Rammstein
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Gehört: Rammstein – Rammstein

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„Will dich lieben und verdammen“

Was Rammstein in ihrer Über-Single „Deutschland“ am 28. März mit einem 9-minütigen Mammut-Video über ihre Heimat zu sagen hatten, gilt nun leider auch für den 17. Mai. Ganze neun Jahre haben sich die Berliner Räuchermännchen Zeit gelassen, die Fans mit einem neuen Album zu beglücken. Drei davon verbrachten sie im Studio in der Nähe von Avignon. Auch personell hat sich etwas getan, denn Langzeit-Produzent Jacob Hellner wich dem bisherigen Live-Mixer Olsen Involtini. Und wahrlich, Rammstein war mit diesem bild- und wortgewaltigen Orkan das Comeback des Jahres gelungen. Die Kritiker verstummten weitestgehend und die Fans schrien auf vor Glück, ob einer zeitlosen Hymne, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort gelandet war. Auf allen Ebenen ließen es Rammstein aus dem Patronengurt niederhageln und haben einer verwirrten Nation zumindest für einen kurzen Moment Halt geboten. Ärgerlich war nur, dass der mutmaßliche Skandal erst von außen genährt wurde.

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Die große Welle gerät auf den zehn restlichen Tracks jedoch zum Sturm im Wasserglas. Zwar haben sich Rammstein nur selten musikalisch derart ambitioniert präsentiert, aber gerade textlich noch nie so viel vermissen lassen. Kindesmissbrauch, Kirchenzweifel und andere sexuelle Krisen hat der Sechser aus Ost-Berlin schon wesentlich eindrucksvoller intoniert. Songs wie „Zeig Dich“, der 18 Jahre zuvor als B-Seite mit Namen „Halleluja“ wesentlich heftiger umgesetzt wurde, fehlt es an Schlagkraft. Die klinisch-industrielle Härte der Anfangstage fehlt natürlich schon eine Weile, doch nun sind auch die Inhalte enttäuschend platt und wortarm formuliert. Auch das grimm’sche Märchenhafte und die orchestrale Opulenz sind fast gänzlich verschwunden. Doch während sich die großen Tageszeitungen an der politischen Tragweite und Deutungstiefe Rammsteins abarbeiten, ist es tatsächlich Till Lindemann, der trotz satter Sangeskraft und großem lyrischen Potenzial nicht mehr so recht zünden will. So scheint auch das Artwork sinnbildlich für das neue Album: Zündholz statt Flammenwerfer.

Die zweite Single „Radio“ vermag es die eigene DDR-Vergangenheit clever auf die Themen Fake-News und Meinungsfreiheit zu übertragen, doch schon auf „Ausländer“ geht es nicht mehr um aktuell-brisante Themen. Vielmehr handelt der Song von der Reise durch die Laken ferner Länder, während Lindeman fröhlich kosmopolitischer Promiskuität frönt. Gut gemeint, aber eher zwischen „Mein Land“ und „Pussy“ angesiedelt, erinnert der Song an augenzwinkernde Stimmungsmache aus dem Hause Scooter. Zwar verbinden Rammstein weiterhin Provokation und Selbstparodie, können ihre Marilyn-Manson-Werdung jedoch nicht aufhalten. Ähnlich wie der selbsternannte Antichrist scheitern sie am hauseigenen Konzept und tauschen Hypermaskulinität gegen die Rolle des Klassenclowns. Das macht die Band nahbarer und nimmt den oft herbeiorakelten rechten Wind aus dem Segel, gleitet nur oft in peinlichen Gothic-Zirkus ab. Gerade der Refrain des an sich großartigen Stücks „Puppe“ sorgt für Momente des Fremdschämens. „Es geht mir nicht gut!“, schmettert Lindemann mit absurd überdrehter Stimme. Man glaubt es ihm.

