Birdman Kino Rezension curt München

Im Kino: Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)

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Einst der gefeierte Star der Superheldenreihe „Birdman“, geriet Riggan Thomson (Michael Keaton) nach seinem Ausstieg in die Vergessenheit, eine neue Rolle soll das ersehnte Comeback ermöglichen. Doch mit der geplanten Aufführung eines Theaterstücks am Broadway geht es nicht nur darum, wieder einen Platz im Lampenlicht zu erringen, sondern auch der Welt zu beweisen, dass er mehr kann, als in alberne Kostüme zu schlüpfen.

Als die Premiere näher rückt und sich die Anzeichen für ein Fiasko mehren, ersetzt Thomson kurzfristig eine der Hauptrollen durch den Publikumsliebling Mike Shiner (Edward Norton). Tatsächlich schafft dieser es auch, die Vorverkäufe anzukurbeln. Aber das hat seinen Preis: Der notorisch schwierige Exzentriker bringt jeden am Set zur Verzweiflung.

Birdman Kino Rezension curt München

Ausgerechnet Michael Keaton für die Hauptrolle zu besetzen, war ein Geniestreich, denn der war durch seine Auftritte in „Batman“ vor 25 Jahren selbst zum Superstar mutiert, anschließend jedoch etwas in der Versenkung verschwunden. Edward Norton wiederum ist – ebenso wie seine Figur – bei vielen Filmemachern für seine Launen und Eigensinnigkeit gefürchtet. Wo hört der Mensch auf, beginnt seine Rolle? Diese Frage stellt sich nicht nur innerhalb des Films, durch die Verflechtung mit der Außenwelt verschwimmen hier kontinuierlich die Grenzen zwischen Fantasie und Realität. Überhaupt hebt der mexikanische Regisseur Alejandro González Iñárritu hier konsequent die Gesetzmäßigkeiten und klare Linien auf, lässt „Birdman“ ins Fantastische hinüberwechseln, ins Surreale, bis wir nicht mehr wissen, ob wir im Hier und Jetzt sind, in einem Film oder doch nur in Riggans Kopf.

Birdman Kino Rezension curt München

Das Gefühl, selbst Teil des Geschehens zu werden, wird durch die zweite große Auffälligkeit von „Birdman“ maßgeblich unterstützt: Der Film verzichtet auf sichtbare Schnitte. So kommt es beispielsweise vor, dass wir einem Protagonisten durch die labyrinthartigen Gänge des Theaters folgen, bis dieser einem anderen begegnet, wir uns anschließend dem anderen an die Fersen heften. Durch die ständig herumwirbelnde Kamera und den damit verbundenen häufigen Perspektivenwechseln gewinnt „Birdman“ eine unheimliche Dynamik, projiziert den Zeitdruck des Broadway-Projekts auf die Leinwand – alles scheint hier in Echtzeit zu geschehen, die Premiere kommt unaufhörlich näher.

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Kameratricks hin, Metakommentare her – „Birdman“ ist in erster Linie großartiges Schauspielerkino und eine Liebeserklärung ans Geschichtenerzählen, an die Menschen, die sich der Kunst verschrieben haben. Amüsant und traurig, schrill und nachdenklich: Auch hier setzt sich Iñárritu über alle Grenzen hinweg, versöhnt die Gegenpole zu einem wundervollen, ganz eigenen Film. Ob es für den prognostizierten Oscarregen reichen wird, erfahren wir Ende Februar. Doch unabhängig vom Ausgang sollte niemand dieses eigenwillige Kleinod verpassen, denn Iñárritus Interpretation des Superheldengenres ist pure Kinomagie, wie man sie im heutigen Effektgewitter nur noch selten erleben darf.

Fazit: Amüsant und traurig, fantasievoll und nüchtern zugleich – „Birdman“ setzt sich über alle Grenzen hinweg und versöhnt die unterschiedlichen Elemente zu einer wundervollen Liebeserklärung an die Kunst des Geschichtenerzählens und die Menschen dahinter.

Wertung: 9 von 10


Regie: Alejandro González Iñárritu // Darsteller: Michael Keaton, Zach Galifianakis, Edward Norton, Emma Stone, Andrea Riseborough, Naomi Watts, Lindsay Duncan // Kinostart: 29. Januar 2015