Munich knows how to boogie
Freddie Mercury, Rock Ikone, fleischgewordene Bühnenexzentrik, Lebemann und zugleich eine schüchterne, bescheidene, introvertierte Seele. Exzentrik und Sanftheit verteilt auf einen drahtigen Körper mit einem riesengroßen Herz, dass viel zu früh aufgehört hat zu schlagen. Irgendwann Ende der 70er Jahre haben Freddie, Brian, Roger und John ihre Herzen zwischen Bogenhausen und Viktualienmarkt verloren und das Headquarter von Queen in München aufgeschlagen. Aus kreativer und geschäftlicher Sicht ein sehr cleveres Unterfangen. Giorgio Moroders Musicland Studios im Arabella Haus erarbeiten sich in diesen Jahren wahren Legendenstatus in Sachen hochwertiger Aufnahmetechnik. Hier drückte sich das who is who der internationalen Rockszene die Klinke in die Hand. Hier machten sich die Größen der 70er fit für den Sound der 80er Jahre. So auch die vier königlichen Freunde, die spürten, dass das neue Jahrzehnt nicht ohne gewisse Modifikationen im Bandkonzept zu stürmen sein wird. Diesen Jahren, die als nichts weniger als die Besten im Leben von Freddie Mercury bezeichnet werden, hat Nicola Bardola nun ein 400 Seiten starkes Buch gewidmet. München war in dieser Zeit das zweite Zuhause von Freddie Mercury. Von 1979 bis Anfang der 80er Jahre lebte der Rockstar überwiegend in der bayerischen Landeshauptstadt und genoss dort, von den Medien weitgehend unbeobachtet, das ruchlose Nachtleben im Glockenbachviertel.
An einem stark verregneten Spätsommerabend Mitte September machen wir uns mit dem Autor auf, zu einem Spaziergang um jenen Orten einen Besuch abzustatten an denen Freddie gelebt, gefeiert und geliebt hat. Mit jedem Schritt tauchen wir tiefer in die alkoholgeschwängerte und von Ausschweifungen geprägte Welt der unbeschwerten 80er Jahre ein, gegen die die Münchner Gegenwarte so viel Freude ausstrahlt wie eine drei Tage alte Brezn. Der Schweizer Autor, Journalist und Übersetzer erzählt beim Schlendern Richtung Stollbergstraße, dass der Film Bohemian Rhapsody ihn überhaupt erst auf die Idee zu diesem Buches gebracht hat. In beschämend kurzen zehn Minuten wird dort die Zeit in Deutschland abgehandelt, die mit nichts anderem endet als mit der wohl extravagantesten Rock’n’Roll Party die je gefeiert wurde. Freddies 39. Geburtstag im Old Mrs. Henderson Nachtclub, festgehalten für die Nachwelt im Musikvideo zu Living on my own. Leider erhielt Freddie zu dieser Zeit die Nachricht, dass er mit dem HIV Virus infiziert sei und mit einmal sei die Heiterkeit dahingewesen, lässt uns Bardola wissen.
Obwohl Bardola seit 40 Jahren an der Isar lebt, hat er Freddie und Queen nie in Action erlebt. Seine musikalische Vorliebe galt den Beatles – ein außergewöhnliches Portrait über den außergewöhnlichen Ringo Starr hat Bardola erst kürzlich veröffentlicht – und den amerikanischen Sounds von Bruce Springsteen oder Tom Petty. Für die Recherche ist er schnell in Freddies Welt zwischen disziplinierter Arbeit und ausdauerndem Exzess eingetaucht. Er hat mit so vielen Zeitzeugen*innen wir nur eben möglich ausführliche Gespräche geführt und diverse Stunden in Bars und Kneipen verbracht, die auch auf Freddies Pubwalk Liste standen. Am heutigen Abend führt uns der Weg in die Marienstraße zum Petit Cafe, vorbei am ehemaligen Szenetreff Kay’s Bistro hin zum Cafe Marimba, wo die frühen Gäste den Besuch der Journaille mit edler Gelassenheit quittieren. Manche Orte bieten auch heute noch den Geschöpfen der Nacht unverändert Unterschlupf, manches ist der Gentrifizierung und dem unstillbaren Hang nach Profit zum Opfer gefallen.
Inzwischen sind wir völlig durchnässt am Holzplatz im Glockenbachviertel angekommen. Hier findet sich Freddie gemeinsam mit Rainer Werner Fassbinder auf den Wänden eines denkmalgeschützten Pissoirs verewigt. Ein Denkmal, welches vor wenigen Jahren nur auf die Initiative von Privatleuten realisiert worden ist und auf bittere Weise verdeutlicht, wie unachtsam die angebliche Weltstadt mit ihrem Popkulturellen Erbe umgeht.
„Mercury in München“ beschreibt auf fesselnde Art und Weise die Liaison zwischen Freddie Mercury und den Menschen einer Stadt, die ihm so viel Zerstreuung bieten konnte, wie es zwischen einer kühlen Maß Bier an Chinesischen Turm und einer Linie Koks im Ochsengarten nur eben möglich ist. Es ist auf alle Fälle empfehlenswert, sich nach der Lektüre des Buches mit ausreichend Geld in der Tasche und wenig Terminen am Folgetag auf die Spuren eines der letzten echten Entertainers des Rock-Biz zu machen. Munich knows how to boogie, wie Freddie zu sagen pflegte.
Gelesen: Nicola Bardola: Mercury in München – Seine besten Jahre // Heyne Hardcore // 432 Seiten // 24 Euro