Mario Radetzky Blackout Problems curt München

Im Gespräch: Blackout Problems

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Kaum eine Band aus München hat diesen Sommer für so viel Aufruhr gesorgt wie die Blackout Problems. Ein großes Festival nach dem anderen ging mit der Ankündigung raus, dass die vier Ms im Line-up vertreten sind: Southside, Hurrican, Deichbrand – um nur ein paar zu nennen. Schuld daran? Vielleicht das neue, zutiefst berührende Album KAOS, das in diesem Frühjahr erschienen ist. „We came to raise the limit“, singt Frontmann Mario Radetzky im gleichnamigen Song Limit. Wie genau das aussieht, wie es zum Sound von KAOS kam und warum es so wichtig ist, Gefühle in der heutigen Zeit wieder auszusprechen, erzählt Mario ganz offen und unverblümt bei einer Tasse Kaffee. Am 1. November beginnt die große KAOS Tour, die genau vier Wochen später am 1. Dezember in München im Technikum ihr Finale findet. Ihr wollt dabei sein? Dann schnell Tickets sichern.

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Mit Kaos habt ihr ein Album geschaffen, das ziemlich tief in eure Gefühlswelten blicken lässt. Die Songs erzählen von Vergänglichkeit, Trennung in jeglicher Form und Verlust. Was ist das für ein Gefühl, wenn plötzlich in Form von Songzeilen und Sound offenliegt, was kaum auszudrücken ist?
Zum Zeitpunkt, als das Album geschrieben wurde, hatte alles eine extreme Dringlichkeit, weswegen es keinen großen Prozess gab, darüber nachzudenken, was passieren wird oder kann, wenn es fertig ist. Darum ging es uns auch nie wirklich – wir wollten alle nur etwas Neues schaffen. Dass die Themen dann so sind. wie sie sind, ist traurig, aber eben die Realität.

Denkst du, dass es gerade in dieser Generation wichtig ist, Gefühle auszusprechen?
Total! Wir befinden uns gerade in einer hochemotionalen Zeit. Politik ist überaus emotionalisiert, Leute beginnen wieder vermehrt, Emotionen auszudrücken. Es bringt nichts, wenn Wut und Trauer in einem bleiben. Denn wenn du zu viele negative Gedanken in dir hast, kann sich das irgendwann ganz schlimm äußern. Es fühlt sich alles gerade so ein bisschen an wie eine Renaissance der Stürmer und Dränger. Dieses Leben ist ein ständiges Auf und Ab, ein Gefühlskarussell.

Während des Schaffensprozess seid ihr monatelang offline gewesen. Man sagt, ihr hättet euch tagelang im Proberaum eingesperrt, um zu schreiben. Wie war diese Zeit für dich?
Wir haben uns abgeschottet, um uns mit uns selbst auseinanderzusetzen, was sehr wichtig für uns war. Es hat krass wehgetan, aber es hat im gleichen Zug Dinge aufgewühlt, die rausmussten. Und deswegen ist auch alles so geworden, wie es ist. Weil wir eben nicht die ganze Zeit nach links und rechts geguckt haben, sondern nach innen, um herauszufinden, was wir eigentlich wollen. Deshalb wurde das Album so eigen und auch persönlich. Abschotten tut auch mal gut.

Was war die schönste Reaktion, die du auf KAOS bekommen hast?
Tatsächlich sind die Dinge, die ich mir persönlich mit dieser Platte erhofft habe, nicht oder vielleicht auch noch nicht passiert. Aber der Tenor und das Feedback insgesamt waren so schön und haben uns unglaublich gut getan. Aber für meine persönliche Weiterentwicklung und mein Empfinden wird es wohl noch eine Platte brauchen.

Warum KAOS mit K und nicht mit CH?
Weil es eigener ist, aus vier Buchstaben besteht und deutschen Charakter besitzt, was uns sehr wichtig ist. Gerade versuchen wir, unsere Fühler ins Ausland zu strecken und gleichzeitig aber zu zeigen, wo wir herkommen. Manchmal sagen die Leute: „Hey, du hast aber einen deutschen Akzent.“ Ja, das mag sein. Und dennoch wollen wir eine Sprache sprechen, die über die deutschen Grenzen hinaus verständlich ist. Deshalb fand ich es von einem lyrischen Aspekt her spannend, aus dem CH ein K zu machen.

