Kork Martin Bechler, Sophia Fritz

Sophia Fritz + Martin Bechler: KORK

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Der richtige Wein im falschen Leben

Was tun nach zwei bleischweren Jahren und blickdichten Tourneen quer durch die Republik und einer Pandemie-Welle nach der anderen? Richtig, ein Solo-Album aufnehmen und den ersten Roman hinterherschießen. Dieses Kunststück ist Martin Bechler, dem Vorturner der quartalsirren Truppe mit Namen Fortuna Ehrenfeld gelungen. Ein Wohlfühlpaket, für alle, die sich nach ein wenig Eskapismus und einer Schulter zum Anlehnen sehen. Egal ob in Text oder Musik gegossen, Martin Bechlers Stuss und Weisheit strecken die Hand aus. Mit dabei? Sophia Fritz, Ausnahmetalent, die unter anderem für DIE ZEIT schreibt und jüngst ihr Romandebut Steine schmeißen veröffentlicht hat und vor allem eines ist: eine aufstrebende Autorin, die in ihren Grundzügen das Ying zu Martins Yang bildet. Gegensätze ziehen sich an und verschwören sich gegen die Ahnungslosen. Entstanden ist dabei der gemeinsame Roman KORK, in dem sie in der Kölner Wein-Spelunke Bacchus den verschiedensten Gästen nie den georderten, aber stets den passenden Wein verabreichen. Eine einzige aber stets brunnentiefe und erkenntnisreiche Fehlbehauptung in Romanform. Und die gilt es zu feiern, auf einer ausgiebigen Lesereise, die am 17. April auch in München im Heppel & Ettlich Halt macht.

Zwischen dem Weißen und dem Roten klatschen sich Sophia Fritz und Martin Bechler gegenseitig Applaus, fangen sich auf und präsentieren sich gegenseitig ihre Sorgen und deren Lösungen. Stets verfasst aus dem eigenen Leuchtturm, angereichert mit Wein und messerscharfer Küchen-Philosophie. Dabei steht vor allem ihre ungleiche Freundschaft im Vordergrund, Pech und Schwefel, gemeinsam gegen den Rest. Stets hält man den Schopf des anderen in der Hand, um ihn aus dem jeweiligen Schlamassel zu ziehen. Ganz egal, ob nach kräftezehrendem Tour-Alltag oder einer peinlichen Begegnung mit dem Ex-Freund beim Supermarkt um die Ecke. Bechler schwingt wortgewaltig den Barbera und gibt zu, bei der Auswahl des nächsten Glases auch einfach mal nach Etikett zu gehen. Und Sophia Fritz findet den zimtverschlissenen Schlabberpunsch auf dem Weihnachtsmarkt ab und an gar nicht so schlecht. Genauso treffen in KORK Alltagsbanalitäten, Wachstumsschmerzen und tiefgründige Erkenntnisse aufeinander, ebenso wie Lou Bega oder die Nine Inch Nails auf der absurden Playlist des Onkels.

Hier ist für jeden etwas dabei, ebenso wie auf den 13 emotionalen Schusswunden in Balladenform, die der Kopf von Fortuna Ehrenfeld auf Solo I. zusammengepfercht hat. Und die gibt es am 17. April in München ebenfalls und nur hier live zu hören:

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Martin, kalter Start: Solo I. heißt dein neues Album, welches am 25. März erscheint. Eine Woche davor gehst du mit deinem ersten Roman KORK an den Start, den du zusammen mit der jungen Autorin Sophia Fritz geschrieben hast. Erzähl!

Diese Soloplatte hatte ich nie geplant. Ich wollte dem Buch einfach nur ein paar Trinkerballaden hinterherwerfen. Im Roman geht es ums Saufen, um das Schöne und das Schlimme daran. Es hätte auch erstmal nur eine EP werden sollen mit etwa sechs Songs, die man abends gut in der Kneipe hören kann, aber Alter: Da ist so viel guter Scheiß rausgekommen. Das musste einfach ein Album werden. Es hat aber auch extrem viel mit dem Buch zu tun und ich bin wahnsinnig gespannt, was sich jetzt in Gang setzt.

Du nimmst mit dem Solo-Album und dem Buch wieder sehr viel selbst in die Hand. Ihr seid mit Fortuna Ehrenfeld eine blickdichte Tour gefahren und habt wieder extrem viel selbst gestemmt. Das steht im krassen Kontrast zu den Erzählungen anderer Kollegen, die die letzten beiden Jahre fast nur gemeckert haben.

