„Man muss mit gewissen Dingen klarkommen. Es geht nicht immer fair zu. Der beste Fußballer aller Zeiten wird vielleicht nie Weltmeister werden. Dafür läuft ein langer Schlaks, der besser beim Schwimmen gelandet wäre, mit goldenem Pokal in der Hand aus dem Maracana. Kann alles passieren.“
Mit diesem lakonischen Resümee seiner eigenen Karriere schließt Per Mertesacker, von Hauptberuf Innenverteidiger und im WM-Endspiel 2014 in der letzten Minute der Verlängerung eingewechselt, die 270 Seiten seiner gerade eben erschienen Autobiografie. Wie recht er mit so einer Einschätzung hat, hat beispielsweise das diesjährige DFB-Pokalfinale gezeigt. Pokalsensation statt Abschiedstriumph: Jupp Heynckes muss seine herausragende Karriere mit einer schmerzhaften Pokalpleite des FC Bayern gegen Eintracht Frankfurt beenden. Nicht auf die Stimmen von außen hören, an sich selber glauben und sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Herz und Härte zeigen – das könnte auch das Credo des gebürtigen Hannoveraners sein. Per Kopf – per Fuß – Per Mertesacker!
Nach 104 Länderspieleinsätzen und Stationen als Profi bei Hannover 96, Werder Bremen und Arsenal London hängt der für seine faire Spielweise geschätzte Mertesacker die Fußballschuhe an den Nagel und wird in die Nachwuchsarbeit beim FC Arsenal einsteigen. Somit kann die Autobiografie des 34-Jährigen eher als ein Rückblick auf eine bewegte Karriere als Fußballer und weniger als eine umfassende Beschreibung der eigenen Lebensgeschichte gesehen werden. Gemeinsam mit dem Sportjournalisten Raphael Honigstein erzählt Mertesacker die einzelnen Episoden seines persönlichen Matches, das beinahe nicht einmal über die Anfangsphase hinausgekommen wäre. Lange bevor die Arsenal-Fans den Niedersachsen als ihren big fucking German ins Herz schlossen, musste sich der junge Per in den Jugendmannschaften gegen talentierte Altersgenossen, skeptische Trainer und fiese Wachstumsschmerzen beweisen. Eine hohe Zahl an Aufenthalten in der Reha hat ihn in alle den Jahren verlässlich begleitet. Seine Krankenakte verzeichnet zahlreiche Verletzungen, die er immer mit einem immer noch individuelleren Trainingsprogramm niedergerungen hat.
Mertesacker beschreibt sich als Sportler, der immer mehr an sich arbeiten musste und sich nicht scheut, alternative Wege zu denken und zu gehen. Dazu gehört auch ein ausgeschlagenes Angebot von Bayern München oder eine ehrliche Einschätzung zum Thema Leistungsdruck im Profisport. Besonders diese ehrlichen Worte brachte die Riege der sogannten TV-Experten und 11Freunde-Barsitzer an den Rand ihrer Vorstellungskraft. Aber wahrscheinlich liegt es auch an den unterschiedlichen Horizonten, dass Mr. Mertesacker ab sofort die Leitung des Nachwuchsleistungszentrums von Arsenal übernimmt und ein Lothar Mattäus weiterhin die schlecht sitzenden Anzüge eines Bezahlsenders tragen muss. Lustig ist auch die Erinnerung an das legendäre „Eiswannen-Interview“ nach dem Achtelfinalkrimi während der WM 2014 oder die ein oder andere Anekdote aus den Kabinentrakt der Premier League.
Fazit: Per Mertesacker ist sicherlich ein cooler Typ und ein nachdenklicher Zeitgenosse, der dem Geschäft Profifußball guttut. Auf dem Parkett der Literatur bewegt er sich allerdings noch wie der lange Innenverteidiger, der er bis vor Kurzem war. Weltmeister ohne Talent liest sich wie ein Spiel, dass sich auf das Wesentliche konzentrieren muss und in dem die Fehlervermeidung Vorrang hat vor kreativen Kabinettstückchen. You have to win Zweikampf, wie Bixente Lizarazu einst sagte.
Per Mertesacker: Weltmeister ohne Talent // Ullstein // Hardcover mit Schutzumschlag // 272 Seiten // ISBN-13 9783864930577 // Erschienen: 11.05.2018 // 22,00 Euro
Fotocredit: C. Marc Wegener