Vor einigen Wochen haben wir euch „Kid Face“ von Samantha Crain ans Herz gelegt. Doch wie ist die kleine Frau mit der großen Stimme eigentlich so, abseits der Bühne und losgelöst von ihren Platten? Um das herauszufinden trafen wir uns vor ihrem Konzert mit der Sängerin und quetschten sie ein bisschen zu ihrer Musik, ihrer Hintergrundgeschichte und natürlich zu ihrem neuen Album aus.
Für die Leute, die dich noch nicht kennen, kannst du uns ein bisschen was über dich erzählen? Wie bist du damals zur Musik gekommen?
Eigentlich reiner Zufall. Ich habe an der Schule Kurse zu kreativem Schreiben belegt und damals so ein bisschen mit einer Gitarre rumgespielt. Und naiv wie ich war, habe ich gleich ein paar Songs geschrieben. Fünf Stück. Dann habe ich die Schule geschmissen, die fünf Lieder zu einer EP gemacht und angefangen, damit aufzutreten. Ich dachte, wenn ich Lieder habe, werden die mich schon überall singen lassen. Eigentlich ziemlich naiv und blöd – ein typisches Schulmädchen eben. Und doch war es die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Ich glaube, ich habe es damals nur gemacht, weil ich unbedingt reisen wollte, weil ich da raus wollte. Und danach habe ich mich ins Musikmachen verliebt.
Wie alt warst du damals?
18, als ich die Lieder geschrieben habe. Und mit 19 hatte ich dann diese EP und habe angefangen zu touren.
Aber ursprünglich wolltest du Schriftstellerin werden?
Ja, tatsächlich basierten die fünf Lieder meiner EP auf Kurzgeschichten, die ich vorher geschrieben hatte. Und die habe ich dann in Lieder verwandelt. Ich habe schon immer gern geschrieben, so lang ich mich zurückerinnern kann. Viel Handlung oder Geschichte gab es bei mir nie, dafür sehr intensive Biografien von erfundenen Figuren. Warum, weiß ich gar nicht. Es war einfach die Art, wie ich schrieb. An der Schule musste ich dann natürlich lernen, mehr daraus zu machen, aber mich hatte das eben immer am meisten interessiert: die Charaktere und ihre Beziehung zueinander.
Hilft dir das heute beim Schreiben, was du damals gelernt hast?
Nicht wirklich, für das Schreiben von Liedern brauchst du dann doch ganz andere Fähigkeiten. Wenn du Dichter werden willst, lernst du das Schreiben von Gedichten. Als Romanautor das Schreiben von Büchern. Und genauso ist das Schreiben von Liedern ein ganz eigenes Ding. Wenn du dabei besser werden willst, dann nicht durch Literaturkurse. Am besten schaust du, wie das die Musiker machen, die du gern magst.
Und wer war das in deinem Fall?
Neil Young und Jason Molina. Molina spielte in einer Band namens Magnolia Electric Co. und eine andere namens Songs: Ohia. Und dann waren da natürlich die Platten von meinem Vater: Boby Dylan, Crosby, Stills and Nash, Joni Mitchell usw.
Kommst du denn aus einer musikalischen Familie?
Ich komme aus einer musikliebenden Familie. Mein Vater und sein Bruder liebten es, Musik zu spielen. Von ihnen habe ich also meine Liebe zur Musik. Aber keiner in meiner Familie macht das als Beruf.
Du bist ja indianischer Abstimmung. Hat das einen Einfluss auf deine Musik?
Stimmt, ich komme von den Choctaw. So heißt mein Volk. Ich spiele ganz offensichtlich keine ursprüngliche indianische Musik, aber die starke Tradition des Geschichtenerzählens bei uns war schon ein Einfluss für mich. Außerdem gibt es bei uns viel Gesang ohne Wörter, Silben ohne Inhalt. Das ist eine wirklich gefühlsbetonte Art zu singen und ich glaube, dass man davon auch bei mir was findet. Meine „uuhs“ und „aahs“, so was mache ich ja oft. An richtiger traditioneller Musik habe ich mich bisher aber nicht versucht.
