Für Freunde des gepflegten Horrors fängt Ende August immer ein ganz besonderes Fest an, das Fantasy Filmfest. Dann darf eine gute Woche gemordet, gesplattert und gegruselt werden. Aber auch Thriller-Fans finden dort mehr als genug Nachschub. Ja, selbst Science Fiction, Dramen und Zeichentrick stehen dann auf dem Programm. Eigentlich eint die rund 70, wild zusammengestellten Filme nur eins: Sie sind wenig massentauglich.
Vereinzelt schafft es davon zwar auch mal einer anschließend ins Kino – zuletzt der wunderbare „The Congress“ – oft kann man aber auch schon froh sein, wenn sie irgendwann wenigstens auf DVD erscheinen. Bei vier Filmen des Filmfestes bzw. seines Ablegers, die Fantasy Filmfest Nights, ist es die Tage endlich so weit und wir dürfen sie im heimischen Wohnzimmer nachholen. Vier Filme, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.
„Animals“
Wirklich viele Kontakte hat der Jugendliche Pol nicht, am engsten ist das Verhältnis noch zur Mitschülerin Laia, die gerne mehr wäre als eine Freundin. Und Pol? Der weiß das das selbst nicht so genau. Mitten in diese Unsicherheit platzt der undurchsichtige, zurückgezogene Schüler Ikari und sorgt so für noch mehr Verwirrung im Leben des Teenagers. Eine Coming-of-Age-Geschichte, wie es so viele gibt, möchte man meinen. Dass dies aber nur die halbe Wahrheit ist, macht schon die fremdartige Musik deutlich, die direkt aus einem „Silent Hill“-Film stammen könnte. Und spätestens wenn Deerhoof seinen ersten Auftritt hat, wird klar, dass bei Pol noch viel mehr nicht stimmt als eine ungeklärte sexuelle Orientierung. Denn Deerhoof ist ein Teddybär, der mit einer verzerrten Roboterstimme spricht und immer wieder an unerwarteten Orten auftaucht.
Mit dem Blockbuster „Ted“ hat das weniger zu tun, dann schon eher mit „Donnie Darko“. Wie in dem Kultfilm wird auch in „Animals“ nur wenig erklärt, spätestens beim seltsamen Ende wird so mancher Zuschauer frustriert zurückgelassen. Doch was für den einen ein Kritikpunkt, macht für andere gerade den Reiz aus. Regisseur und Koautor Marçal Forès wirft sich mit offenen Armen in die verwirrende Gefühlswelt eines Jugendlichen, der sich an die eigene Kindheit klammert, gleichzeitig aber auch die Grenzen überschreiten will und in diesem Chaos immer wieder die Finsternis sucht. Durch seine eigenwillige Inszenierung hat „Animals“ etwas deutlich Märchenhaftes an sich. Aber keines mit strahlenden Helden und einer Moral am Ende sondern ein melancholisches, düsteres, grausames Märchen. Und ein sehenswertes noch dazu.
Regie: Marçal Forès; Darsteller: Oriol Pla, Augustus Prew, Roser Tapias, Javier Beltrán, Martin Freeman; VÖ: 27. September 2013
„No One Lives – Keiner überlebt“
Keiner überlebt – yup, der Titel passt. Gleich zu Beginn sehen wir, wie die Flucht einer Frau gewaltsam gestoppt wird. Doch bevor wir mehr über deren Schicksal erfahren, stehen erst einmal eine Reihe weiterer Menschen im Mittelpunkt. Angeführt von Harris versucht eine Verbrecherbande, ein leerstehendes bis oben hin mit Wertsachen gefülltes Familienanwesen zu plündern. Fast hätte das auch geklappt, wäre besagte Familie nicht früher aus dem Urlaub zurück, was diese alsbald mit ihrem Leben bezahlt. Klare Sache: Mit diesen Gangstern legt man sich besser nicht an. Doch schon bald befinden sich deren Mitglieder selbst in der Opferrolle, als sie ein unscheinbares Pärchen überfallen. Was Harris & Co nicht ahnen: Ihnen gegenüber steht jemand, der ihnen nicht nur waffenmäßig überlegen ist. Er mordet außerdem nicht aus beruflichen Gründen sondern als Hobby. Und das macht er verdammt gut.
Im Vergleich zu den anderen Titeln ist „No One Lives – Keiner überlebt“ sicher der konventionellste der vier heutigen Streifen, dafür aber auch der spannendste. Hier macht sich bemerkbar, dass Regisseur Ryûhei Kitamura über reichlich Horrorerfahrung verfügt. Natürlich wirkt es anfangs reichlich absurd, dass eine erfahrene Verbrechertruppe nicht in der Lage sein soll, einen einzelnen Mann aufzuhalten. Und auch sonst hält sich der Slasher nicht wirklich zurück, egal ob es nun der völlig übertriebene Inhalt ist oder die recht explizite Darstellung. Blut fließt hier in Massen und bei so mancher Szene sollte man besser über einen robusten Magen verfügen. Spaß macht es trotzdem – oder sogar gerade deswegen? – zumal Kitamura bei seinen Hinrichtungen auch tiefschwarzen Humor beweist. Und so ertappt man sich dabei, nach einiger Zeit gar nicht mehr zu wissen, welche Seite man überhaupt anfeuern soll: die überheblichen Kleinstadtverbrecher oder den sadistischen Psychopathen?
