O München, kann es eine langweiligere Stadt geben? Während die einen nach Subkultur schreien, sich aber unter der Woche nicht aus dem Haus trauen und die anderen das Weggehen an sich verlernt haben, rumort es dennoch gewaltig in der Szene. Im Spannungsfeld aus „Pop-Plan“ der Stadt München und dem Aufbegehren von Meinungsführern wie Stereokultur und denen, die es gerne wären, scheint es um die Landeshauptstadt in Sachen Kultur und vor allem Musik geradezu dystopisch bestellt.
Doch was sich musikalisch auf der großen Farbpalette Münchens tut, zeigt seit nunmehr 10 Jahren recht eindrucksvoll das Sound Of Munich Now. 10 Jahre, die es nun zu feiern gilt, und zwar erstmals mit einem großen Open Air auf dem Alten Messeplatz. Aber auch im Feierwerk wird aufgetischt, wenn im Hansa39 beim Sound Of Bayern Now vier Bands aus Augsburg, Erlangen, Regensburg und Traunstein gastieren. In der Kranhalle flimmert darüber hinaus der Sound Of Munich Now Electronica seinem fünften Geburtstag entgegen. All das getreu dem Motto: 10 Jahre Sound Of Munich Now – das Beste, was Münchens Szene zu bieten hat.
Bevor das große Jubiläum abgefeiert wird, treffen wir uns mit den beiden Veranstaltern Christian „Kiesi“ Kiesler, seines Zeichens Booker-Maestro im Feierwerk, und Michael „Michi“ Bremmer von der SZ.
Ihr versteht euch als Showcase bzw. Präsentationsveranstaltung für die Münchner Musikszene. Was hat sich in den letzten 10 Jahren verändert?
Michi: Ich finde, dass München als Musikstadt in diesen 10 Jahren auf jeden Fall gewachsen ist. Die Bands sind besser untereinander vernetzt und das Selbstbewusstsein ist gewachsen. Ganz am Anfang gab es so viele Vorurteile, München als Hobbybandstadt, was zum Teil immer noch stimmt, jeder kocht sein eigenes Süppchen. Die Musiker sind ein Stück weit zusammengewachsen.
Kiesi: Es ist definitiv eine andere Stadt. Als wir angefangen haben, gab es das Atomic Café noch. Mittlerweile gibt es eine andere Live-Szene und es ist einfacher geworden, in Clubs zu spielen. Es sind viele neue dazu gekommen und tragischerweise auch einige verschwunden. Es gibt das Strom, es gibt das Milla, du kannst sogar in der Roten Sonne spielen. Es gibt viel mehr Möglichkeiten, als Band Auftritte zu kriegen. Das war auch der Ursprung unseres Festivals. Der Aufschrei war ja, dass die Bands keine Orte finden, an denen sie spielen können. Das wollten wir öffnen! Bühnen aufkriegen, die für Münchner Bands geschlossen sind, und all das über Aufmerksamkeit.
Michi: Es bedingt sich ja auch alles. Das Festival hat eine Tür aufgemacht, die Bands haben sich weiterentwickelt und es haben sich dadurch wieder neue Türen geöffnet. Wir sind in erster Linie Mutmacher und wir schenken Bands große Aufmerksamkeit. Die kriegen sie zwar auch so, aber das Festival ist eine Art Flash. Und das hilft den Bands hoffentlich.
Kiesi: Das soll jetzt nicht größenwahnsinnig klingen. Es gibt ganz viele Mutmacher oder Akteure, die daran gearbeitet haben, dass diese Stadt für Münchner Bands und Kultur offener ist.
Michi: Beim ersten Festival wurden wir natürlich belächelt. „Nur Münchner Bands?!“ Aber als die Kritiker gesehen haben, dass es funktioniert, hat die Münchner Musikszene ein Stück weit gewonnen.
Ihr sprecht von Mutmachern. Wie geht es denn den Bands stimmungsmäßig? Die Debatte, dass München imageschädigend sei, ist zwar nicht mehr so prominent, aber auch nicht vorbei.
Michi: Das Schöne daran ist ja: Man diskutiert darüber! Hauptsache, es wird diskutiert. Macht Rummel und macht Lärm!
Kiesi: Das war ja eine Provokation. Ich fand die super und habe sehr gelacht. Aber hey, es muss doch möglich sein, in dieser Stadt Kunst zu machen, auch abwegigere jenseits von großen Theatern. Darum ging es uns. Ich finde München nicht langweiliger oder besser als andere deutsche Städte. Je lebendiger so eine Szene ist, gibt es auch mehr Möglichkeiten zu spielen und zu proben – das war immer auch das Ziel vom Feierwerk oder von Michi mit der Junge-Leute-Seite.
Michi: Je größer das Festival geworden ist, desto lauter wurde die Diskussion. Aber das sind nicht wir allein. Es ist eine Art Schneeball und es hat eine Dynamik bekommen. Gut so!
