Kino: Intrige

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Der Fall ist klar, Alfred Dreyfus (Louis Garrel) ist ein Verräter, der militärische Geheimnisse weitergegeben hat. Das hat ein Gericht so entschieden, unterstützt von den Aussagen eines Graphologen, der den belastenden Brief untersucht hat. Außerdem ist Dreyfus Jude, der einzige im gesamten französischen Generalstab, und damit grundsätzlich verdächtig. Doch dann stößt der neue Geheimdienstchef, der Oberstleutnant Marie-Georges Picquart (Jean Dujardin) auf Hinweise, dass die Verurteilung nichts rechtens war und die Beweislage äußerst dürftig. Als er sich damit an seine Vorgesetzten wendet, sind die jedoch alles andere als begeistert. Schließlich waren sie ganz froh darüber, einen Schuldigen zu haben. Und wenn es nach ihnen ginge, der Fall solle gefälligst abgeschlossen bleiben und Picquart sich aus alles raushalten …

„Intrige“ zeigt auf, wie ein Mensch gleich auf mehrfacher Weise von anderen unterdrückt wird. Da muss man die eher unnahbare Figur nicht einmal mögen, um schockiert zu sein. Schon der Alltag als Jude in der Armee ist von Anfeindungen oder wenigstens Diskriminierungen geprägt. Und auf Rechtstaatlichkeit brauchte er eh nicht zu hoffen. Die gab es für ihn aus verschiedenen Gründen nicht. Regisseur Roman Polanski hält an der Stelle auch nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg: Er zeigt die komplette Verantwortungskette, sei es Militär, Justiz oder auch Wissenschaftler, als korrupte Wichtigtuer, denen es bei dieser Geschichte um ganz andere Faktoren geht als Gerechtigkeit.

Das ist an manchen Stellen ein bisschen aufdringlich. Polanski versucht nicht einmal, die Gegenseite in irgendeiner Form differenziert darzustellen. Da sind einige dabei, die eher Karikatur als wirkliche Figur sind. Wobei „Intrige“ auch auf der „guten“ Seite dazu neigt: Melvil Poupaud zeigt in seiner Rolle als Verteidiger eine ungekannte Neigung zum Overacting, die mitunter grotesk wird. Möglich, dass Polanski damit im letzten Drittel für ein bisschen mehr Lebendigkeit sorgen wollte, wenn die schockierenden Enthüllungen vorbei sind und der Film zu einem Gerichtsdrama wird. Inhaltlich bewegt sich an diesen Stellen kaum noch etwas, man wartet eigentlich nur darauf, dass endlich mal ein Machtwort fällt.

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Wobei „Intrige“ durchaus eine Menge zu sagen hat. Von der Dreyfus-Affäre dürften viele gehört haben. Was genau sich damals aber abgespielt hat und wie groß dieser Skandal eigentlich war, dessen dürften sich jedoch nur wenig bewusst sein. Doch die Geschichte ist größer als das Einzelschicksal, so erschreckend das auch war. Polanski führt vor Augen, wie leicht Rechtstaatlichkeit ausgehebelt werden konnte und immer noch kann. Wenn hier Gesetze beliebig ausgelegt werden, um der eigenen Agenda folgen zu können, dann ist das eine Warnung vor den faschistoiden Tendenzen, die selbst in etablierten Demokratien wie den USA auftreten können. Vor dem Gesetz sind alle gleich? Nur die, die zu uns gehören, siehe die in „The Report“ (>> Filmkritik) aufgedeckten Foltermethoden des CIAs.

Auch wenn „Intrige“ letztendlich ein Zeitporträt ist und ein Europa Ende des 19. Jahrhunderts zeigt, als Antisemitismus zunehmend Fahrt aufnahm, so hat der Film doch viele zeitlose Qualitäten. Selbst wenn der Ausgang der Geschichte bekannt ist, so hat das Drama doch eine Dringlichkeit, der man sich kaum entziehen kann.

Fazit: Auch wenn die Begleitumstände von „Intrige“ kontrovers sind, der Film selbst hat zweifelsfrei seine Qualitäten. Von der manchmal etwas verwunderlichen Figurenzeichnung einmal abgesehen, erinnert das Drama daran, wie schnell Rechtstaatlichkeit ausgesetzt werden kann, was trotz des historischen Kontextes von einer großen Aktualität ist.

Wertung: 7 von 10

Regie: Roman Polanski; Besetzung: Jean Dujardin, Louis Garrel, Emmanuelle Seigner, Grégory Gadebois; Kinostart: 6. Februar 2020