Im Gespräch: Die Vermittlungsreihe „schau mer mal“

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Die freie Szene stellt sich vor #4

In dieser Interviewreihe stellt Mandana Mansouri exklusiv regelmäßig Künstler*innen der Freien Szene in München vor. Das Ziel der Reihe ist es Licht ins Dunkel zu bringen und natürlich am Ende des Tages immer der Weltfrieden. Für curt Leser*innen, die gerne gespoilert werden, gibt es auch eine Website  mit allen Aktivitäten der Freien Szene München.


Die Vermittlungsreihe schau mer mal

Abseits von Mainstream und verstaubter Hochkultur floriert in München eine außergewöhnliche Szene von Theater- und Tanzschaffenden. Diese unabhängigen Kreativen erforschen in unzähligen Aufführungen unkonventionelle Formate, positionieren sich politisch, spielen mit Ästhetik und Konvention. Die alternativen Orte, an denen solche Aufführungen entstehen laden das Publikum zusätzlich ein, das subkulturelle Potential Münchens neu zu entdecken. Mal ganz direkt und unprätentiös, mal schrill und bunt, mal hochintellektuell lassen sich die freischaffenden Künstler*innen nur schwer unter einen Hut stecken.

Die Reihe schau mer mal ermöglicht einen unmittelbaren Blick auf diese Künstler*innen außerhalb von Scheinwerferlicht und Bühne. In entspannter Atmosphäre werden die Personen hinter den Projekten nahbar und plaudern aus den Nähkästchen ihrer Arbeit. So verschieden wie die Aufführungen sind auch die Angebote von schau mer mal: es gibt gemeinsame Spaziergänge, Briefwechsel, Gespräche, Planspiele und Bewegungs-Einführungen. Da ist für alle was dabei, um sich heranzuwagen an zeitgenössischen Tanz, Performances und transdisziplinäre Kollektive.

Konzipiert und geleitet wird schau mer mal von Anna Donderer, Tabea Hopmans, Laura Martegani und Martina Missel. Als Projekt des Theaterbüro München ist die Vermittlungsreihe gefördert vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München.

 

 

Was bedeutet es für dich ein Teil der freien Szene in München zu sein?
Tabea Hopmans: Für mich bedeutet es, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die sich abseits der Mainstream-Kultur Münchens auf neue und kreative Arten mit relevanten Themen künstlerisch auseinandersetzt. Ich treffe spannende und vielseitige Menschen, die mir alle etwas beibringen, mir neue Impulse geben und mit denen ich gemeinsam Inhalte und passende Formate entwickeln kann, die nicht nur für die kunstinteressierten Münchner*innen, sondern auch für die breite Masse von Bedeutung ist.

Anna Donderer: Ich sehe in der Freien Darstellenden Kunst vor allem die Möglichkeit innovative Formen und Themenkomplexe zu erarbeiten und ausprobieren zu können, ohne vorher gegen verstaubte Strukturen und steifes Gewohnheitsdenken kämpfen zu müssen. Durch diese Freiheit kann die Freie Szene künstlerische und ästhetische Impulse setzen, was in festen Strukturen länger braucht. Ein großer Vorteil ist auch, dass sich die Menschen in den einzelnen Produktionen immer wieder aktiv für die Zusammenarbeit entscheiden. So haben alle Lust auf die gemeinsame Aufgabe und ziehen an einem Strang.

Ihr habt euch die Vermittlungsreihe schau mer mal ausgedacht. Wie kam es dazu?
Anna Donderer: Vermittlung bedeutet, den Menschen etwas näher zu bringen, das sie noch nicht kennen oder nicht verstehen. Die Freie Szene ist bahnbrechend und ideenreich was zeitgenössischen Tanz, Theater und Performance angeht. Hier wird wenig klassisches Theater gemacht, das sich bekannt und vertraut anfühlt, sondern es wird viel Neues entwickelt und ausprobiert. Das erschafft natürlich erstmal eine Hemmschwelle, weil der Zugang dazu schwieriger erscheint. Wir versuchen mit der Vermittlungsreihe die Künstler*innen in den Fokus zu rücken und so die Menschen hinter den Projekten und deren Gedanken und Ideen vorzustellen. Das macht es leichter, ein ehrliches und persönliches Interesse an diesen Formaten zu entwickeln.

Laura Martegani: Ein Problem der Freien Szene ist, dass alle Künstler*innen so vereinzelt agieren, weil es keine gemeinsame Infrastruktur gibt, wie sie in einem Staatstheater gegeben ist. Dadurch fehlt die gemeinsame Publikumsgewinnung und ein Großteil der Bemühungen versickert früher oder später wieder. Wir wollten eine Reihe gründen, die nachhaltig Aufmerksamkeit schaffen kann für die Freie Darstellende Kunst in München und zusätzlich den Künstler*innen auch Methoden und Ideen an die Hand gibt, ihr eigenes Publikum anzusprechen und kennen zu lernen.

Martina Missel: Es gibt schon viel Vermittlungsarbeit für Kinder- und Jugendliche. Im Erwachsenenbereich gibt es weniger Angebote. Erwachsene sind viel breiter gestreut und schwieriger zu erreichen. Gerade deswegen konzipieren wir eine Reihe, die sich speziell an diese diverse Zielgruppe richtet. Denn gerade in der Pandemie wird wieder so deutlich, wie sehr wir alle Kunst und Kultur brauchen, um uns in unserem Alltag orientieren zu können.

