Vergiss mein nicht

Drama-Special – Teil 2

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Von den Reichsten der Reichen bis zu den Ärmsten der Armen, mal hoch dramatisch, dann wieder sehr persönlich – im zweiten Teil unseres Specials zeigen wir euch vier Filme, die die ganze Bandbreite des Dramas abdecken. Da sollte für jeden, der bewegendere Geschichten vorzieht, etwas nach seinem Geschmack dabei sein.

„Ein besseres Leben“

Man kann nicht behaupten, dass Yann jemand ist, der lange fackelt. Als er keine Anstellung in einem Restaurant findet, überredet er die Kellnerin zu einem Date und landet noch in derselben Nacht mit ihr im Bett. Um eine schnelle Nummer geht es dem Draufgänger jedoch nicht, er will mit Nadia und ihrem Sohn Slimane eine Familie gründen. Als die beiden während eines Ausflugs ein Gebäude im Wald entdecken, das ein prima Restaurant abgeben würde, setzen sie alles auf eine Karte – und verlieren haushoch. Durch den Kauf und die Renovierung verschulden sie sich bis über den Kopf, sodass Nadia nach Kanada auswandert, um dort Geld zu verdienen. Ihr Sohn soll bald nachkommen, doch mit der Zeit wird der Kontakt immer sporadischer und auf einmal müssen sich die beiden Daheimgebliebenen mit einer Frage auseinandersetzen: Was, wenn sie gar nicht zurückkommt?

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Wie Leute sich aus den unsinnigsten Gründen verschulden, daran dürfen wir Woche für Woche dank RTL und Peter Zwegat zur Genüge teilhaben. Dennoch lohnt sich ein Blick auf „Ein besseres Leben“: Der französische Film zeigt glaubhaft und ohne große Übertreibung, wie zwei Menschen, die nie wirklich eine Chance im Leben hatten, an einem großen Traum festhalten, falschen Versprechungen glauben und daran letztendlich kaputtgehen. Schön auch, dass hier mehr Wert auf die kleinen Szenen gelegt wurde und die Schauspieler die Gelegenheit bekommen, ihre Figuren von ihren hässlichen Seiten zu zeigen – was diese auch gut hinbekommen. Über weite Strecken ist „Ein besseres Leben“ so ein wirklich gelungenes Drama über zwei Verlierer geworden. Nur zum Ende hin wird die Geschichte zu übertrieben und drückt sich damit vor einer reellen Auflösung der Konflikte.

Regie: Cédric Kahn; Darsteller: Guillaume Canet, Leïla Bekhti, Slimane Khettabi; VÖ: 13. September 2013

„Saiten des Lebens“

Geniestreich oder Grausamkeit? Als Beethoven sein 14. Streichquartett komponierte, legte er fest, dass zwischen den Sätzen keine Pausen eingelegt werden dürfen. Das ist nicht nur für die Musiker eine Herausforderung, die gegen zunehmende Erschöpfung und Konzentrationsschwächen anspielen müssen, sondern auch für die Instrumente: Ohne die Möglichkeit, zwischendurch Geige, Cello & Co. zu stimmen, droht alles mit der Zeit schief zu werden und dass sich entschieden disharmonische Klänge in die Musik einschleichen.

Eben das gilt auch für das Fugue String Quartet, eines der bekanntesten Ensembles der Welt. Als Peter eines Tages die schockierende Nachricht erhält, dass seine nachlassenden Koordinationsfähigkeiten auf eine frühe Form von Parkinson zurückzuführen ist, bedeutet das das Ende des Quartetts. Bevor er sich aus dem Musikerleben zurückzieht, will er aber noch ein letztes Konzert mit seinen langjährigen Partnern geben und dabei das besagte 14. Streichquartett aufführen. Doch sein Rückzug löst eine Kettenreaktion aus und bringt eine Reihe von Spannungen zwischen den vier Musikern ans Tageslicht, die sich unbemerkt während der 25 gemeinsamen Jahre aufgebaut haben.

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Zeig mir, wie du spielst, und ich sag dir, wer du bist: In „Saiten des Lebens“ dreht sich nicht nur bei der Rahmenhandlung alles um Musik, sie wird hier auch eingesetzt, um uns mehr über die vier Akteure zu verraten. Das ist mal mehr, mal weniger gelungen, mal einfühlsam, dann wieder mit dem Holzhammer erzählt. Allgemein wurde hier ein bisschen viel Melodram hineingepackt, das wäre sicher auch etwas subtiler gegangen. Dass der Film trotz allem so sehenswert ist, liegt einmal mehr an den Schauspielern. Hoffmann ist ja ohnehin in dem Dramagenre bestens aufgehoben und Walken darf nach diversen Komödien und Thrillern zeigen, dass er immer noch ein verdammt guter Charakterdarsteller ist.