Ich bin nur für mich selbst verantwortlich. Fakt ist, dass wir alle dazu verdammt waren viel zuhause zu sitzen. Zuhause steht aber auch mein Klavier und dann zähl mal 1 und 1 zusammen. Es braucht weitaus mehr als eine Pandemie, um mich zu erschrecken. Ich bin zum Krisenmanagement erzogen worden. Wenn Probleme auftauchen, setze ich mich hin und versuche im Rahmen meiner Möglichkeiten eine Lösung zu finden. Und das wurde belohnt. Dass jetzt dabei ein Solo-Album für mich herausgekommen ist, liegt daran, dass wir extrem viel mit der Band gespielt haben, Corona hin oder her. Da haben wir uns einfach mal eine kleine Winterpause verordnet und obwohl ich selbst mal die Füße ausstrecken wollte, bin ich morgens aufgewacht und dachte mir: Schau an, da steht ja ein Klavier! Und dann war’s auch schon passiert … (lacht)

Für Fans der ersten Stunde wirkt das Album sehr back to the roots. Ist das ein bewusster Wink an die Fans, die Fortuna noch vor all dem Schalala in seiner bedächtigeren Form kennen?

Vollkommen richtig beobachtet! Ich weiß, dass es einen großen Anteil an Hörern gibt, die total auf diese schwebenden Klavierballaden stehen. Ein reines Klavieralbum habe ich mich aber nie getraut und du darfst nicht vergessen: Wir sind noch eine sehr junge Band. Ich dachte immer, dass ein wenig Lametta mit dazugehört, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Da wären mir die Leute sonst weggeschnarcht. Jetzt habe ich aber so viel Lametta auf dem Filetiertisch, dass ich wieder meine Balladen schreiben kann. Und derer habe ich viel zu viele. (lacht) Als ich die ersten drei Songs fertig hatte, wusste ich aber, dass es der richtige Zeitpunkt für dieses Album ist.

Was bedeutet dir die Platte persönlich? Ist da ein bisschen Selbsttherapie dabei oder wolltest du deinen Fans in diesen immer noch zähen Zeiten einen aufmunternden Begleiter an die Hand geben?

Beides wieder richtig. Volle Punktzahl! Ich habe, ohne mir das selbst ausgesucht zu haben, immer mehr Verantwortung übernehmen müssen auf dieser Reise. Plötzlich war ich Bandleader und Label-Chef. Jetzt bin ich mein eigener Promo-Chef. Nach diesem sehr anstrengenden, aber auch sehr schönem Jahr ist mir nur klar geworden, dass die Abende, an denen ich mich in aller Ruhe ans Klavier setzen konnte, dramatisch weggebrochen sind. Und das hat mich mit großer Sorge erfüllt. Das habe ich mir über den Jahreswechsel mit der Brechstange zurückerkämpft. Das Album hat mit Corona nichts zu tun, ist aber ein riesiges Trostpflaster und ein Raum für die Leute, um einfach mal durchschnaufen zu können. Genau das ist diese Platte geworden.

Das ist dir wahrlich gut gelungen.

Das waren für uns und euch alle zwei bleischwere Jahre. Aber jetzt kommt da dieser berühmte Fortuna-Effekt: Ich finde Melancholie toll, aber Melancholie ist eine Turnübung. Ich durchlebe die Melancholie sehr bewusst und komme dann genesen und einmal durchgefeudelt wieder zurück. Die Melancholie darf dich nicht runterziehen. Sie ist ein heilender Prozess.

Was hat es eigentlich mit dem Teufel auf diesem Album auf sich? Er hat zum einen das Gaspedal erfunden, auf der anderen Seiten springt er dir mit allen nackten Ärschen ins Gesicht.

Der Teufel ist allgegenwärtig. Ich bin zwar selbst fröhlicher Atheist, aber unser aller Leben besteht aus Engelchen und Teufelchen. Wir machen alle Fehler, haben alle Bedürfnisse, begehren und machen auch immer wieder dieselbe Scheiße. Es gibt im Roman auch einen dramatischen Showdown bei dem sich die Protagonist*innen überlegen müssen, wie sie ihn wieder loswerden. Es sind enorm viele Geschichten aus Kork in das Album eingeflossen. Beide Werke sind eng miteinander verwoben. Das Lied „Pech und Schwefel“ beschreibt zum Beispiel die Freundschaft zwischen Sophia Fritz und mir – zumindest, wie sie im Buch stattfindet.

Wie kommt es zu dieser Kombi? Die Kollaboration mit Sophia Fritz. Man kann durchaus den Eindruck gewinnen, dass du eher ein Einzelgänger bist. Was muss man im Köfferchen haben, damit Martin Bechler aufmerksam wird?

Die Begegnung zwischen Sophia Fritz und mir ist tatsächlich eine Münchner Geschichte. Sie hat hier studiert und stand im Ampere nach dem Auftritt am Merch-Stand vor mir. Ohne jegliche Vorwarnung drückte sie mir ihren Roman in die Hand und meinte: „Ich finde deine Texte Mörder, magst du mal mein Buch lesen?“ Man kriegt ja viel zugesteckt und so habe ich auch das Buch erstmal vergessen. Nach circa einem halben Jahr habe ich es dann aber auf dem Boden einer Reisetasche wiederentdeckt und angefangen zu lesen. Und da hat es mich dreimal aus der Kurve gehoben. Sie schreibt mit einer dermaßen scharfen, wie feinen Feder, dass dir die Ohren in Ellipsenform schlackern.

Und dann hast du Kontakt aufgenommen?