Wo der Frontmann nicht weiter weiß, brilliert jedoch Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz. Er hat die Jahre sinnvoll genutzt und mit „Der Tastenficker“ und „Heute hat die Welt Geburtstag“ nicht nur zwei äußerst lesenswerte semi-biografische Romane veröffentlicht. So verleiht er den Songs sowohl Kraftwerk huldigende Klangteppiche, als auch weitere für die Band unerhört innovative Synthie-Parts. Neben ihm auf dem Treppchen steht nur Richard Kruspe, der mancherorts treffende Gitarren-Soli abliefert. Nur dessen Riffs („Sex“ u.a.) hätten aufgrund ihres Rockstar-Posertums beim Solo-Projekt Emigrate für mehr Jubel gesorgt, obwohl „Tattoo“ angenehm an die Klasse von 94/95 erinnert. Die Rhythmus-Sektion liefert solide ab. Riedel, Landers und Schneider wagen keinerlei Experimente und halten die durchaus gut flowenden Songs auf Kurs. „Mehr“, was Rammstein 2009 noch in einem Song selbst einforderten, aber auch nicht.

Die Band, die die Nation spaltet und das Ausland mit Deutschland versöhnt, hat ein Album im Schatten seines ersten Tracks abgeliefert. Rammsteins verflixte 7 ist ein im Ansatz solides Album, das vereinzelt an alte Glanztaten erinnert, aber keineswegs überrascht und komplett ohne jede Provokation auskommt. So macht sich selbst nach dem an Falcos „Jeanny“ gemahnenden und  textlich stilvollen „Hallomann“ das Gefühl breit, dass hier wesentlich mehr drin gewesen wäre. Ja, hätte sogar kommen müssen. Im 25. Jahr ihrer Bandgeschichte liefern Rammstein satt produzierte aber einfallslose Meterware für die treue EMP-Fangemeinde und die, die sie am meisten hassen: Eltern in der Midlife-Crisis. Masturbierende Nonnen, eine dunkelhäutige Germania und das nach 20 Jahren wieder hochgeladene Riefenstahl-Video zum Depeche-Mode-Cover „Stripped“ lassen im Jahr 2019 selbst ZDF-Krimis mit Heino Ferch wie Grindhouse wirken. Der eigens für „Deutschland“ eingeführte Hashtag #duhastvielgeweint erscheint angesichts der langen Wartezeit fast schon tragisch.

Und dennoch macht sich Vorfreude breit, denn wenn es schon nicht zum Album des Jahres reicht, ist Rammstein der Preis für das ultimative Live-Spektakel sicher. Derzeit probt die Band im Berliner Wilhelmsruh auf dem Gelände der Produktionsfirma Black Box Music für die bevorstehende Stadion-Tour. Befürchtungen, dass die wohl größte Bühne ihrer Karriere weitestgehend auf Pyro-Effekte zugunsten einer Lasershow verzichten werde, sind bereits zerschlagen. Rammstein bleiben ihrem Lieblingselement treu. Auf der anderen Seite meinen Insider während der mehrwöchigen Proben neben „Mein Teil“ und eben „Deutschland“ längst vergessene Lieder aus den Anfangstagen der Band  vernommen zu haben. Stichwort „Biest! Biest! Biest!“ Als Support hat sich darüber hinaus Emigrate-Schlagzeuger Joe Letz ins Gedächtnis gerufen. Der stand wiederum in den Staaten während der phänomenalen „Made in Germany“-Tour schon einmal hinter den Plattentellern. Aber auch die beiden Pianistinnen Duo-Jatekok werden als Vorband heiß gehandelt und könnten dem Klassik-Remix-Ablum „Klavier“ zur ersten Live-Darbietung verhelfen.

Fest steht: Deutschlands erfolgreichster Musik-Export lädt mit der anstehenden Arena-Tournee zu einer Werkschau der Superlative. Und die wird nur wenige Wünsche offen lassen. Hier in München fahren Rammstein vom 8. bis zum 9. Juni im Olympiastadion für rund 70.000 Zuschauer die Geschütze auf. Feuer frei!


Gehört: Rammstein – Rammstein // Vertigo Berlin; Universal Music // VÖ: 17. Mai 2019

Live: Rammstein > Homepage // 8. & 9. Juni 2019 // Olympiastadion // Ausverkauft!

Foto: Jens Koch > Homepage