Serj Tankian ist schon längst nicht mehr nur der Sänger von System of a Down. Neben seinen politischen Aktivitäten wie z. B. die Gründung der gemeinnützigen Organisation Axis of Justice, in der sich Musiker, Fans und politische Aktivisten im Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit engagieren, oder mit seinem Film Screamers, der den Völkermord an den Armeniern thematisiert, hat er in den letzten Jahren seine künstlerischen und musikalischen Fühler weiter ausgestreckt.
Seit 2007 ist Serj Tankian solo unterwegs. Für sein erstes Album „Elect the Dead“ ließ er für jedes der zwölf Titel ein eigenes Video drehen. Dass ihm Rock als Genre nicht mehr ausreicht, wurde spätestens mit der Version „Elect the Dead Symphony“ klar. Seinen Ausflug in die Orchesterwelt hat er auch im zweiten Album „Imperfect Harmonies“ einfließen lassen. Zudem hat Serj sein eigenes Label, mit dem er Musiker und Bands unterstützt, die im Mainstream-Musikmarkt keine Chance hätten. Zusätzlich zu all diesen Projekten schrieb er die Musik für das Rock-Musical Prometheus Bound. Außerdem widmete er sich seiner Poesie-Leidenschaft und veröffentlichte zwei Gedichtbände „Cool Gardens“ und „Glaring Through Oblivion“.
Nach einer kurzen Reunion-Tour 2011 mit System of a Down sorgt Serj derzeit für Aufregung mit vier neuen Solo-Alben. Jedes davon steht im Zeichen eines anderen Genres. Mit „Harakiri“, das im Juli erschien, kehrt er zurück zu seinen musikalischen Wurzeln im Rock und Punk-Rock. Die Texte sind eine Anklage gegen die moderne Menschheit, gegen Massentierhaltung und den schleichenden Mord an Mutter Erde. Es folgen mit „Jazz-Iz-Christ“ ein Jazz-Werk, ein Abstecher in die elektronische Musik mit „Fuktronic“ und mit „Orca“ seine erste Symphonie. Für die Neugierigen unter euch gibt es Hörproben auf seiner Seite.
Ab September 2012 war Serj Tankian auf Tour, darunter bei vier Termine in Deutschland. curt präsentierte das Konzert im Oktober in der TonHalle. Vorab hat Serj uns ein paar Fragen kurz und knackig per E-Mail beantwortet.
„Harakiri“ ist das erste von vier neuen Solo-Alben. Warum ist „Harakiri“ das erste, das du veröffentlicht hast?
Eigentlich nur aus dem Grund, weil wir bereits einen Deal mit Warner für „Harakiri“ hatten. Für die anderen drei („Jazz-Iz-Christ“, „Fuktronic“ und„Orca“) und auch für meinen Film „My Year“ sindwir noch dabei, unsere Release-Partner zu finden.
Welches der vier Alben ist dein persönliches Lieblingsalbum?
Die Kombination aller vier wäre mir am liebsten.
Bisher sind zwei Gedichtbände von dir erschienen. Für alle, die sie nicht kennen: Wovon handeln sie?
„Cool Gardens“ und „Glaring Through Oblivion“ haben persönliche, politische, humoristische und sozialkritische Themen.
Wann schreibst du Gedichte und wann eher einen Songtext?
Ich schreibe beide zu unterschiedlichen Zeiten, nutze aber das eine für das andere. Aus meinen Gedichten habe ich einige Zeilen für meine Songtexte übernommen.
Nachdem du dich in den letzten Jahren in vielen neuen Sounds und Genres ausprobiert hast: Worauf können wir uns als nächstes freuen?
Ich vertone gerade Elemente aus einem Sci-Fi Shooterfürs iPad. Außerdem würde ich gerne mehr Filme machen.
Mit welchem Genre hast du gar nichts am Hut?
Cuntry (nicht Country), aber auch das werde ich wohl eines Tages in Angriff nehmen. Deine Alben sind eine mühevolle Zusammenstellung von Sound-Experimenten und mehreren Sound-Layern.
Wie bringst du diesen Anspruch in einer Live-Tour unter?
Das kommt natürlich auf das Album an. Zusammen mit The F.C.C. (der Tourband) können wir die rockigen Songs von „Elect the Dead“ und „Harakiri“ abdecken. Für „Imperfect Harmonies“ dagegen haben wir noch zusätzlich ein achtköpfiges Klassik- Ensemble dabei, unterstützt von Samples und ein paar Elektronik-Tracks. „Elect the Dead Symphony“ und „Orca“ hingegen brauchen ein komplettes Symphonie-Orchester.
Du spielst viele Instrumente. Was würdest du gern noch lernen?
Den Lampenschirm! Mal ernsthaft, vielleicht Schlagzeug – aber meine Stärke liegt im Komponieren. Ich muss nicht alle Instrumente spielen können.
Gibt es Momente, in denen du auch mal keine Musik hören möchtest?
Ja, immer wenn ich an meinen eigenen Sachen arbeite, habe ich kaum ein Ohr für andere Musik. Aber wenn ich Zeit habe oder mit dem Auto fahre, dann höre ich mit Genuss gute Musik.
Du bist als Armenier in Beirut im Libanon geboren, in L.A. aufgewachsen und hast mittlerweile auch ein Haus in Neuseeland? Was bedeutet Heimat für dich und welchen Ort würdest du als deine Heimat bezeichnen?
Heimat ist ein Ort, von dem man eigentlich nichtweglaufen kann. Ich stamme aus Armenien, aber Neuseeland ist für mich mein spirituelles Zuhause (hier fühle ich eine tiefe Zugehörigkeit), L.A. ist meine Arbeitstätte und Italien meine Küche.
Für alle „System of a Down“-Fans: Es gibt Gerüchte über ein neues Album. Was ist dran?
Da gibt es bisher noch keine Pläne.
TEXT: CHRISTINA SCHUSTER
Dieser Artikel ist in unserer curt Ausgabe #73 erschienen.