Regie: Ryûhei Kitamura; Darsteller: Luke Evans, Adelaide Clemens, Laura Ramsey; VÖ: 2. Oktober 2013
„The Seasoning House“
Menschenhandel, Prostitution, Folter und Mord – seit dem Zweiten Weltkrieg hatte es in Europa keine vergleichbaren Gräueltaten gegeben wie zu Kriegszeiten auf dem Balkan. Mit einer eiskalten Exekution mehrerer Frauen beginnt dann auch der britische Thriller „The Seasoning House“. Doch nicht sie stehen im Mittelpunkt, sondern ein kleines stummes Mädchen, das verschleppt wird und anschließend in einem heruntergekommenen Freudenhaus sein Dasein fristet. So wie es sind auch sämtliche Prostituierte nur unfreiwillig dort, müssen hinter Schloss und Riegel leben, werden mit Drogen gefügig gemacht. Das Mädchen selbst muss seinen Körper nicht herhalten, seine Aufgabe ist es vielmehr, die Frauen auf ihre Gäste „vorzubereiten“. Was es auch macht, bis eines Tages eine der Frauen durch eine der üblichen Vergewaltigungen zu Tode kommt.
Langgezogene Gänge, kein Tageslicht, trübe Farben, bodennahe Kameraperspektiven und kaum Dialoge – Regisseur Paul Hyett versteht es wirklich, in seinem Debüt „The Seasoning House“ eine beklemmende geradezu klaustrophobische Stimmung zu erzeugen. Dabei erweist sich der Einfall, eine Stumme als Protagonistin einzusetzen, als überaus effektiv. Fehlende Dialoge, sonst eher ein Zeichen eines mangelnden Einfallsreichtums, sind hier quasi Teil der Geschichte und verstärken das Gefühl der Isolation. Diese gelungen-unangenehme Atmosphäre wird zum Ende hin aber über Bord geworfen, wenn der Thriller auch außerhalb des Gebäudes spielt und immer mehr einem konventionellen Rachefilm gleicht. Originelle Einfälle gibt es zwar auch da, aber die sind reichlich übertrieben und fügen sich nicht mit den ersten zwei Dritteln des Filmes zu einem wirklichen Ganzen. Insgesamt dennoch solide.
Regie: Paul Hyett; Darsteller: Rosie Day, Sean Pertwee, Kevin Howarth; VÖ: 27. September 2013
„Vanishing Waves“
Was genau geht eigentlich in den Köpfen von Komapatienten vor? Viele Menschen haben sich darüber den Kopf zerbrochen, sei es aus medizinischen, philosophischen oder auch ganz persönlichen Gründen. Doch keiner konnte das je wirklich beantworten. Klar, Gehirnströme lassen sich messen – aber was heißt das schon? Ein neues Forschungsprojekt soll dieses Mysterium ein für alle Mal klären: Mit Hilfe von Maschinen, eingeschlossenen in einem dunklen Salzwasserbecken, versucht der junge Doktor Lukas Verbindung zu einer ihm fremden Person aufzubauen und hat damit mehr Erfolg als erwartet. In diesem gemeinsamen Bewusstsein trifft er auf eine Frau, immer wieder und entwickelt Gefühle zu dieser. Bald schon hat Lukas ganz eigene, nicht unbedingt wissenschaftliche Gründe, die Versuche fortzusetzen.
Wenn es nach „Vanishing Waves“ geht, gleicht ein Koma einem Traum. Entsprechend wenig zusammenhängend und auch surreal sind die Erfahrungen, die Lukas während der Experimente erlebt. Gerade in der ersten Hälfte sieht das absolut grandios aus und Regisseurin Kristina Buozyte versteht es, mit wenigen Kniffen, geschickten Kamerafahrten und erstaunlich geringe, Budget bizarre, geradezu verstörende Szenerien aufzubauen. Leider hält der litauische Film diese Qualität aber nicht über die gesamten zwei Stunden durch. Erstes Problem ist, dass er schlicht zu lang ist, manche Szenen – gerade die erotischen Begegnungen – zu sehr ausbreitet. Schlimmer noch ist aber, dass Buozyte, die auch am Drehbuch mitschrieb, nicht so recht wusste, wohin sie diese Geschichte bringen soll. Wirklich befriedigend ist das abrupte Ende nämlich nicht. Dank der tollen Szenen, gerade in der ersten Hälfte, dennoch ein interessanter Film.
Regie: Kristina Buozyte; Darsteller: Marius Jampolskis, Jurga Jutaite; VÖ: 27. September 2013
Für Freunde des Unheimlichen, Erschreckenden oder Seltsamen sollte also erst einmal gesorgt sein. Damit ihr auch gleich in die Welt des Fantasy Filmfests eintauchen könnt, verlosen wir je eine DVD und Blu-ray des Slashers „No One Lives“. Schickt einfach eine E-Mail mit Stichwort „No One Lives“ und Adresse an willhaben@curt.de und das Blutbad kann beginnen.
Die Verlosung ist beendet, DVD und Blu-ray wurden verschickt!
TEXT: Oliver Armknecht