Heute ist einer der letzten Tage, in denen ihr in München seid. Dann geht es wieder bis Dezember auf Tour. Wie haltet ihr euch in dieser Zeit fit?
Gesundheitlich gehen wir zur Apotheke und kaufen uns ganz viele von diesen Vitamin-Boosts. Ein Teil der Band schwört auf Obst, der andere Teil auf alle möglichen Tabletten. Macht beides Megaspaß! Psychisch versuchen wir uns gerade darauf einzustimmen, dass das eine richtige gute, aber auch sehr anstrengende Zeit wird. Wenn man positiv antritt, schafft man es auch. Wobei ich sagen muss, dass wir noch nie zuvor zwei Monate am Stück so viele lange und intensive Konzerte gespielt haben. Deshalb kann ich zu diesem Zeitpunkt auch nicht sagen, wie wir das überleben – und ob überhaupt. Aber ich denke, wenn wir unseren Abschluss am 1. Dezember in München feiern, dann können wir sagen, dass wir etwas geschafft haben. Wir werden uns sicher in den Armen halten und krass glücklich darüber sein, dass wir das erleben durften. Es ist ein krasses Privileg für uns, dass wir mit dem, was wir machen, unsere Zeit verbringen dürfen. Das ist total schön.

Interview Blackout Problems curt München

Auf der Bühne trägst du neuerdings oft ein weißes Hemd mit Knitterkragen gepaart mit einem Sakko. Neben der Musik betreibst du ein kleines Klamottenlabel namens Munich Warehouse. Versuchst du mit dem, was du trägst, ebenso etwas auszudrücken?
Ich bin im „normalen“ Leben sehr, sehr schüchtern. Ich kann in einem Hörsaal mit 100 oder 200 Leuten sitzen und werde nicht auffallen. In dem Moment, in dem wir ein Konzert spielen, ändert sich so viel. Im Vergleich: Ich werde tierisch nervös und bekomme Schweißausbrüche, wenn ich ein Referat vor 12 Leuten halten muss, aber ich habe kein Problem, auf Bühnen vor Tausenden von Leuten zu spielen. Dieser Kosmos, in dem wir uns da befinden, hat eine ganz eigene Magie und Energie, die Sachen freisetzt. Es ist schön, sich dann auch über Klamotten anders zu präsentieren, weil es einen anderen Vibe bekommt. Man fühlt sich anders. Im normalen Leben laufe ich seit sieben Jahren in denselben Jeans herum und bin ein unglaublich langweiliger Mensch. 
Es ist schön, dazu einen kurzen Bruch zu haben, und sei es nur für eine Stunde.

Den Sommer über habt ihr auf so ziemlich allen großen Festivals gespielt. Was geht dir durch den Kopf  in dem Moment, bevor du auf die Bühne trittst und diesen Menschenmassen entgegenblickst?
Es ist erstaunlich, wie wenig man in diesem Moment nachdenkt. Man muss sich einfach in diesen ganz bestimmen einen Vibe bringen und loslassen. Wir haben dieses Jahr auf Festivals gespielt, da hätte ich nie gedacht, dass wir dort jemals spielen würden: Southside, Hurricane, Deichbrand, Open Flair etc. Das sind alles beeindruckende Namen mit einem wahnsinnigen Line-up an Bands. Auf dem Deichbrand Festival waren wir im Backstage mit den Toten Hosen und Milky Chance. Da ist man kein Stück besonders: Es ist ein besonderes Festival, aber wenn man selbst auf die Bühne geht, hat man nur sich selbst. Es geht auf den großen Bühnen um nichts anderes, als wenn wir ein kleines Konzert im Sunny Red spielen: 100 Prozent geben und das beste Gefühl verbreiten.

