Ein Geschenk der Götter Kino Rezension curt München

Neu im Kino

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Diese Woche haben wir in unserer Kinorundschau sogar gleich vier neue Filme im Angebot – allesamt in Deutschland entstanden. Wer an der Stelle schon dankend abwinken will, sollte sich das aber noch einmal überlegen. Denn die vier Anwärter zeigen sehr schön, wie unterschiedlich die Filmlandschaft hierzulande ist, wenn man mal genauer hinschaut.

„Ein Geschenk der Götter“
Na, dümmer hätte es nun wirklich nicht laufen können. Im entscheidenden Moment den Text zu vergessen, das darf einer Theaterschauspielerin wie Anna (Katharina Marie Schubert) nicht passieren. Vor allem nicht in Ulm, wo die Möglichkeiten in dieser Künstlersparte doch sehr überschaubar sind. Als sie kurze Zeit drauf entlassen wird, gibt es daher auch keine wirkliche Alternative zu den Mühlen des Arbeitsamtes. Immerhin darf sie dort ihre Berufung zu einem guten Zweck nutzen: Anna soll einer Gruppe hoffnungsloser Fälle ein bisschen Schauspielunterricht geben. Eine schöne Idee, und sie hat sich mit „Antigone“ auch gleich ein Stück zum Proben ausgesucht. Die Sache hat nur einen Haken: Eigentlich wollen die Leute nur ihre Zeit absitzen, denn an eine Zukunft glaubt dort schon lange keiner mehr.

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Regisseur und Autor Oliver Haffner greift bei seinem zweiten Langfilm auf Themen zurück, die eigentlich nicht unbedingt für publikumswirksame Unterhaltung stehen: Arbeitslosigkeit, antike Dramen, dazu immer wieder traurige Schicksale von Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen aus dem Raster gefallen sind. „Ein Geschenk der Götter“ versteht sich daher auch als Sprachrohr der Außenseiter, die eigentlich gar keine sein sollten. Doch Haffner entschied sich, aus dem Stoff eben kein Sozialdrama zu machen, sondern eine fast reinrassige Komödie. Zwischendurch darf geschluckt werden, meistens aber gelacht, vor allem die ständigen Streitereien zwischen den Schauspielern wider Willen sorgen immer wieder für heitere Momente. Dass am Ende vieles doch nicht mehr so schlimm ist, dürfte daher niemanden überraschen. Ob eine Feel-Good-Komödie dem Thema angemessen ist, darüber ließe sich diskutieren. Dafür ist der Film aber unterhaltsam, witzig, sympathisch sowieso. Wer also ein Herz für Außenseiterkomödien mit vielen schön skurrilen Figuren hat, der sollte sich hier auf jeden Fall einmal beschenken lassen.

Wertung: 7 von 10


Regie: Oliver Haffner // Darsteller: Katharina Marie Schubert, Adam Bousdoukos, Rainer Furch, Rick Okon // Kinostart: 9. Oktober 2014


„Lamento“
Johannes (Hendrik Kraft) kommt! So richtig groß ist die Freude bei Magdalena (Gunilla Röör) darüber aber nicht, denn bis zu dem Zeitpunkt schaffte sie es ganz gut, nicht an den Selbstmord ihrer Tochter zu denken. Doch als deren deutscher Exfreund bei seiner Rundreise in Schweden Halt macht, um seine alten Schallplatten abzuholen, kommen auch die Erinnerungen zurück. Nur einen Tag bleibt Johannes in der Stadt, doch das ist genug, um die Schleusen zu öffnen. Und damit die Erkenntnis, dass Magdalena den Tod sehr viel weniger verarbeitet hat, als sie dachte.

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„Lamento“ mag Jöns Jönsson seinen Film genannt haben, doch mit Lamentieren, dem lautstarken Beklagen des eigenen Leids, hat sein Spielfilmdebüt so gar nichts zu tun. Im Gegenteil: Das Drama beschäftigt sich über lange Zeit eben nicht mit der ungenierten Zurschaustellung von Gefühlen, sondern deren Unterdrückung. Das geht hier so weit, dass Magdalena im Alltag so tut, als wäre nichts gewesen. Für den Zuschauer ist das Herausforderung und Belohnung zugleich. Gerade zu Beginn dürften sich die meisten sehr schwer mit der deutschen Produktion tun, weil weder Figuren noch Geschichte wirklich vorgestellt werden. Und richtig viel Handlung gibt es ebenfalls nicht. Doch wenn sich nach und nach die Puzzleteile zusammensetzen und ein Gesamtbild ergeben, wird „Lamento“ doch noch zu einer lohnenswerten Angelegenheit mit diversen starken Szenen, etwa wenn Magdalena ohne jeden Anschein von Betroffenheit über das Schicksal ihrer Tochter spricht. Aber auch – vielleicht sogar gerade dann – wenn sich Risse zeigen in der Fassade. Und so ist „Lamento“ aufgrund seiner spröden Herangehensweise vielleicht nicht der emotional bewegendste Film zum Thema Tod und Verlust, aber dafür ein interessantes Beispiel, wie unterschiedlich Leute damit umgehen. Mit Leere und Trauer. Und auch mit Schuldgefühlen darüber, einen geliebten Menschen nicht am Leben gehalten zu haben.