Wie wollt ihr Sound Of Munich Now verstanden wissen?
Kiesi: Es ist ein irrsinniges Konzept. Wir schicken da im Viertelstundentakt einen ganzen Abend lang Bands über zwei Bühnen. Es ist eine klare Reizüberflutung, aber man bekommt in kürzester Zeit einen guten Überblick über die Szene und möglichst viel Input. Die Idee war, so viel Aufmerksamkeit wie möglich auf die Bands zu kriegen, und das geht am besten mit einem besonderen und herausfordernden Konzept. Diese Geschwindigkeit ist neu, im Grunde wie ein Musik-Speed-Date. Das kombiniert mit einer Medienpower, die man in der Popkultur vorher nicht kannte … alles außergewöhnlich und alles ein bisschen verrückt.
Michi: Das ist schon der Abend, an dem der Musik-Münchner da sein muss! (lacht) Es kommen Menschen zusammen, die was entdecken wollen, die sind offen. Die gehen mit was nach Hause. Was sich dann daraus entwickelt, ist nebensächlich. Wir bieten lediglich den Rahmen und wollen möglichst viele Menschen locken, die gerne Musik hören oder mit Musik arbeiten. Wenn wir da was verbinden können, ist das umso schöner.
Social Media ist in den letzten Jahren noch einmal unheimlich gewachsen. Helfen euch diese Tools?
Kiesi: Für mich sind es wahnsinnig gute Tools, aber ich baue nach wie vor auf mein Netzwerk. Man kennt Leute, man unterhält sich und diese persönliche Empfehlung ist mir mehr wert als jedes Like. Wenn mir Leute von einem Mega-Abriss von Band XY erzählen, interessiert mich das mehr.
Michi: Diese Tools sind erstmal für die Bands interessant. Heute gibt es viel mehr technische Möglichkeiten, um auf sich aufmerksam zu machen – und auf das Festival. Natürlich merken wir auch anhand von Facebook-Zahlen, mit welchem Rummel wir rechnen können. Aber auch so war Sound Of Munich Now bisher immer erfolgreich. Aber klar, man soll auch dort über uns reden. Ich hätte nur Bauchschmerzen, wenn wir so ein High-Tech-Social-Media-Ding werden. Da müsste ich erst den Drohnen-Führerschein machen. (lacht)
Kiesi: Diese Kanäle nicht zu bespielen, ist auf jeden Fall ein Fehler. Aber ob sie die wichtigsten sind? Der wichtigste Kanal ist, glaube ich, immer noch gute Kunst zu machen. Das beste Marketing sind spannende Dinge. Sei innovativ, kreativ und kick die Leute, auch emotional! Das ist das Geheimnis.
Seid ihr bereit für die nächsten 10 Jahre Sound Of Munich Now?
Michi: Da ja jede Band nur einmal spielen darf, kamen immer wieder Leute, die meinten, dass wir schon in unserem ersten Jahr das beste Line-up gehabt hätten. Dass die aber Jahr für Jahr wieder kommen und die Bands loben, ist das Erstaunliche daran. Von Jahr zu Jahr wächst die Szene und wir hatten nie Sorge, wie wir das Line-up vollkriegen. Und so wollen wir auch die Jahre drauf für ein „Wow!“ sorgen. Wohin das alles geht, weiß ich nicht, aber es gibt viele spannende Felder, um das Festival auszubauen. Wenn man uns lässt!
Kiesi: Wir fragen uns natürlich, was wir tun können, was der Stadt und der Szene auch was bringt. Wir reden jetzt schon über 2019, aber viel wissen wir noch nicht. Die bayernweiten Komponenten oder eben unser Sound Of Electronica Now könnte man ausweiten. Damit werden wir uns in der Zukunft beschäftigen. Aber jetzt müssen wir erstmal dieses Monster-Open-Air bewältigen. (lacht)
Was können denn die Leute da draußen selbst tun?
Kiesi: Selbst wenn es schwierig ist, von der Couch aufzustehen: Geh raus, guck dir Bands an!
Michi: Das versuchen wir ja auch zu transportieren. Schön, dass ihr alle kommt, aber unterstützt die Bands auch hinterher. Kauft euch Shirts, Platten oder geht am besten auf die nächsten Konzerte. Ich fände es schön, wenn sie nach dem Festival auch das reguläre Konzert der Band besuchen. Das ist das, was wir am Anfang machen wollten: Münchner Bands eine Plattform geben und für Aufmerksamkeit sorgen. Liebe Bands, liebe Künstler, das ist euer Platz. Macht was draus!
curt präsentiert: 10 Jahre Sound Of Munich Now // Open Air am Alten Messeplatz: Einlass 14 Uhr, Beginn 15 Uhr // Feierwerk: Einlass 22 Uhr, Beginn 22.30 Uhr // Eintritt frei! > Homepage
Fotos: Michael Weniger > Homepage
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