Wir haben uns angefreundet und viel hin und hergeschrieben. Über das Schreiben geredet, da ich damals an etwas gearbeitet habe, was letzten Endes zum letzten Liederbuch wurde. Und da ich etwas über das Metier lernen wollte, haben wir an einem Abend viel zu viel Wein getrunken. Und wer mich kennt, der weiß, dass ich etwas Halbwissen über die guten Pfälzer Rotwein Cuvées besitze. Da meinte sie, ich müsste eigentlich mal ein Buch über Wein schreiben. Gute Idee, sagte ich, machste mit?. Und dann haben wir uns mal in Titisee-Neustadt auf einer Almhütte zurückgezogen zu einer ersten Schreibklausur. Und das ging so rasant schnell. Da musste man nur die Schleuse aufmachen. Keine vier Monate später war das Buch fertig und ich bin ein bisschen stolz.

Das Buch hat extrem viele Facetten. Wie ernst darf man es nehmen?

Die Geschichten sind zum Teil abenteuerlich kurios, manchmal entwaffnend ehrlich. Die Grundfrage war jedoch immer: Was müssen wir eigentlich saufen, wenn die elementaren Dinge des Lebens passieren? Urknall? Alien-Landung? Einsetzende Periode? Nicht einsetzende Periode? Exekution? Es ist ein neues Standardwerk, dass in jede gute Stube gehört. Wir haben mit Carsten Henn, dem Chefredakteur des VINUM Magazins, zusammengesessen, um die empfohlenen Weine seriös zu recherchieren. Das Buch ist kein Spaß! Das ist heißer Stoff! Die Lesungen werden sowas von Rock ’n’ Roll, aber mehr verrate ich nicht. (lacht)

Wer dich kennt, weiß in der Tat, dass du dem Wein nicht abgeneigt bist. Insofern überrascht der Inhalt des Buches nicht wirklich. Wie schwierig war es für dich, dich einfach mal nur auf den Text zu konzentrieren? Kannst du ohne Musik im Hinterkopf schreiben?

Worte haben für sich bereits immer schon eine Melodie, die sie in sich tragen. Ich empfinde Sprache immer als musikalisch. Und du merkst auch immer sofort, ob Leute in ihrer Sprache einen guten Flow haben. Nimm mal das Wort „Linie“. Wenn du dieses Wort in einen Song packst und du arbeitest gegen die Melodie dieses Wortes, dann kannst du davon ausgehen, dass du einen scheiß Song schreibst. Als der Verlag auf mich zukam, wollte ich erstmal nicht Fließtext schreiben. Warum sollte ich mich daran verheben? Die Leute kommen auf meine Konzerte, die Leute mögen meinen Scheiß. Warum soll ich mich jetzt in die lange Reihe der Musiker einreihen, die dann halt auch mal einen Roman geschrieben haben wollen? Da kommt zu oft nur eine gute 3 bei raus. Die Blöße wollte ich mir nicht geben, aber die Herrschaften waren sich sicher, dass ich das kann. Dann habe ich mich vollkommen angstfrei reingeschmissen und auf einmal hatte ich eine irre Freude daran. DAs ist eine wahnsinnig aufregende Arbeit, die mich in der Birne sehr erfrischt hat. Und in diesem Sog der Geschichten viel die Soloplatte dann wie automatisch aus dem Kopf. Ich musste mich nur noch als Klavier setzen, die linke Herzkammer aufreißen und alles auf die Tasten pullern lassen.

Wir sprachen bereits über back to the roots. Du kehrst am 17. April auch in München quasi an den Anfang zurück, nämlich ins Heppel & Ettlich. Hier haben die ersten Fortuna-Shows stattgefunden. Was bedeutet so ein Laden für dich?

Als wir damals noch durch den Spinat gegurkt sind, war das Heppel & Ettlich einer der ersten Läden, die wir ausverkauft haben. Das konnte ich damals nicht glauben und so hat sich eine kleine Kumpanei entwickelt. Damals war klar, dass wir in München einen angenehmen Weg vor uns haben. Dann wurde es größer und wir haben im Ampere gespielt. Aber da habe ich Mario schon gesagt: Ich komme wieder. Und jetzt ist dann Payback. (lacht)

Das klingt verheißungsvoll!

Das ist es auch! Und auch für die Leute, die auf Fortuna Bock haben aber Angst, dass da zwei Leute um ein Wasserglas rumsitzen: Macht euch auf was gefasst! Das wird Rock ’n’ Roll! Es wird bunt, der Teufel kommt, es kracht und ballert, es wird laut!

Genau, denn es wird zu Solo I. ja keine Tour geben. Die Lesungen sind also die einzige Chance, die Songs des Albums live zu hören zu bekommen, richtig?

Genauso ist es! Cheers!


Lesung und Konzert: Sophia Fritz + Martin Bechler: Kork // 17. April 2022 // Heppel & Ettlich // Beginn 20 Uhr // VVK 19,80 EUR zzgl. Gebühren

Fortuna Ehrenfeld: Solo I. // 25. März 2022 // Rough Trade

Sophia Fritz, Martin Bechler: KORK // 16. März 2022 // Kanon Verlag // 215 Seiten