Im Gespräch: Henriette Fridoline Schmidt & Benno Heisel

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Die freie Szene stellt sich vor #2

In dieser Interviewreihe stellt Mandana Mansouri exklusiv regelmäßig Künstler*innen der Freien Szene in München vor. Das Ziel der Reihe ist es Licht ins Dunkel zu bringen und natürlich am Ende des Tages immer der Weltfrieden. Für curt Leser*innen, die gerne gespoilert werden, gibt es auch eine Website


Henriette Fridoline Schmidt ist Schauspielerin, Sprecherin, Künstlerin, Dozentin und Yogalehrerin. Nach vielen Stationen samt einer Weltreise ist sie in München angekommen und betrachtet sich als liebevolle Menschenforscherin in allen Facetten. > Website

Benno Heisel ist freier Theatermacher aus München. Seit 2011 arbeitet er als Regisseur, Autor, Dramaturg, Schauspieler und Musiker in verschiedenen Konstellationen. Er war eine der treibenden Kräfte hinter der Gründung des Netzwerks Freie Szene, hat das HochX Theater und Live Art mit aufgebaut und freieszenemuc.de mitentwickelt und die letzten Jahre betrieben.

KOPFKINO ist eine Podcast-Reihe von Henriette Fridoline Schmidt und Benno Heisel in Koproduktion mit HochX Theater und Live Art. Texte junger Münchner Autor*innen laden zu einem literarischen Spaziergang durch München ein. Einfach Kopfhörer aufsetzen und losspazieren!


Foto: Jeanne Degraa

 

Was bedeutet es für dich ein Teil der freien Szene in München zu sein?
Henriette: Hm. Eigentlich komme ich gerade erst in der freien Szene an. Ich bin zwar schon eine Weile wieder in der Stadt und habe auch hier und da in der freien Szene München gespielt, kenne auch viele Leute – mit KOPFKINO habe ich aber das erste eigene Projekt realisieren können und das lässt mich nun erst wirklich ankommen.
Ich war lang im Staatstheater und die freie Szene hat mich immer sehr interessiert, weil ich das Gefühl hatte, die Künstler sind meist freier im Denken, als in einer festen Institution, wie dem Staatstheater. Sie müssen in meinen Augen einfach ganz andere Dinge leisten und mitbringen, als es das „große“ Theater verlangt – da ist der Schauspieler oft Dienstleister, (fast) weniger Künstler (wobei ich mehr sagen möchte: anderer Künstler). Seit ich freischaffend arbeite, weiß ich was es bedeutet, wie viel Mühe und Wissen dazugehört, um von der Kunst leben zu können. Da ist natürlich viel wirtschaftliches Denken dabei, gepaart mit einer hohen kreativen Triebkraft. Ich freue mich total auf alles, was mit KOPFKINO und der freien Szene hier noch passiert und bin ein wenig stolz, dass das Projekt in der freien Szene angenommen wurde, sogar unterstützt und gefördert wird. Mit Benno an der Seite habe ich natürlich einen der erfahrensten Freien an der Seite. Gel, Benno?

Benno: Auf eine Art. Und natürlich auch nicht, weil Freie Szene ja so vieles ist und so viele. Aber eines kann man auch nicht oft genug sagen: Was hier in den letzten 4-5 Jahren passiert ist, das macht mich schon sehr stolz. Und das hätte uns auch am Anfang keiner geglaubt, dass das in München wieder passieren kann. Als wir uns hier hingestellt haben und gesagt haben: „Nein, wir bleiben hier und machen hier Kunst – Mit und gegen diese Stadt – in der Freien Szene“ da war das eine komische und dämliche Idee. Aber ich hab hier schon als Jugendlicher walking acts gemacht und in Kneipen gespielt. Und ich hab hier gesehen, wie richtig gute Leute von der bärbeißigen Bräsigkeit und dem autoritären Gehabe einiger weniger vermeintlicher Szenegrößen platt gemacht wurden. Und das bei dieser Geschichte, die die Freie Szene der Stadt hat. Ich hab mir gesagt: Ich kann das so nicht lassen. Wir müssen uns hier solidarisieren, Netzwerke aufbauen, an die Struktur gehen. Und es ging nicht nur mir so.

Dann haben wir das Netzwerk gegründet, das HochX, und alles was noch an Mitteln zur gegenseitigen Stärkung passiert ist. Mit genug Gegenwind. Seitdem haben wir fast eine Verdoppelung der freien Projektmittel durchgeboxt, neue Förder-Instrumente, aber das Wichtigste ist: das Gefühl, jetzt hier zu arbeiten, ist so unglaublich schön, im Vergleich zu den frühen 10er Jahren. Und ab hier kann man so viel und lange weitersprechen. Aber eins ist klar: In München geht einfach wieder was.

