Isabelle (Agnès Jaoui) hat eine Aufgabe im Leben: Sie will anderen helfen. Das tut sie immer, das tut sie überall, so gut es eben geht. Ihr Umfeld ist über so viel Einsatz nicht immer erfreut, vor allem ihr Mann Ajdin (Tim Seyf) und die beiden Kinder fühlen sich ständig von ihr vernachlässigt. Aber auch bei der Arbeit gibt es regelmäßig Ärger, etwa beim Sozialzentrum, wo sie Lesen und Schreiben beibringt. So ist sie gar nicht glücklich darüber, dass dort jetzt die nette Deutsche Elke (Claire Sermonne) angefangen hat, die auf Anhieb viel beliebter ist als sie. Da hat Isabelle eine Idee: Warum nicht mit dem unverschämten Fahrlehrer Attila (Alban Ivanov) von nebenan speziell Kurse für Analphabeten anbieten? Auf diese Weise würden die sehr viel schneller einen Job finden …
Eines muss man den Franzosen lassen: Es gelingt kaum einer Filmnation, derart lockerleicht von gesellschaftlichen Problemen zu erzählen. Neuestes Beispiel: „Die Kunst der Nächstenliebe“. Regisseur und Co-Autor Gilles Legrand möchte auf Missstände aufmerksam machen, nutzt dafür aber den Weg des Humors. Der größte Unterschied ist, dass sich der französische Filmemacher nicht auf ein spezielles Thema festlegt. Zwar sind es die Analphabeten, die im Mittelpunkt stehen. Angesprochen werden aber noch viele weitere Bereiche, etwa Rassismus. Tatsächlich gibt es in dieser Welt so viele Sachen, die nicht funktionieren und die angegangen werden müssten, dass man gar nicht weiß, wo man überhaupt anfangen soll.
Das Charmante an „Die Kunst der Nächstenliebe“ ist, dass nicht nur das Publikum von all dem überfordert ist, sondern auch Isabelle. Dass sie die besten Absichten hat, das würde keiner in Abrede stellen. Aber wie eine Redewendung besagt: Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Mit einem leicht spöttischen Ton erzählt Legrand, wie der unbeirrbare Gutmensch sich in Schwierigkeiten bringt und andere zur Weißglut treibt. Und doch begegnet er ihr mit viel Verständnis und auch Sympathie. Denn wo andere angesichts der Probleme den Kopf in den Sand stecken, da versucht sie wenigsten noch etwas zu ändern. Selbst wenn das Ergebnis nicht immer überzeugend ausfällt.
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Aber auch das Umfeld bekommt die eine oder andere Spitze ab. Wenn beispielsweise die Immigranten in Isabelles Kurs über die ganzen Ausländer hetzen, die nach ihnen noch rein wollen, dann zeigt Legrand seine Vorliebe für ein bisschen satirische Schärfe. Innerhalb der Gruppe dürfen zuweilen ebenfalls die Fetzen fliegen. Kein Wunder, haben die Leute dort bis auf ihre Lese- und Schreibschwäche keine Gemeinsamkeiten. Elke wiederum verkörpert gleich in mehrfacher Hinsicht die Klischees, die Deutschen anhaften. Andere Figuren, darunter der mundfaule Chef von Isabelle, haben überhaupt keine gesellschaftliche Relevanz. Die sind einfach nur zur Bespaßung des Publikums da.
Das funktioniert insgesamt ganz gut. Die Komödie hält aufgrund des hohen Tempos und des energiereichen Auftritts von Agnès Jaoui bei Laune. Zum Ende hin wird der Film ein bisschen zu versöhnlich, wenn die Sache mit dem Zusammenhalt auf einmal doch geht, so als wäre nie was gewesen. Ein tatsächlich schmerzhaftes Ende wollte man mit „Die Kunst der Nächstenliebe“ wohl niemandem zumuten. Aber der Ausflug in die wenig perfekte Welt einer Weltverbesserin ist sympathisch und kurzweilig, zum Ende auch auf eine typisch französische Weise beschwingt, wenn alle zusammen eine Hymne an die (Nächsten-)Liebe anstimmen.
Fazit: „Die Kunst der Nächstenliebe“ ist ein sympathischer und unterhaltsamer Film über eine Weltverbesserin, die allen helfen will und dabei vieles nur noch schlimmer macht. Das ist streckenweise bissig, zum Ende ein bisschen rührselig, aber allein schon für die unbeirrt umherschwirrende Agnès Jaoui sehenswert.
Wertung: 7 von 10
Regie: Gilles Legrand; Besetzung: Agnès Jaoui, Alban Ivanov, Tim Seyf, Claire Sermonne, Michèle Moretti, Philippe Torreton; Kinostart: 30. Januar 2020