Panic Girl
Im Gespräch: Panic Girl

Im Gespräch: Panic Girl

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From Munich with Ambience

Auf ihrem neuen Album BLUE nimmt einen die Modular-Synth-Künstlerin Panic Girl mit auf eine Reise durch dezent gesampelte Alltagsgeräusche, transzendierende Vocals und ein Aufgebot an atmosphärisch elektronischen Klängen, die an Größen wie Massive Attack, Portishead oder Morcheeba erinnern. Doch Panic Girl dreht weder an der Themse noch am River Avon an den Reglern, nein, sie wohnt und arbeitet in München.

So wie sich ihre Musik aus diversen Bestandteilen zusammensetzt, so ähnlich verhält es sich auch mit dem Herzstück ihrer Tracks. Zu einem sogenannten Patch verbunden bestehen modulare Synthesizer aus einer Vielzahl an Modulen mit unterschiedlichsten Funktionen. Ein Meer aus Kabeln, Schaltern und Reglern ist die Spielwiese, auf der sich außergewöhnliche und zum Teil außerweltliche Klangteppiche erzeugen lassen. Der eigenen Kreativität sind dabei so gut wie keine Grenzen gesetzt und trotz des für Laien erstmal überfordernd anmutenden Technik-Anteils, ist man überrascht wie intim, einfühlsam und gefühlvoll diese „Musik aus dem Computer“ sein kann. Es entstehen schier unendliche Möglichkeiten, die Martha Bahr alias Panic Girl nach ihrem letzten Album Cake on Jupiter nun auch auf BLUE in 9 Tracks gekonnt auszuschöpfen weiß.

Wir haben uns mit Panic Girl zum Frühstücks-Interview verabredet und über ihr neues Album BLUE, ein ganzes Leben voller Musik, sowie über ihr Label i u we records gesprochen:

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Martha, dein neues Album BLUE klingt eine ganze Ecke runder und fast schon zugänglicher als dein letztes Album Cake on Jupiter (2019), nichtsdestotrotz lässt es eine gewisse Tiefgründigkeit nicht vermissen. Ist BLUE ein Album, das aus der Pandemie gewachsen ist?

Vielleicht ein kleines Stück, aber eigentlich ist das Album schon eine ganze Weile fertig. Ich habe es nur während der Pandemie erst fertig gemischt und hätte es auch gerne schon um Weihnachten herausgebracht, aber da hatte die Pandemie tatsächlich einen Einfluss drauf. Auch wollte ich unbedingt Vinyl haben, aber die Produktion hat sich um fast ein halbes Jahr verzögert, da nicht mehr so viel Personal auf einmal in der Produktionsstätte arbeiten konnte. Aber sonst sind das Album, die Kompositionen und auch die Vibes nicht von der Pandemie beeinflusst.

Schön zu hören, dass es also auch noch Alben gibt, die man nicht als „isolation tapes“ bezeichnen muss. Das nimmt ja mittlerweile tragische Ausmaße an.

Ohja, aber dass das Album runder klingt, das freut mich sehr zu hören! Ich habe mir sehr viel Mühe mit den Mixes gegeben, für die ich immer am längsten brauche. Die Kompositionen haben zwar auch viel Zeit in Anspruch genommen, aber der Mix ist immer der herausforderndste Part für mich. Damit es auch auf jeder Anlage gut klingt. Egal ob Studiomonitor, Küchenradio, Auto, Handy… Irgendwas ist immer. Gerade die Bässe kamen vor allem auf dem Küchenradio erstmal nicht so gut rüber. (lacht)

Es hat sich aber auch recht viel bei dir getan, zumindest wenn man einen Blick auf deine Social-Kanäle wirft. Du bist umgezogen, hast einen Schicksalsschlag verkraften müssen und dich auch vom Studio her vergrößert. Inwiefern haben diese Dinge auf BLUE eine Rolle eingenommen?

Dass mein Vater verstorben ist, das spielt definitiv eine große Rolle. Aber eher im Hinblick auf die Kompositionen für das neue Album, das ich gerade schon schreibe.

Oh fleißig!

Ja ich kann es einfach nicht lassen. (lacht) Seit ich ungefähr 20 war habe ich mir angewöhnt, jeden Tag zu komponieren. So bin ich auch am kreativsten. Es ist wie eine Routine. Ich mache eigentlich immer Musik und das so oft wie möglich. Jetzt sind wir in eine ländlichere Gegend gezogen und hier habe ich einen sehr schönen großen Raum im Dachgeschoss für mein Studio bekommen. Ich habe ja doch ein bisschen Equipment und kann die Geräte jetzt so aufstellen, wie ich das brauche und entsprechend verkabeln. Das ist sehr angenehm, auch wenn ich gespannt bin, wie heiß es hier im Sommer dann sein wird. (lacht)

„Jeden Tag ein bisschen“ ist natürlich eine bewährte Kreativitätstechnik. Wie gehst du an deine Kompositionen heran? Arbeitest du nur mit den Synths oder entstehen Songs auch mal am Klavier oder der Gitarre?

