Gehört: Lia Ices – Ices

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„Der Mensch ist das einzige Wesen, das während des Fliegens eine warme Mahlzeit zu sich nehmen kann“, heißt ein beliebter Spruch im Internet. Man könnte aber auch hinzufügen, dass er als einziger in der Lage ist, dort oben Musik zu machen.

Lia Ices ist einer dieser Menschen. Zumindest hat sich die Singer-Songwriterin bei Album Nummer drei von ihren Erfahrungen in der Luft kräftig inspirieren lassen, seitdem die Wahlkalifornierin fleißig in der Weltgeschichte herumdüsen muss. Wer bei ihrer Heimat jetzt aber an Hippies und Surfmusik denkt, der ist hier auf der falschen Startbahn. Beim Opener „Tell Me“ klingt die Sängerin eher so, als hätten ABBA in einem Bollywood-Film mitgespielt: Singsang trifft auf rhythmische Dauerrasseln, Upbeatpop auf Exotik. An anderen Stellen auf „Ices“ erinnert der ätherische Gesang an die Cocteau Twins, mit kleinen Vocal-Spleens à la Björk.

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Doch egal ob nun die Pate standen oder auch Feist und Kate Bush – zwei beliebte Vergleiche beim verzweifelten Versuch, Lia Ices Luftnummern in einer Schublade zu halten – das Gefühl, weit oberhalb der Erde zu treiben, das bleibt. „Higher“ zum Beispiel. „You better keep me close, you gotta let me go“, trällert sie regelmäßig und gibt damit den Ton an: Distanz und Nähe, das wird auf „Ices“ eins, Orientierung auf Wolke 7 praktisch unmöglich. Umhüllt von einem dicht verwobenen und gleichzeitig lichtdurchfluteten Schleier aus Gesangsspuren, der nur manchmal von Gitarrenriffs zerrissen wird, können wir uns deshalb auch nie ganz sicher sein. Sind wir da? Ist das echt? Wie ein Regenbogen, deutlich sichtbar und doch nicht zum Anfassen.

Trotz ihres Namens und auch des Titels: Kühl ist da oben nichts, dann schon eher sonnig-warm. „Sweet as Ice“, der siebte von insgesamt zehn Tracks erinnert dann auch eher an Eiscreme und Zuckerwatte, weniger an Minusgrade. Und auch „Creature“ kommt anschmiegsam daher, umarmt uns mit warmen Beats, Synthieloops und Loopings, während da draußen Elektropartikel durch die Luft flirren, als würden die ersten Lichtstrahlen die Gewitterwolken vertreiben. „We need a new ocean to swim in“ heißt es im verträumten „Thousand Eyes“, alles wird erneuert, wiedergeboren – die Musik von Lia Ices, das ist oft eine fast schon außerkörperliche Erfahrung.

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Das soll nicht heißen, dass „Ices“ nicht auch seine emotionaleren und melancholischeren Momente hat, etwa wenn die Stimme der Chanteuse in „Love Ices Over“ auf den sachte dahinplätschernden Wellen dem Sonnenuntergang entgegen surft. Doch am schönsten wird es, wenn der verspielte Pop ganz zum Schluss wehmütig in eben diesen „Waves“ versinkt und sich unter der Wasseroberfläche eine ganz neue Welt eröffnet. In den finsteren Tiefen hören wir dann symphonische Klagegesänge, entdecken seltsame Gebilde aus Gitarrenpassagen, rauem Gesang und 80er Jahre New Wave, die Lichtstrahlen sind nun mehr nur noch diffuse Ahnung.

Mehr davon hätte dem Album gut getan, der rund sieben Minuten lange, wunderbare Rausschmeißer ist ein willkommenes Gegenstück zur gefälligen, aber mitunter auch substanzlosen Esoterik davor. Wer gerne tagsüber ein wenig träumt oder selbst einen Flug vor sich hat und dafür noch den passenden Soundtrack braucht, darf aber trotz des gelegentlichen Hangs zum Gedudel ruhig einmal hier reinhören. Denn zum Abschalten sind die sphärischen Klangwelten der jungen Dame auf jeden Fall geeignet.

>> Lia Ices


icesliaices  Lia Ices „Ices“ // Jagjaguwar (Ca rgo Records) // VÖ. 12 September 2014