Wertung: 6 von 10


Regie: Jöns Jönsson // Darsteller: Gunilla Röör, Hendrik Kraft, Sandra Huldt // Kinostart: 9. Oktober 2014


„Hirngespinster“
Früher, da war Hans Dallinger (Tobias Moretti) mal ein angesehener und erfolgreicher Architekt gewesen. Heute ist davon jedoch kaum mehr etwas übrig. Nicht aus einem Mangel an Ideen, im Gegenteil: Da geht sogar viel zu viel vor in seinem Kopf, Hans fühlt sich von allem und jedem bedroht. Und eben diese Schizophrenie kostete ihn am Ende seine Arbeit. Nach außen ihn versuchen seine Frau Elli (Stephanie Japp) und die Kinder Simon (Jonas Nay) und Maya (Ella Frey) sich nichts anmerken zu lassen, doch glücklich ist da schon lange keiner mehr. Eine neue Ausschreibung soll Hans wieder zurück auf die Erfolgsspur bringen, doch mit dem Druck werden auch die Schübe stärker. Und dann wäre da auch noch Verena (Hanna Plaß), die Simon den Kopf verdreht und ihn so mit der Frage konfrontiert: Was will ich eigentlich vom Leben?

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Anders als man vielleicht hätte erwarten können, geht es in „Hirngespinster“ weniger um den Betroffenen selbst. Zwar dürfen wie immer wieder die Folgen der psychischen Störung sehen, die von skurril-witzig bis erschreckend reichen. Wichtiger aber noch war Regisseur und Drehbuchautor Christian Bach, welche Auswirkungen seine Krankheit auf den Rest der Familie hat: soziale Isolation, Scham, Angst vor der Zukunft. Im Fall von Ehefrau Elli ist das Ergebnis weniger spannend, denn die hat sich mit ihrem Schicksal längst abgefunden. Das ist bei Simon noch deutlich ambivalenter. Auch er stellte sein Glück dem der anderen unter, sieht sich vor allem in der Verantwortung, sich um seine kleine Schwester kümmern zu müssen. Doch durch das Auftauchen von Verena wird eben auch das in Frage gestellt. Wie weit muss meine Verantwortung für andere gehen? Ab welchem Zeitpunkt ist die Verantwortung für mich selbst wichtiger? Bach verzichtet darauf, eine wirkliche Antwort darauf zu geben, überlässt es dem Zuschauer, selbst Position zu beziehen. Insgesamt ist „Hirngespinster“ der falsche Film für die, die gerne abschalten, Füße hochlegen und sich berieseln lassen wollen. Zuschauer mit einer Vorliebe für zwischenmenschliche Dramen sollten sich den Film jedoch nicht entgehen lassen, und sei es nur, um die richtig starken Leistungen der beiden Hauptdarsteller bewundern zu dürfen.

Wertung: 8 von 10


Regie: Christian Bach // Darsteller: Tobias Moretti, Jonas Nay, Hanna Plaß, Stephanie Japp // Kinostart: 9. Oktober 2014


„Jack“
Manche Menschen sind einfach nicht dazu gemacht, Kinder zu haben. An Liebe ihren beiden Söhnen gegenüber mangelt es der alleinerziehenden Sanna (Luise Heyer) zwar nicht, dafür aber an Verantwortungsbewusstsein. Während sie durchs Berliner Nachtleben tingelt, ist es daher der zehn Jahre alte Jack (Ivo Pietzcker), der sich zu Hause um alles kümmern muss, vor allem aber um seinen kleinen Bruder Manuel (Georg Arms). Doch auf Dauer kann das natürlich nicht gut gehen. Als das Jugendamt Wind von den Zuständen bekommt, steckt sie Jack daher in ein Heim. Dort hält es der Junge aber nicht lange aus: Er reißt aus, sammelt Manuel unterwegs ein und macht sich anschließend auf die Suche nach ihrer Mutter, von der keiner so genau weiß, wo sie eigentlich steckt.

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„Wohin des Wegs?“ ist nicht nur für Jack und seinen Bruder die entscheidende Frage, auch der Zuschauer wird sich zwischenzeitlich diese stellen. Während gerade der Anfang, aber auch das Ende mit vielen starken Momenten berührt, flacht „Jack“ im Mittelteil deutlich ab. Sobald unser Titelheld das Heim verlassen hat, verliert auch der Film seine Orientierung. Freunde, Bekannte, Arbeit, Clubs – die beiden klappern alle erdenklichen Orte ab, an denen sich Sanna aufhalten könnte. Nachvollziehbar ist das sicher, spannend jedoch weniger: „Jack“ zerfällt an der Stelle zu einer Reihe zusammenhangloser Einzelepisoden, die eher langweilen, denn hier wartet man vergeblich darauf, dass sich die Geschichte in irgendeiner Form weiterentwickelt. Uneingeschränkt zu loben ist aber auch während es schwachen Mittelteils die Leistung von Ivo Pietzcker. Der junge Nachwuchsschauspieler verkörpert seine Rolle mit der nötigen ungewollten Ernsthaftigkeit, die seine Lebenssituation mit sich bringt. Dabei vermeidet es „Jack“ aber, seine Hauptfigur zu mehr machen zu wollen, als er ist. Meistens schafft es der Junge gut, die Erwachsenen zu imitieren. Doch hin und wieder, etwa wenn er zu Beginn aus Eifersucht die Klamotten vom neuen Liebhaber seiner Mutter aus dem Fenster wirft, schimmert dann doch bei allem Verantwortungsbewusstsein das Kind durch, das nie eins sein durfte.

Wertung: 6 von 10


Regie: Edward Berger // Darsteller: Ivo Pietzcker, Georg Arms, Luise Heyer // Kinostart: 9. Oktober 2014