Im Gespräch: The Horrors

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Yeah you will never, never, never, be, more than a machine.

Daumendicke Eighties-Bässe gepaart mit ausgefuzzten Gitarren-Enden à la the Cramps gibt es selten zu hören. In ihrer Kombination so düster vorgetragen, wie es nur Altmeister Gary Numan vermag, noch seltener. Den schier unmöglichen Spagat schafft jedoch die Ausnahme-Band The Horrors um Sänger Faris Badwan aus dem guten alten United Kingdom.

Seit über 10 Jahren, angefangen mit ihrem furiosen Debüt „Strange House“, gelten Faris, Tom, Joshua, Rhys und Joseph als Aushängeschild in Sachen Hype von NME und Konsorten. Doch auch wenn der anfängliche Orkan sich schnell verzog, ruhig wurde es um The Horrors nie. Egal welches ihrer bisher vier erschienenen Alben, ein jedes wurde heldenhysterisch durch das Feuilleton gejagt. Mit ihrem nunmehr fünften Werk, schlicht „V“ betitelt, legen die Goth-Posterboys mit den toupierten Matten weit mehr als eine weitere Post-irgendwas-Plastik vor, sondern ein Album, welches dank Starproduzent Paul Epworth der Realität weit überlegen scheint. Kühl, dystopisch und doch analog-naturalistisch, voller tanzbarer Hymnen, sind The Horrors zurück. In Glanzform? Besser!

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Bevor die fünf Horror-Heads für ihren Auftritt in Cambridge noch einmal die schwarzen Hemden bügeln und die Kajal-Stifte zu Recht legen, blieb genug Zeit für ein Ferngespräch nach München mit Gitarrist Joshua Hayward über das lebendig Gefressenwerden, missglückte Bewerbungen und die Angst vor dem Ja.

Josh, wie fühlt es sich an, eines der besten Alben des Jahres released zu haben?
Oh, es fühlt sich fantastisch an, es endlich zu veröffentlichen! Wir haben eine ganze Zeit daran gearbeitet und geschraubt, weißt du. Die Reviews sind gut und es ist definitiv ein großer Schritt vorwärts für uns. Darauf sind wir sehr stolz und es ist natürlich spitze, wenn du dem zustimmst.

„This is the album the band needed to make”, heißt es in einer der wohlwollenden Kritiken. Dieser Grundtenorherrscht bei so ziemlich jedem eurer Alben vor. Egal was ihr tut, man attestiert euch stets, ihr hättet euch wieder einmal selbst übertroffen und werdet dem Hype von vor 10 Jahren doch noch gerecht. Fühlt ihr euch gerade auf dem Zenith?
Ich denke, viele Bands treiben sich stets in denselben Gewässern rum. Das macht es natürlich einfach zu sagen, dieses oder jenes Album ist ihr bestes. Letztlich veröffentlichen sie immer wieder das gleiche Album, wohingegen es unser größtes Ziel ist, immer wieder neue Musik zu machen. Es soll sich definitiv von dem, was wir davor gemacht haben, abheben und anders klingen. Neue Wege zu gehen, daran bin ich interessiert. Und dann ist es eine Frage des Geschmacks. Ich denke, man kann Musik nur sehr schwer auf einer Skala unterbringen. Wenn ich behaupte, dass dieses Miles-Davis-Album, besser sei als jenes Jon-Coltrane-Album, dann geht es wirklich nur darum, welche Vorlieben du hast.

Ein gewisser Ehrgeiz ist bei euch aber sicher vorhanden, oder?
Aber klar doch! Als wir „V“ endlich im Kasten hatten, hätten wir sofort weiter Musik aufnehmen können. Das ist für Januar nächsten Jahres geplant. Insofern mangelt es uns überhaupt nicht an Ideen und es schlummert noch eine Menge in uns. Ich denke, in diesem Flow will man sein, findest du nicht?

Auf jeden Fall! Gerade wenn ihr eine solche Strähne habt, macht es das Arbeiten sicher um einiges angenehmer.
Definitiv, diese Strähne, von der du sprichst, fühlen wir gerade extrem.

Josh, für „V“ stand euch neben diesem kreativen Flow aber auch der legendäre Paul Epworth (Adele, Lorde, Lana Del Rey) zur Seite.
Ha ha, der legendäre Paul Epworth… Das wird Wasser auf seine Mühlen sein. Das muss ich ihm sofort erzählen! (lacht) Das wird er lieben!