Welche Herausforderung habt ihr gemeistert?
Martina Missel: Bei unserer Gründung 2018 zusammen mit Raphaela Bardutzky mussten wir auch bei den Künstler*innen und den Fördergeber*innen erst einmal ein Bewusstsein für die Dinglichkeit von Publikumsgewinnung und Vermittlung erarbeiten. Zudem nahmen wir verschiedene Anläufe herauszufinden, wie wir als Reihe überhaupt ein Publikum erreichen können, das sich nicht sowieso schon für die Freie Szene interessiert.

Anna Donderer: Die Publikumsfrage ist auch immer eine Herausforderung: Wem vermitteln wir die Inhalte der Freien Szene? Wie bereiten wir das Material auf? Was sind Formate, die die Leute interessieren und gerne besuchen? Prinzipiell leisten wir da Zielgruppenanalysen in Zusammenarbeit mit den Künstler*innen. Das ist aber auch das Schöne daran, weil diese Zielgruppenfrage und dann der Dialog mit dem Publikum vielen Künstler*innen auch total in ihrer Arbeit weiterhilft.

Laura Martegani: Bei allen Erfolgen in den letzten Jahren merken wir aber auch, dass diese Arbeit nur langsam wächst. Wir können nicht von heute auf morgen viele neue Interessent:innen für unsere Reihe finden. Die Kontakte und das Vertrauen baut sich über viele Jahre auf, was Durchhaltevermögen und das Vertrauen und langsames Wachstum von uns fordert.

Tabea Hopmans: Die Pandemie ist auf jeden Fall auch eine Herausforderung. Es waren ja wenige aufführungsbezogenen Vermittlungsveranstaltungen möglich. Gleichzeitig ist es aber umso wichtiger, die Sichtbarkeit der freien Künstler*innen zu bewahren – nur weil es keine Aufführungen gibt, heißt das nicht, dass die Künstler*innen an nichts arbeiten. Deswegen haben wir jetzt umgedacht und wollen dieses Jahr den Fokus auf die Künstler*innen, ihre Arbeitsweisen und -inhalte legen, anstatt die Vermittlung zwangsläufig an eine Aufführung zu knüpfen.

Gibt es weitere Kunstformen, die euch interessieren? 
Laura Martegani: Viele Künstler*innen in der Freien Szene arbeiten ja interdisziplinär. So leisten wir nicht nur Vermittlungsarbeit für Theater und Tanz, sondern haben auch schon musikalische Einführungen oder Nachgespräche von Film-Streams angeboten. Unser Ausgangspunkt dafür ist jedoch immer die Darstellende Kunst. Gerade jetzt, wo die Pandemie unsere gewohnten Arbeitsstrukturen so in Frage stellt, ermutigen wir die Künstler*innen auch dazu, im Rahmen von schau mer mal neue Formate zu erproben. Die Umstellung auf digitale Formate und das Neu-Denken von pandemiekonformer Kultur ist anstrengend und aufwändig. Wir bieten eine kleine Plattform, um genau solche Möglichkeiten zu erproben.

Anna Donderer: Zudem haben wir gerade eine Förderung bekommen, um schau mer mal wissenschaftlich und analytisch zu begleiten. So finden wir heraus, was gut funktioniert und warum. Daraus entwickeln wir eine Toolbox für Vermittlungsformate, die wir in Form eines Buches dann Künstler*innen hier aber auch in anderen Städten zur Verfügung stellen. So könnten unsere Erfahrungen zu einer breiteren Öffentlichkeit für die Freie Darstellende Kunst verhelfen.

Wenn du dir etwas wünschen könntest, wen würdet ihr gerne unter den Zuschauer*innen wissen?
Tabea Hopmans: Ein Mitglied des BMW-Aufsichtsrats, der oder die neben einer/einem Handwerker*in sitzt. Sprich, die unüblichen Zielgruppen von Freien Darstellenden Künsten, die sich gemeinsam durch unsere Veranstaltungen nun mit dem gleichen Thema beschäftigen, die Stücke verstehen und für sich bedeutsame Einsichten daraus ziehen. Das wäre schön, aber schon noch etwas utopisch. Realistisch würde ich mich freuen, das kulturaffine Publikum in München zu erreichen, das die Freie Szene und deren Akteur*innen eher selten auf dem Schirm hat. Es wäre toll, die dann auch so zu begeistern, dass sie sich neben Verdis „La Traviata“ auch mal ein Stück in der Freien Szene anschauen wollen.

Martina Missel: Wir stellen den Künstler*innen jeden Jahres diese Frage und deren Antworten inspirieren uns auch immer wieder von neuem. Dieses Jahr wurden unter anderem reiche Menschen genannt; weibliche ältere Künstlerinnen und solche, die es mal waren oder werden wollten; junge Menschen am Anfang ihres Studiums; Blinde und Sehbehinderte Menschen und viele weitere Gruppen.


TERMINE
Die genauen Termine und Formate für die Vermittlungs-Veranstaltungen für das Jahr 2021 werden gemäß der aktuellen Corona-Maßnahmen und der entsprechenden Premieren-Termine angepasst. Bitte informiert Euch > hier über mögliche Änderungen.

TICKETS
Alle Vermittlungsveranstaltungen sind kostenfrei. Die Anmeldung zu den Vermittlungsformaten ist erforderlich. Fragen & Anmeldungen bitte per E-Mail an: vermittlung@theaterbueromuenchen.de

 

Aufmacherfoto: Sebastian Lehner
Z
weites Foto: Fabian Norden