Gehört: Hey Rosetta! – Second Sight

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Liebe auf den zweiten Blick? Das passiert einem nicht nur beim menschlichen Miteinander, auch eine CD offenbart manchmal erst beim zweiten Hören ihre Qualitäten. „Second Sight“ von Hey Rosetta! ist so ein Fall.

Das mag die eigene Nachlässigkeit sein, vielleicht auch Unaufmerksamkeit. Doch ganz unschuldig sind auch die sieben Kanadier nicht daran. Denn nett sind die ersten paar Lieder ihres vierten Albums sicher. Aber eben auch harm-, wenn nicht gar belanglos, hübsche Hintergrundmusik irgendwo zwischen Coldplay und Counting Cross, die nichts falsch macht und niemandem weh tun mag. Ob es nun der drumlastige Opener „Soft Offering (For The Oft Suffering)“ ist oder das hymnische „Dream“, mehr als kompetenter, unauffälliger Indierock kommt nicht dabei raus.

Wer genauer hinhört, entdeckt jedoch versteckt hinter der Comfort Zone dann doch so manchen Punkt, der heraussticht, seien es kleine Experimente bei der Instrumentierung oder auch die überraschend düsteren und sonderbaren Texte. „Where I used to be wild, back in my time/now I just fight to sleep at night“ heißt es in „Gold Teeth“, „Your hands and feet/for all of their grief/turned out to be/only your elbows and knees“ wird in „Promise“ gesungen. Die verträumt-schimmernde Ballade ist dann auch das erste der zwölf Lieder, das tatsächlich positiv heraussticht.

So wie dieses tummeln sich auch die anderen Highlights vor allem im Mittelteil, wenn man also längst auf Durchzug geschaltet hat und die Gefahr groß ist, nicht mehr wirklich zuzuhören. Und das ist in einigen Fällen richtig schade. So sorgt etwa die Vorabsingle „Kintsukuroi“ für schmerzlich vermisste Gute-Laune-Sommer-Stimmung, die Kanadier präsentieren und hier ein Lied, das wie gemacht ist für Festivals, unkoordiniertes Auf-und-ab-Gehüpfe und Kopf-aus-Spaß. Auch „Neo Beyond“ ist auf der leichteren Seite des Lebens angesiedelt, streicht die lässig dahinperlende Melodie in luftigen Reggaefarben, bevor es raus zum Arenarock geht.

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Noch besser wird es aber auf den Nummern, bei denen Hey Rosetta! das Tempo weit herunterschrauben und der Stimme von Leadsinger Tim Baker viel Platz geben. Das spärliche Abschlusslied „Trish’s Song“ zum Beispiel, das langsam im Nichts versandet. Und „Cathedral Bells“, das vielleicht schönste Lied des Albums, zumindest aber das tröstlichste. Mögen wir dort auch von Schatten bedeckt werden, Felsen, sogar Lava, wenigstens sind wir dabei nicht allein: „You’re not the only one“ heißt es immer wieder, „You’re one of us“.

Soll man das nun poetisch oder melodramatisch finden? Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, was ein generelles Problem des Albums darstellt: Die durchaus lobenswerten Bemühungen, textlich über die üblichen Grenzen hinauszugehen, nähern sich gefährlich oft dem Reich des Kitsches an. Zumindest aber quillt „Second Sight“ geradezu über vor Lebensweisheiten, die mal rührend, dann wieder etwas zu gewollt sind. Die ganz große Liebe wird das Album deshalb auch beim zweiten Blick nicht werden. Aber anfreunden kann man sich mit dem neuesten Werk der Kanadier ganz gut, sich ab und an für ein, zwei Durchläufe treffen – schließlich gibt es hier keinen qualitativen Ausreißer nach unten. Und diese Form von Verlässlichkeit ist ja auch schon mal was.


Hey Rosetta! „Second Sight“ // Unter Schafen Records (Alive) // 24. Oktober 2014