Das ganze Projekt Blackout Problems ist vom Merch über das Label, das Design bis hin zum Musikvideo ein Projekt mit Freunden. Irgendwie habt ihr euch alles selbst beigebracht. Wie hast du gelernt, dich so selbstsicher auf der Bühne oder in den Videos zu bewegen?
Wenn ich in einen Club gehe, stehe ich meistens ganz hinten und schau mir die Show an. Ich bin kein Tänzer. Ich mag es megagerne, aber ich kann es nicht. Auf der Bühne kannst du all deine Bewegungen als Kunst bezeichnen und dich frei bewegen. Das ist wunderschön. Deshalb tanze ich auf der Bühne so viel wie geht. Zu den Musikvideos: Ich bin in die Rolle, die ich jetzt bei den Blackout Problems habe, irgendwann so reingerutscht. Marcus und ich haben damals angefangen, im Keller von meinen Eltern zu spielen. Weil ich schon Gitarre gespielt hab, musste Marcus, der eigentlich Gitarrenunterricht hatte, lernen, Bass zu spielen. Ich dachte auch immer, dass am Ende jemand anderes singen wird: Der erste Manager, den wir hatten, hat uns immer geraten, einen Sänger zu suchen, weil ich ganz bestimmt keiner bin. Aber es ist so geblieben. Die Realität zu den Musikvideos ist leider die: Wir haben eine Mega-Idee, gucken dann auf unseren Kontostand und denken uns etwas anderes aus. Ich wollte zu unserem letzten Videodreh unbedingt nach Paris, weil ich dachte, das repräsentiert unsere Platte. Aber letztendlich sind wir bei uns im Proberaum gelandet, haben einen Kasten gebaut und überlegt, wie wir damit klarkommen. Gott sei Dank haben wir so ein tolles Team, das immer am Start ist, auch wenn oftmals leider viel zu unterbezahlt. Wir sind ihnen krass dankbar dafür. Über die Zeit ist das wie eine kleine Familie geworden und ich glaube, die wird es auch noch geben, wenn es die Band nicht mehr gibt.

Zwischen eigener Musik, Promo- und Booking-Arbeit für die Künstler, die du selbst betreust, und Munich Warehouse bleibt kaum Zeit für dich. Was tust du, um dich in all dem selbst nicht zu verlieren?
Ich bin sehr geerdet und überhaupt nicht anfällig dafür, den Kopf zu verlieren. Aber ich habe angefangen, Sport zu machen, und das hilft mir ganz gut. Zudem mag ich Literatur gerne, aber ich fühle mich noch null irgendwo angekommen und verspüre deshalb auch keine Gefahr, mich zu verlieren, weil ich mich selbst noch gar nicht wirklich gefunden habe.

Wenn man dir einen Tag in der Woche frei von all dem schenken würde, wie würde dieser Tag aussehen?
Ich würde versuchen, so weit weg zu fliegen, wie es nur irgendwie geht.

Gerade mit KAOS habt ihr ein Album geschaffen, in dem Fans und Zuhörer sich verstanden fühlen. Welche Musik, welcher Künstler löst in dir dieses Gefühl aus?
Wow. Dazu muss man erst mal sagen: Es gibt ganz viele Autoren und Musiker, in denen ich mich selbst wiederfinde. Ich mag es nur nicht bzw. wäre es super vermessen, diese mit uns zu vergleichen. Ich find Karrieren von Klassikern interessant wie beispielsweise Bruce Springsteen, der immer authentisch geblieben ist und sich immer noch so sehr aufarbeitet, ohne dahinter das Geld zu sehen. Er will lediglich Musik machen und Storys erzählen. Dazu zählen für mich auch Bands wie Thrice und Enter Shikari, bei denen nie ein Album gleich klingt. Man hat immer das Gefühl, dass sie versuchen, sich herauszufordern. Ich möchte mir ein Beispiel nehmen an Leuten, die versuchen, antimaterialistisch Geld zu machen. Dazu bin ich ein großer Literatur-Fan. Ich bewundere es sehr, wenn Leute Gefühle mit Worten ausdrücken. Den Link zwischen Poetry und Musik finde ich bei Jim Morrison. Das ist mein großer Typ, der Lizard King.

Du bist großer Bukowski-Fan. Was ist deine liebste Weisheit?
„Unverblümt zu erzählen, wie hässlich und gleichzeitig interessant und schön das Leben sein kann.“ Diese Weisheit von ihm mag ich am liebsten. Bukowski schreibt, als würde man neben ihm sitzen. Ich habe das Gefühl, viele von diesen Abenden, von denen er schreibt, selbst schon erlebt zu haben. Charles, du bist zwar noch eine ganze Ecke abgefuckter, aber trotzdem kann ich es nachvollziehen, wie du dich teilweise gefühlt hast.

Mit niemandem verbringst du so viel Zeit wie mit den drei anderen Ms aus der Band. Was wolltest du ihnen schon immer gerne mal sagen?
Leben sind unkontrollierbar und deshalb auch unterschiedlich lang. Ich würde supergerne wissen, dass sie weitermachen damit, wenn mein Leben kürzer ausfällt als ihres.


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curt präsentiert: Blackout Problems > Homepage > Facebook // 1. Dezember // Einlass: 19 Uhr, Beginn: 20 Uhr // Technikum // VVK: 20,50 Euro zzgl. Gebühren

Fotos: Copyright Paul Ambrusch