Wärst du daran denn interessiert?
Ja, definitiv. Tatsächlich zeichne ich immer wieder Sachen von den Choctaw auf, Musik usw., um sie für die Nachwelt zu bewahren. Die Aufzeichnungen sind in erster Linie für das Volk gedacht, aber natürlich auch für mich, damit ich etwas darüber lerne.
Wie würdest du die Musik beschreiben, die du derzeit machst?
Ich würde sagen Folk-Rock. Es kommt sehr aus dieser Tradition in den 70ern, als Folk und Rock gemischt wurden. Persönlich mag ich den Ausdruck Americana dafür nicht. Americana im ursprünglichen Sinn war für mich immer sehr vom Blues beeinflusst. Und ich glaube nicht, dass davon viel in meiner Musik ist, obwohl ich Blues mag. Folk-Rock passt da einfach besser.
Kommen wir zu deinem neuen Album. Warum heißt es „Kid Face“?
Das ging von meiner Bassistin aus. Bei unseren langen Fahrten während der Tour haben wir Rapsongs auswendig gelernt. Keine Ahnung warum, damit haben wir uns einfach die Zeit totgeschlagen. Und irgendwann hat sie mir diesen Rap-Spitznamen gegeben. Keiner nennt mich so, aber ich mochte irgendwie den Klang davon. Später habe ich dann ein Lied mit diesem Titel geschrieben und dachte, dass es auch ein prima Titel fürs Album wäre.
Wie unterscheidet es sich von deinen bisherigen beiden Alben?
Es ist das erste Album von mir, das wirklich komplett autobiografisch ist. Wie ich vorhin meinte, ich hatte immer die Neigung zu Geschichten, die auf Figuren basieren. Als ich dann angefangen habe, für dieses Album zu schreiben, habe ich nach den ersten drei, vier Liedern gemerkt, dass die alle komplett autobiografisch waren. Sie erzählten von Sachen, die mir passiert waren, ohne dass es einen außenstehenden Charakter gab. Und dann habe ich mich entschieden, das ganze Album so zu machen.
Wie unterscheidet sich das Schreiben von Liedern, wenn es um Persönliches geht?
Gar nicht. Wenn ich etwas schreibe, egal ob jetzt eine Geschichte oder etwas Autobiografisches, dann kommt es aus derselben Quelle in mir. Ich mache mir ständig Notizen und halte die in meinen Tagebüchern fest. Zum Großteil verschwimmen die Grenzen dann ohnehin. Deswegen glaube ich nicht, dass eins von beiden schwieriger oder leichter ist.
Und wie sieht es auf der Bühne aus? Ist es nicht schwieriger, ganz persönliche Lieder zu singen, wenn man das vor einem Publikum tut?
Gute Frage. Als ich die das erste Mal gespielt habe, hatte ich wahrscheinlich schon meine Vorbehalte. Aber ich trete mit ihnen jetzt schon ein Jahr auf und denke, dass ich mich daran inzwischen einfach gewöhnt habe. Wenn ich Konzerte gebe, werde ich zwischen den Lieder ziemlich persönlich und erzähle dann auch viel. Aber bei den Liedern selbst, verliere ich mich so sehr, dass ich manchmal vergesse, dass da überhaupt ein Publikum ist.
Im Anschluss an unser Interview war Samantha so nett, zwei Exemplare des Albums für uns zu signieren. Die könnt ihr auch bei uns gewinnen, wenn ihr uns eine E-Mail mit Name, Anschrift und Betreff „Samantha Crain“ an willhaben@curt.de schickt. Was wir dafür wissen wollen: Was war der blödeste Spitznamen, den man euch bisher gegeben hat?
Unsere Verlosung ist beendet, die Alben wurden versandt.
TEXT: Oliver Armknecht
FOTO: Jeremy Charles