Tu das! Jedenfalls kann ich mich gut entsinnen, welchen Aufschrei es gab, als die Queens of the Stone Age bekannt gaben, dass sie mit Mark Ronson (Lady Gaga, Paul McCartney, Adele) ins Studio gehen. Kommerz hieß es … Was kannst du mir über Paul erzählen?
Faris hatte schon vor einiger Zeit mit ihm Vocal-Tracks für „luminious“, unser letztes Album aufgenommen und war sehr angetan von der Zusammenarbeit. Ich wiederum habe ihn vor 15 Jahren nach einem Job gefragt. Als Studio-Assistent, kein Scheiß! Er kam zu einer Party von uns und ich war vielleicht 20 zu der Zeit. Auf jeden Fall lag er sturzbetrunken auf der Couch und ich schrieb ihm einen langen Zettel, wie gut ich Teekochen könnte, wie pünktlich ich sei etc. Den habe ich in seiner Hose versteckt. Aber den Anruf habe ich nie bekommen, also musste ich eben ein wenig warten, um endlich mit ihm zu arbeiten. (lacht)

Eine Geschichte wie aus dem Bilderbuch.
Ha ha, ja! Ich kannte  Paul auch über LCD Soundsystem und all die anderen. Und er ist wirklich dieser willensstarke Typ, der auch mit dir diskutiert. Und so einen Typen wollten wir auch. Jemanden, der uns aus unserer Komfortzone holt und die Dynamik der Band einfach mal über den Haufen wirft. Nur so konnten wir etwas wirklich Neues machen. Es war großartig, auch wenn wir am Ende keine Piano-Balladen geschrieben haben …

Gab es diese Angst überhaupt im Hinblick auf Pauls Kollaborationen mit beispielsweise Adele, dass es doch zu kommerziell werden könnte?
Nicht wirklich. Als wir zuvor mit Paul die ersten Gespräche geführt haben, wurde es sehr schnell klar, dass er mit uns experimentieren will. Auch er hatte wirklich Lust auf etwas Neues, im Gegensatz zu seinen früheren Arbeiten. Insofern hatten wir keine Angst, dass wir weichgespült werden könnten. Ganz im Gegenteil haben wir uns sogar gegenseitig gepusht. Eine wirklich gute Zusammenarbeit, was man, denke ich, auch im finalen Output sehr gut heraushören kann.

Eure Musikvideos waren schon immer ein wichtiger Bestandteil von The Horrors. Das neue Video zu „machine“ ist aber nochmal ein ganz anderes Kaliber. Sehr viel Analoges und Natürliches trifft auf kalte Maschinerie und Industrial. Das Artwork von „V“ strotz ebenfalls vor Chris Cunningham’esken und skurrilen Einfällen, aber auch sehr viel Pop. War euch der visuelle Aspekt hier sehr wichtig?
Das ist doch wichtig für jede Band, oder? Ich verstehe es nicht, wie manch einer behaupten kann, es ginge nur um die Musik. Das ist eine glatte Lüge. Die visuelle Komponente gehört immer dazu. Wenn du dir eine Platte holst, ist es doch das Erste, was du noch vor der Musik in den Händen hältst. Ein visuelles Produkt, manchmal sogar richtige Kunst.

Mit ein Grund, überhaupt noch physikalische Tonträger zu kaufen.
Das ist doch der Clou, ja! Es geht wie so oft in der Kunst um das große Ganze. Ein gut geschnürtes Paket muss auch ansprechend präsentiert werden. Die Art und Weise, wie etwas aussieht, hat doch auch großen Einfluss darauf, wie du es konsumierst oder, in unserem Falle, wie du dir die Songs anhörst. Auch Dinge wie die Herkunft der Leute. Wo kommt die Band her? All das halte ich für sehr sehr wichtig und wir waren wirklich happy, dass wir Erik Ferguson für „V“ verpflichten konnten. Dieses groteske Artwork hat uns einfach wahnsinnig gut gefallen, für das, wo wir mit der Platte hinwollen. Auch mit der Ausführung sind wir mehr als glücklich.

Zu Recht! Wie seid ihr bei den Visuals vorgegangen? Kam all das parallel zum Songwriting und den Aufnahmen zustande?
Es hat sich uns einfach so offenbart, sobald wir die Aufnahmen beendet hatten. So machen wir Alben. Wir haben selten ein wirkliches Konzept für das Visuelle, da stets so viele kreative Ideen im Raum stehen. Was am Ende dabei rauskommt, ist meist sehr krude und verworren. Das Artwork ist aber sicherlich eine Reflexion, die wir am Ende vornehmen. So wie sich das Album an sich auch an keine Konventionen oder Regiepläne hielt, je weiter wir im Prozess vorangeschritten sind. Es fügt sich am Ende doch alles irgendwie, aber eben nicht nach Plan.

In jedem Fall ist euch in beiden Departments eine irre energetische Mischung gelungen. Wie habt ihr es hinbekommen, The Horrors diese Adrenalinspritze zu setzen?
Neben einigen administrativen Dingen wie dem Labelwechsel liegt es auch sehr an Paul Epworth. Wir hatten wirklich zahlreiche Gespräche, wo wir hin wollen und all das. Aber Paul hielt uns an, die Dinge nicht allzu sehr zu überdenken und unseren Ideen und Einfällen einfach eine Weile zu folgen. Nichts auszulassen und nichts zu verpassen. „Ihr könnt nicht immer Nein sagen, ab jetzt sagt ihr Ja!“, war eins seiner Mottos. Auf der anderen Seite hatte er aber auch ein Auge darauf, dass wir uns trotzdem nicht verrennen und an einer Idee aufreiben. Wir haben wirklich viele Songs geschrieben und das sehr schnell. Auf diese Weise haben wir allmählich begonnen, sehr instinktiv Musik zu machen. Das war ein sehr hohes Maß an Unterbewusstem involviert, wobei wir versucht haben, ein gewisses Live-Feeling zu erhalten. Auf diese Weise werden auch die Live-Shows selbst viel spaßiger für uns.