Es geht meistens gleich an die Schalter. Der Synthesizer ist definitiv mein Hauptinstrument, auch wenn ich schon seit Kleinauf Klavier- und Gitarrenunterricht hatte. Insofern ist der Synthesizer das erste Instrument, zu dem ich greife, oder eben die DAW (Digital Audio Workstation) auf dem Rechner. Ich komponiere ja auch für den Bayerischen Rundfunk und da habe ich für die Aufträge nicht immer so wahnsinnig viel Zeit. Da habe ich meine bewährten Tools, bei denen ich weiß wo ich hingreifen muss, um einen bestimmten Sound rauszukriegen. Oft ist es schneller in der DAW zu arbeiten. Bei Panic Girl fange ich meist lieber mit meinem Modular Synthesizer an. Ganz ohne Druck und sehr inspirierend, denn oft weiß ich nicht, was herauskommen wird, wenn ich anfange. Ich mag es einfach überrascht zu werden, entweder von mir selbst oder dem Gerät. Sich von der Stimmung leiten zu lassen gefällt mir sehr. Oft greift man zu den gleichen Reglern oder hat die gleichen Tricks auf Lager, aber mit einem Modular Synthesizer kann man diese Routine gut durchbrechen.

Du bist ja auch ausgebildete Sound Designerin und Tontechnikerin. Wenn man dich einmal live gesehen hat, fällt einem sofort dieses immense Aufgebot an Technik auf. Wie bringst du dennoch so viel Gefühl in deine Musik? Ist das etwas, was über die Jahre gereift ist oder entsteht das beim mutigen Experimentieren?

Es ist absolut beides. Und Übung spielt eine große Rolle. Eine Geige ist ja zunächst auch sehr herausfordernd und schwierig zu spielen. Aber wenn man übt und übt, wird es wie zur Gabel, mit der man isst. Man denkt nicht mehr darüber nach und das ist auch genau der Zustand, den jeder Künstler anstrebt: Etwas so intus zu haben, dass man darüber nicht mehr nachdenken muss. Durch die Routine ist das auch bei mir in Fleisch und Blut übergegangen. Man darf sich auch nicht vor zu komplizierter Technik scheuen, denn meistens sieht sie nur kompliziert aus. Wenn man es einmal begriffen hat, wie zum Beispiel modulare Synthesizer, ist es ganz einfach.

Das sagst jetzt du…

Ich hatte vor einer Weile mal einen Kumpel hier, der überhaupt keine Ahnung von Synthesizern hat. Dem habe ich einen ganz rudimentären Patch vorbereitet und er hat einfach die Kabel genommen, rumgesteckt und geschaut was passiert. Und mir ist wirklich die Spucke weggeblieben, was er für abgefahrene Sounds rausbekommen hat. Die Scheu darf man ruhig mal beiseitelegen und der Rest kommt mit der Routine. Wobei ich sagen muss, dass mir Technik einfach auch an sich viel Spaß macht. Das habe ich schon als Kind von meinem Vater übernommen und fühle mich auch heute noch wie in einem Sci-Fi-Film, wenn ich vor einem komplett gepatchten Synthesizer stehe.

Du hast es bereits erwähnt, du komponierst auch für den BR. Inwiefern schwappt da mal was rüber in deine musikalischen Projekte?

Das ist eine gute Frage. Ein Aspekt, der von den BR-Kompositionen herüberschwappt ist, dass ich super gerne mit Field Recordings, also Alltagsgeräuschen, arbeite. Es gibt ein paar Seiten, wo ich solche Recordings aus aller Welt finden kann, wie einen Park in Japan oder Wasserfälle in den Tropen. Solche Sounds verwende ich unheimlich gerne in meiner Musik, um ganz dezent eine gewisse Direktheit zu erzeugen. Das ist für mich eine ganz andere Ebene des Storytelllings, zumal diese Geräusche jedem bekannt sind und man sich sofort vor Ort wähnt. Das finde ich extrem spannend!

Ich denke da auch an Hörspiele oder die Bahnhofskulisse in einem Radiobeitrag.