Ihr habt euch im Frühjahr Kopfkino ausgedacht. Wie kam es dazu?
Henriette: Ausgedacht, naja. Ich wollte halt irgendwas MACHEN. Herrje, das ist ja kein Zustand, nur zu warten. Die Idee von KOPFKINO war schon länger eine Idee – ich hatte mich oft gefragt, was denn mein Gegenüber eigentlich denkt. In der Ursprungsfassung schrieben Autor*innen einen Stream of Conciousness, einen Gedankenstrom (Virginia Wolf kann das in Perfektion).
Im Frühjahr, als alles zu gemacht wurde, waren unglaublich viele Jogger und Spaziergänger unterwegs, jeder mit Ohrstöpsel im Kopf. Das hat mich noch neugieriger gemacht – was hören diese Leute, was denken sie? Benno und ich beschlossen, ein paar Autor*innen zu fragen, ob sie Lust haben zu schreiben. Mein guter Freund Willy Löster, Toningenieur, lieh mir ein Neumann U87, ein phantastisches Mikro, stellte ein richtiges Homestudio zu mir nach Hause und es kamen tatsächlich ganz schnell Texte. Die Vorgabe war einfach „ein Weg“, ca. 20-30 Minuten. Das Hoch X fand die Idee super, schnell fanden sich weitere Schreibwillige und Benno hatte Freude beim Bearbeiten. Und so versuchten wir Folge um Folge (jetzt kommt schon #11 raus) zu veröffentlichen. Jedes Mal sind es neue und exklusive Texte. Jeder ist anders und verlangt einen anderen Zugang und das ist so spannend und wertvoll und sehr frei für alle Beteiligten. Und: wir haben alle völlig ohne Budget angefangen. Ein paar Spenden haben uns Anerkennung und ein Taschengeld beschert. Das wir nun professioneller, mit eigenem Equipment weitermachen können ist – ich weiß gar nicht, wie ich meine Freude darüber ausdrücken kann. Wirklich, es ist phantastisch!

Foto: Jana Erb

 

Welche Herausforderung habt ihr dabei gemeistert?
Henriette: Covid-19. Aussagen wie „Laufende Projekte fördern wir leider nicht“ oder „ Oh, unser Budget ist leider verbraucht“. Nebenbei jobben, jobben, jobben und hoffen, dass das irgendwann vorbei geht. Und besonders: Jeder Text ist eine Herausforderung.
Benno: Ich habe im letzten Jahr eine Tochter bekommen und die ersten sieben Monate unserer Zusammenarbeit waren meine Elternzeit. Und das heißt für mich auch jetzt noch: Arbeit an den Folgen immer erst so ab zehn Uhr nachts, und anfangs gingen da nur so 6-8 Stunden pro Folge. Es ist alles skizzenhaft und direkt geworden, aber das ist auch eine Qualität. Müde war ich aber oft. Sehr müde.

Gibt es weitere Kunstformen, die dich interessieren? 
Henriette: Klar. Eigentlich alle. Körper finde ich faszinierend, in jeder Hinsicht. Und damit auch alles, was der Körper tun kann, inklusive Kunst zu schaffen. Ob Bühne, Performance, Tanz, Bild, Farbe, Material, Kino find ich geil, Literatur, Theater, klar: Kunst ist Lebensmittel, Lebenselexier.
Benno: Ich habe mich sowohl akademisch als auch praktisch sehr viel mit klassischer Medienkunst – insbesondere dem Schattentheater – beschäftigt. Und das tue ich auch weiterhin. Und ich schreibe ja Text und Musik und baue einfach immer an der Infrastruktur, die mir selbst genauso abgeht wie meinen Kolleg*innen. Das gehört für mich zu der Selbstbestimmtheit der Arbeit in der Freien Kunst: Die Arbeit an der Struktur und am Team ist Teil des Kunstwerks. 
Aber jetzt ganz konkret auch: für die Live-Folgen arbeite ich gerade an einer Art zeitgenössischer Kino-Orgel, die ich dann für die Musik der Performances durch die Straßen schieben kann. Das Ziel ist es, nicht nur den Sound der Stadt live aufnehmen und bearbeiten zu können, sondern auch elektrische Felder, Radiosignale, Bewegung, Licht und dokumentarisches Material. Und es hat ein selbstspielendes mechanisches Schlagzeug drin. Das Ganze in einem semimodularen Soundsystem mit Silent Disco Anlage und völlig DAWless (für die, denen das was sagt vielleicht ein extra Anreiz).

Wenn du dir etwas wünschen könntest, wen würdest du gerne unter den Zuhörer*innen wissen?
Henriette: Jeder, der Freude daran hat. Da mache ich keine Unterschiede. Du, Benno?
Benno: Vielleicht Leute, für die das der allererste Podcast ist, den sie anmachen? Im Sinne von: dass wir Menschen so neugierig machen, dass sie ihre Gewohnheiten in Frage stellen? Das wäre schon mal ein erster, schöner Schritt. Und den Rest müssen wir dann machen.


ONLINE STREAM
Den gesamten Podcast findet ihr auf der Seite des Hoch X Theater > Website und Live Art > Soundcloud

Am 15. Februar 2021 erscheint die nächste Folge.


TICKETS
Die Künstler*innen freuen sich über eure freiwilligen Beiträge. Diese stellen die Gage der Künstler*innen dar, da sie momentan kein Einkommen aus Liveauftritten generieren können.: Henriette Schmidt / DE69 5003 3300 2746 7046 00 / Santanderbank oder via Paypal an henriette-schmidt@web.de

Bitte beachten: Es handelt sich nicht um eine gemeinnützige Organisation, die Erteilung einer Spendenquittung ist daher nicht möglich.

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Fotos: Jana Erb, Jeanne Degraa