Natalie Merchant

Gehört: Natalie Merchant – Natalie Merchant

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30 Jahre ist es her, dass R.E.M. zur Speerspitze des amerikanischen College Rock gehörten. Während die Jungs aus Georgia später auch in den regulären Popcharts regelmäßig vordere Plätze einnehmen durften, stand eine befreundete Band bis zuletzt immer in deren Schatten: 10,000 Maniacs.

Nein, selbst wenn der Name die Vermutung nahelegt, die Gruppe machte weder Headbanger-Metal noch übercoolen Rap, sondern feinen, eingängigen Folk Rock. Dass heute nur noch Musiknerds den Namen kennen, liegt aber auch daran, dass Frontfrau Natalie Merchant 1993 die Band verließ, um eine Solokarriere zu starten – was zumindest in den USA auch formidabel klappte, Debütalbum „Tigerlily“ verkaufte sich mehrere Millionen Mal, „Carnival“ und „Wonder“ wurden Radiodauerbrenner.

Von der immensen Popularität ist heute kaum mehr was geblieben, was sicher auch mit dem äußerst spärlichen Output der Sängerin zu tun hat. Gerade mal zwei Alben gab es in den letzten zehn Jahren, „The House Carpenter’s Daughter“ mit seinen obskuren Folk-Covers und „Leave Your Sleep“, auf dem sie alte Kindergedichte vertonte – beides nicht unbedingt ein Fall für die Charts.

Und das trifft dann auch auf Natalie Merchant zu, obwohl es das erste komplett neue Material seit „Motherland“ 2001 enthält. Nach Neuanfang hört es sich immer an, wenn ein Künstler mit langer Karriere ein Album nach sich selbst benennt. Von den elf Liedern würde das hier aber keiner ernsthaft behaupten wollen, vielmehr macht Merchant einfach so weiter, als wäre nichts geschehen, als wären nicht zwölf, sondern nur zwei Jahre vergangen. Das mag man berechenbar, vielleicht auch langweilig finden. Oder bewundernswert: Sollen andere sich doch um Trends scheren, Merchant hat es sich in ihrem Kokon gemütlich gemacht, wo ihr die Zeit längst nichts mehr anhaben kann.

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Das soll nicht heißen, die Sängerin hätte sich aus der Welt zurückgezogen. Schon in den 80ern verband sie gerne gefällige Melodien mit erhobener-Zeigerfinger-Texten, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Vielmehr gefällt sich Merchant, inzwischen 50 Jahre alt mit deutlich ergrauten Haaren, als weise Frau mit viel Lebenserfahrung. Im etwas zu lang geratenen Opener „Ladybird“ lässt sie es sich beispielsweise nicht nehmen, der Jugend gut gemeinte Ratschläge zur Selbstverwirklichung mit auf den Weg zu geben.

An der Stelle darf man noch beherzt mit den Augen rollen, später wird es aber deutlich besser. Schon Lied Nummer zwei, das zarte „Maggie Said“, nimmt sich trotz Tendenzen zur Überernsthaftigkeit mehr zurück. Auffallend ist, dass nicht nur hier, sondern an vielen Stellen von Natalie Merchant mit dunklen Farben gemalt wird, sei es das wehmütige „Lulu“, das an vergangene Stummfilmzeiten erinnert, oder das tieftraurige, wunderbare „Giving Up Everything“. Nur die noch immer ausdrucksstarke Stimme Merchants verhindert den Absturz ins vollendete Trübsal. Darf die Welt da draußen noch so finster und chaotisch sein, bei ihrem warmen Klang darf sich jeder geborgen fühlen.

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Dennoch: Ein bisschen mehr Freude wäre nicht schlecht gewesen, oder auch Abwechslung. Sicher, „aufregend“ konnte man Merchants Musik nie wirklich nennen, ein Gespür für Ohrwürmer hatte sie aber sowohl mit den Maniacs („These Are Days“) als auch solo („Kind & Generous“, „Just Can’t Last“) oft genug bewiesen. Dass sie nach dem grandiosen, extrem variantenreichen „Leave Your Sleep“ aber ein so gleichförmiges Album abliefern würde, ein bisschen enttäuschend ist das schon. Nur das bluesgefärbte „Go Down Moses“ und das stimmungsvolle „Black Sheep“ mit seinem Jazzsaxofon brechen etwas hervor.

Aber auch, wenn man angesichts der langen Wartezeit vielleicht auf etwas mehr gehofft hat, schön ist Natalie Merchant dann doch geworden. In den Herbst hätte das Album aufgrund seiner melancholischen Stimmung her sicher besser gepasst und es braucht diesmal länger, die einzelnen Nummer im Gedächtnis zu behalten, Langzeitfans dürfen sich aber auch so über das schmerzlich vermisste Lebenszeichen der einstigen Alternative-Ikone freuen. Und für jüngere Freunde sorgfältig ausarrangierter Folkmusik ist das Album zumindest ein guter Ausgangspunkt, um eine bedeutende Künstlerin kennenzulernen.

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TEXT: OLIVER ARMKNECHT