Kino: Für Sama

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Es ist schwer vorzustellen, was es genau bedeutet, in einem Kriegsland zu leben. Zumindest hierzulande haben nur noch wenige damit – glücklicherweise – Erfahrungen gesammelt. Waad Al-Kateab hat diese Erfahrungen, teils aus Überzeugung, teils weil sie nicht anders konnte. Ursprünglich studierte sie Wirtschaft, bis der Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien alles veränderte. Anstatt ihr Ziel weiter zu verfolgen, hielt sie die Ereignisse auf Kamera fest und berichtete für einen englischen Sender. Teilweise ist „Für Sama“ genau das, ein Augenzeugenbericht, der festhält, was in dem belagerten Aleppo vor sich geht.

Doch ihr Film ist mehr als eine Kriegsdoku, die nüchtern von der Front berichtet. Ihr Werk ist deutlich persönlicher, direkter, wie der Titel bereits verrät. Denn während drumherum das Land im Chaos versank, geschah ein anderes Ereignis, das ihr Leben verändern sollte: die Geburt ihrer Tochter Sama. Das Ergebnis ist auf eine positive Weise zwiespältig, wenn der auf Fakten basierte Bericht immer auch von einer Liebeserklärung durchdrungen ist, an ein kleines Wesen, das es zu beschützen gilt. In Al-Kateab schlagen deshalb immer zwei Herzen. Das eine ist auf ihre Tochter gerichtet, der eine Lichtblick im Leben, für den sie alles tun würde. Gleichzeitig sind sie und ihr Mann Hamza, der als Arzt arbeitet, auch Kämpfer für die Freiheit ihres Landes.

Außerdem gab es eine Geschichte zu erzählen. Genauer sind es viele. Zwar stehen Waad und ihr Umfeld immer im Mittelpunkt der Ereignisse. Aber es ist die Gemeinschaft der Leute, die beeindruckt, wenn sie durch Bomben und andere Waffen zusammengeschweißt werden. Und wieder auseinandergerissen. Denn „Für Sama“ zeigt alles, die schönen wie die traurigen Momente. In der einen Szene kommt Hoffnung auf, wenn die widerspenstigen Helfer eine neue Möglichkeit gefunden haben, den barbarischen Angreifern zu trotzen. In der nächsten ist wieder jemand aus dem Leben gerissen worden, Freunde und Fremde, Alte wie Junge. Der Krieg, er macht vor niemandem Halt, auch nicht vor Kindern.

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Das sorgt für jede Menge Spannung: Durch das ständige auf und ab und regelmäßigen Wechsel von Lichtblicken zum absoluten Grauen, weiß man nie, was als nächstes geschieht. Zumal „Für Sama“ nicht streng chronologisch erzählt, sondern immer wieder hin und her springt. Die Doku ähnelt dadurch einem Tagebuch, das man durchblättert, mal hier eine Seite aufschlägt, mal dort. Das bedeutet auch, dass zwischenzeitlich völlig belanglose Szenen gezeigt werden können, die gar nichts mit dem Krieg zu tun haben. Der Film will schließlich nicht den Krieg als solchen zeigen, sondern ein Gefühl dafür vermitteln, wie das ist, in einer solchen Situation leben zu müssen.

Besonders bewegend sind die Momente, wenn die Menschen darum kämpfen, noch etwas wie einen Alltag zu haben. Die kleinen Versuche, sich Normalität zu bewahren, während drumherum Bomben fallen, Häuser zerstört werden, das Umfeld immer kleiner wird. Die Bilder der feiernden Bevölkerung machen einem Kauern in der Dunkelheit Platz, am Ende ähnelt Aleppo einer Geisterstadt. Das sind betörend schöne, gleichzeitig surreale Aufnahmen, die noch lange nachwirken. Ohnehin, „Für Sama“ ist ein Film, den man erst einmal sacken lassen muss, der einen so mitnimmt auf der Achterbahn der Gefühle, dass man im Anschluss erst einmal nichts mehr sagen möchte oder kann. Kriegsfilme gibt es natürlich viele, sowohl im Spielfilm- wie auch im Dokumentationsbereich. Kaum einer wird einem jedoch derart nahegehen wie dieser hier und lehren, das Thema Krieg wieder mit anderen Augen zu sehen.

Fazit: „Für Sama“ ist ein Dokumentarfilm, der gleichzeitig das Geschehen im besetzten Aleppo wie auch die Geschichte einer Mutter und ihrer Tochter festhält. Das Ergebnis ist ein Wechselbad der Gefühle, wenn sich hoffnungsvolle wie schmerzhafte Momente abwechseln, am Ende nur die Sprachlosigkeit bleibt: Selten wird einem derart begreiflich gemacht, was es heißt, in einem Krieg leben zu müssen, zwischen Alltag und Bomben, bunten Bussen und zerstörten Familien.

Regie: Waad Al-Kateab, Edward Watts; Kinostart: 5. März 2020