Ganz genau! Und solche Sounds mische ich sehr gerne unter meine Musik. Sei es nur im Hintergrund oder, was ich auch manchmal mache, Geräusche in Beats umzufunktionieren. So kann man auch ein Fensterschließen als Kick verwenden. Das hört man vielleicht nur raus, wenn man es weiß, aber es gibt ein ganz anderes Feeling. Das macht es für mich um einiges intimer und persönlicher.

Unser aktuelles Heftthema beschäftigt sich mit dem Kopfkino und der Flucht aus dem Alltag. Jetzt dreht sich dein ganzes berufliches wie auch privates Leben um Musik. Wie hältst du dir das spannend? Wo findest du Inspiration?

Du hast absolut Recht, ich bin wirklich jeden Tag am Komponieren. Wahrscheinlich bin ich echt süchtig danach. (lacht) Seitdem ich ein kleines Mädchen war, bin ich von Musik fasziniert. Es ist einfach ein spannendes Medium, man kann es nicht sehen und nicht anfassen. Es ist quasi unsichtbar, aber trotzdem packt es einen. Man kann es zwar spüren, aber das ist schon eine Art Magie oder Zauberei. Das hat mich bis heute nicht losgelassen.

Es geht ja sogar noch ein Stück weiter bei dir und der Musik. Mit deinem eigenen Label i u we records widmest du dich auch dem operativen Musikgeschäft. Was hat es mit dem Label auf sich?

Das ist sehr spontan vor ungefähr einem Jahr entstanden. Ich bin ja schon eine gute Weile in der Synthesizer- und Modular-Szene unterwegs und kenne inzwischen einige Leute und sauge vieles auf. Mir ist irgendwann aufgefallen, dass gerade auf Labels und Compilations mehr Frauen vertreten sein könnten. Dabei kenne ich auch im elektronischen Bereich an sich extrem viele Frauen, die fantastische Musik machen.

Zumal man den Eindruck hat, dass gerade im elektronischen Bereich der Zugang für Frauen ein wenig leichter anmutet. Dachte ich jedenfalls…

Das Gefühl habe ich auch, dass es sehr viele und wirklich gute Komponistinnen gibt. Insofern finde ich es schade, dass sie auf Label-Seite teilweise unterrepräsentiert sind. Da ich schon sehr viele Kontakte geknüpft habe, habe ich mich zu einer eigenen Compilation mit dem Titel connected #1 entschlossen, darauf habe ich quasi meine Wunsch-Künstlerinnen aus dem Modular-Umfeld versammelt. Zum Beispiel Arushi Jain, die ursprünglich aus Indien kommt und indisch-traditionelle Musik mit modularen Synthesizern interpretiert. Das klingt abgefahren und richtig schön. Das muss man einfach mal gehört haben und der Erfolg gibt ihr Recht. Hélène Vogelsinger macht auch Modular-Musik und sucht sich für jede Komposition immer ein verlassenes Gebäude aus. Dort baut sie ihr Setup auf, um zum Beispiel in einer verlassenen Psychiatrie oder einem alten Schloss aufzunehmen. Die Stimmungen, die da eingefangen werden, sind echte Unikate.

Das Label und die Compilation werden also gut aufgenommen?

Ja, zumal auch Leute, die nicht jeden Tag Modular-Musik hören, echt begeistert sind und den Start des Labels gut aufgenommen haben. Ich habe auch versucht, eine gute Mischung aus verschiedenen Musikstilen hinzubekommen und bin froh, dass es trotzdem rund klingt. Das zweite Release war mein Album BLUE und das dritte Release kündige ich bald an: Margot Blue, eine Künstlerin aus L.A. mit ihrem Album (re)currents, die auch Modular-Musik mit spannendem Ambient-Einfluss macht. Ich bin jedenfalls sehr fasziniert von den Tiefen ihrer Musik und auf die Resonanz gespannt. Eine zweite Compilation wird dann das vierte Release sein.

Ich wage es kaum auszusprechen, aber wird man dich dieses Jahr live erleben können? Was sind deine Pläne für 2021?

Vor Ort sind noch keine Auftritte geplant. Wenn alles klappt, werde ich aber online auf dem einen oder anderen Festival vertreten sein. Ansonsten darf ich, was Projekte angeht, noch gar nicht viel verraten. Aber vieles davon kam über meine Kanäle wie Instagram, wo ich seit einer Weile sehr aktiv bin. Da häufen sich mittlerweile sehr spannende Anfragen. Sobald ich aber etwas verraten kann, lasse ich es dich wissen!

Es lohnt sich also ein Like auf den sozialen Kanälen von Panic Girl dazulassen. Ihr aktuelles Album BLUE ist via Bandcamp auf Vinyl erhältlich.


Gehört: Panic Girl – Blue // i u we records // VÖ: 5. Mai 2021  // Homepage