durchexerziert in populärer Musik. Diese Repetition kombiniert mit einem tanzbaren Hook gefällt mir sehr.

Vor einiger Zeit konnte ich einen Blick in die finnische Musikszene riskieren, als ich zwei sehr junge finnische Bands spielen sah. Rue Morgue und Cold Institution. Beide spielten eine sehr an Post-Punk erinnernde Melange, die mich an Größen wie Killing Joke erinnert, mit denen ihr erst vor Kurzem auf Tour wart. Kannst du mir sagen, was sich gerade musikalisch in Finnland tut.

Es gibt einige Bands in Finnland, die versuchen, etwas zu kopieren, was nicht aus Finnland kommt. Natürlich hat man seine Einflüsse immer von außen, aber ich denke, es gibt zu viele Bands, die Musik machen, weil sie einen Sound imitieren wollen. Was aber sehr cool hier ist, ist, dass es einige Bands gibt, die sehr professionell sein wollen und auch eine professionelle Karriere anstreben. Das ist das Erste, woran sie denken. Aber als Resultat dessen entwachsen daraus Bands, die auf alles scheißen, was dem Standard entspricht. Das ist für mich das, was an Finnland sehr interessant ist. Bands, die komplett ignorieren, was ihnen der Markt vorschreibt. Wenn das jemandem gefällt, dann cool, wenn nicht: Fuck you! Ich kenne mich nicht sehr mit irgendwelchen großen „Szenen“ hier aus, aber es gibt immer wieder Bands, gute Bands, die eine Szene bestimmen und in denen jeder mit jedem jammen kann, weil die Wellenlänge und der eigene Anspruch stimmen. Aber es gibt eben auch viele Bands, die musikalisch nur wenige Ambitionen haben, etwas Neues auszuprobieren.

Wir haben bereits über eure Einflüsse für „Motherblood“ gesprochen. Was hört eine Band mit einem solch distinktiven Sound, die thematisch so auf der Apokalypse surft, privat?

Ich höre in der Tat extrem viel Radiohead. Zumindest während der Aufnahmen. Ich finde, dass sie Pop-Musik auf ein ganz anderes Level heben, was mich dazu inspiriert, selbst neue Wege zu gehen. Ich höre aber auch eher klassische Musik oder elektronische Musik ohne Gitarre. Das ist auch etwas, was ich als sehr wichtig erachte, wenn man ein Rock- oder Metal-Album aufnimmt. Man braucht etwas, um mal von diesen verdammten E-Gitarren wegzukommen. Alte Jazz-Musik aber auch, wie John Coltrane … da fliehe ich gerne hin, oder zu den Beach Boys, wo wir wieder beim Surfen wären. (lacht)

Am 29. September erscheint das lang ersehnte Zweitwerk „Motherblood“ von Grave Pleasures bei Century Media. Und tatsächlich ist es ein schöner Schnappschuss des aktuellen Zeitgeists im freien Fall. Packt eure Gasmasken ein und tanzt mit bei der apokalyptischen Party. Der Fahrstuhl bewegt sich nur noch nach unten: The end is nigh!


Grave Pleasures – Motherblood // Century Media // VÖ: 29.09.2017 // > Homepage

Interview: Tim Brügmann > Homepage