Josh, ich weiß, dass du sehr technikaffin bist und deine Effekte zum Großteil selbst baust. Wenn wir auf die visuelle Komponente zurückkommen: Was hältst du von Augmented Reality und Virtual Reality? Sind das Felder, die du auch musikalisch ausloten wollen würdest?
Das ist alles wahnsinnig interessant, ja. Gerade bei diesem Album habe ich angefangen, ganze Computerprogramme zu schreiben, und das ist definitiv der nächste Level, auf das Musik gehoben werden wird. Aber Virtual Reality ist schon eine Nummer für sich, oder? In den 90ern war das alles noch ein Gimmick, furchtbar, aber wir nähern uns Schritt für Schritt an. Das ist aber auch alles sehr unheimlich … Es gruselt mich sehr vor Artificial Intelligence, das kann ich dir sagen. Die UN will doch ein Institut eröffnen, dass die Forschung in diesem Bereich monitored, weil die auch Schiss davor haben. Au Mann, Tim, wir werden alle draufgehen … Argh! (lacht)

Ich kann das gut nachvollziehen. Doch einige Möglichkeiten tun sich trotzdem auf, nicht?
Unendlich viele, ja! Ich will unbedingt ein Konzert spielen, bei dem wir dich aus der Menge klauben und essen können. Dann erlebst du das Konzert aus uns heraus. Oder wir fliegen in euch rein. Das wäre brillant! Wie funktioniert das?!

Da müsst ihr vermutlich noch weitere zehn Jahre Musik machen, bis wir dahinkommen. Aber auch ohne von euch bei lebendigem Leibe gefressen zu werden, habe ich den Eindruck, dass die neuen Songs absolute Live-Granaten sind. Sorgen Songs wie „hologram“ und „machine“ für neue Impulse in eurem Live-Set?
Absolut! Das neue Set ist sehr beat-lastig und die neuen Songs lassen sich wahnsinnig gut live spielen. Im Gegensatz zu früher ist das neue Album nicht ganz so komplex aufgebaut, weswegen wir den Sound auf der Bühne sehr gut adaptieren können. Das gibt dem Ganzen sehr viel mehr Power und fühlt sich wie früher an.

So wie zu guten alten „Jack the Ripper“-Zeiten. Da ward ihr wirklich außer Rand und Band.
Ich öffne mich dem Chaos definitiv wieder mehr, ja! Das macht die Sache für uns im Moment auch wirklich wieder spannend. So sollte es auch sein, oder? Die Dinge sollten abwechslungsreich bleiben bei einer Show und nicht von Abend zu Abend das gleiche Band abgespielt werden. Ich denke, nur so versteht man Live-Shows auch, erst dann wird es wirklich deins. Die jeweilige Location tut ihr Übriges.

Apropos Location. Depeche Mode haben euch auf ihre „Global Spirit“-Tour mitgenommen. Habt ihr aus diesen Shows Energie für die eigene Tour geschöpft? Was nehmen The Horrors von so einer Tour mit?
Depeche Mode sind vermutlich eine der besten Live-Bands der Welt. Was mir aber nicht klar war, als ich sie jeden Abend spielen sah, war, wie sehr sich Martin Gores und meine Art, Gitarre zu spielen, ähneln. Aber ja, ihnen gehört einfach das Publikum und es war beeindruckend zu sehen, wie sehr sie die Menschen und die Bühne im Griff haben. Sehr inspirierend!

Also konntest du durchaus noch etwas lernen.
Wir spielen natürlich vor etwas kleinerem Publikum. Etwas … (lacht) Nein, extrem viele Leute lieben sie. Wir haben unser neues Album für unsere eigene Tour noch aufgespart, was vielleicht etwas blöd war, aber egal. Uns wurde gesagt, dass Depeche-Mode-Fans sehr speziell seien und einzig und allein Depeche Mode es wert wären, von ihnen gesehen zu werden. Insofern war ich überglücklich, dass wir nicht mit Flaschen und sonst was beworfen wurden. Den meisten Leuten schien es zu gefallen. Glück gehabt!

Glück haben auch wir, denn am 17. November steigen die 60ies-Zombies aus Southend-on-Sea ins Cabrio nach München und versprühen im Backstage dunkelsten 80ies-New-Wave, wie er tanzbarer und düster nicht sein könnte. Gänsehaut und ausgeleierte Riemchen an den alten Gothic-Tretern gibt’s inklusive.


curt präsentiert: The Horrors > Homepage // Support: Mueran Humanos > Homepage  // 17. November // Backstage Halle // Beginn: 20:30 Uhr /| Einlass: 19:30 Uhr // VVK: 18,00 Euro zzgl. Gebühren


Die Gewinner unserer Kartenverlosung wurden informiert!

Interview: Tim Brügmann > Homepage