Regie: Yaron Zilberman; Darsteller: Christopher Walken, Philip Seymour Hoffman, Catherine Keener, Mark Ivanir; VÖ: 13. September 2013

„Taste of Money – Die Macht der Begierde“

Wenn „Ein besseres Leben“ die Menschen zeigt, die in einem Industriestaat den Bodensatz bilden, dann widmet sich „Taste of Money – Die Macht der Begierde“ dem anderen Ende des Einkommensspektrums. Hier bestimmt ein koreanisches Familienimperium, das so voller Geld steckt, dass es ebenfalls jeden Blick auf die Realität verloren hat, das Geschehen. Oder besser: Wozu eine gegebene Realität akzeptieren, wenn man sich seine eigene kaufen kann? Und so geht die Dynastie bei ihrem Kampf um noch mehr Reichtum und Macht über Leichen – teils wortwörtlich –, verstrickt sich immer mehr in Intrigen und bemerkt dabei gar nicht, wie sie sich langsam, aber sicher von innen selbst zerstört.

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Was man dem koreanischen Film hingegen auf den ersten Blick ansieht, ist, wie unheimlich gut er aussieht. Regisseur Im Sang-soo zaubert Hochglanzbilder auf den Bildschirm, wie man sie nicht einmal von amerikanischen Soap Operas kennt. Die Ausstattung ist so edel, die Einrichtung so vornehm, das Haus so luxuriös, dass einem das Geschehen geradezu unwirklich vorkommt – was durchaus beabsichtigt ist, denn das Drama ist eine groteske Anklage an eine Oberschicht, die jede Bodenhaftung verloren hat. Interessant dabei ist, dass im Mittelpunkt des Baek-Clans ausgerechnet eine Frau steht, die unverhohlen ihre Strippen zieht und dabei manipuliert, was das Zeug hält. Zeitweise wird sogar kräftig an der Grenze zum Thrillergenre gekratzt, ohne jedoch jemals ganz dort anzukommen. Leider fehlt dem Hausdrachen jedoch ein entsprechender Gegenspieler. Privatsekretär Joo Young-jak wird zwar mit seiner noch vorhandenen Moralvorstellung als Kontrastmittel eingesetzt, bleibt aber zu naiv und zurückhaltend, um für Spannung zu sorgen – „Taste of Money“ bleibt so mehr stylisches Sippenporträt denn Gangsterfilm.

Regie: Im Sang-soo; Darsteller: Kim Kang-woo, Yun-Shik Baek, Yun Yeo-Jung, Hyo-jin Kim; VÖ: 6. September 2013

„Vergiss mein nicht“

Okay, streng genommen ist dieser Film nicht wirklich ein Drama, bewegende Momente hat „Vergiss mein nicht“ aber genügend zu bieten. In seinem zweiten Dokumentationsfilm widmet sich Regisseur David Sieveking nämlich einem Thema, das so persönlich und teils traurig ist, dass es richtig schmerzt.

Mit einem vergessenen Geschenk zu Weihnachten fing es an, einem Weg zur Schule, an den sie sich nicht mehr erinnern konnte: Davids Mutter Gretel leidet an Demenz. Anfangs sind es nur kleine Aussetzer, doch später verschwinden immer mehr Bestandteile aus ihrem Gedächtnis. Sie hat dann zwar noch ihren Vater vor Augen, der starb, als sie noch ein kleines Kind war. Ihren Mann Malte und ihre Kinder erkennt sie jedoch immer seltener, kann Aprikosen und Brote nicht mehr voneinander unterscheiden, weiß nicht, was sie mit einer Gießkanne anfangen soll.

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Einige Wochen begleitet David seine Mutter mit der Kamera und hält so fest, wie die kämpferische Frau, die einst in einer kommunistischen Partei für mehr Freiheit stritt, zunehmend im eigenen Körper verloren geht. Dabei ist „Vergiss mein nicht“ kein bloßes Abbild einer grausamen Krankheit, entwürdigende Szenen werden hier nicht gezeigt. Im Gegenteil: Zusammen mit David, der für einige Zeit wieder zu seiner Mutter zieht, lernen wir Gretel von einer ganz anderen Seite kennen, erfahren, wer die Frau auf den Schwarzweißbildern eigentlich war. Das ist nicht nur faszinierend, sondern auch mit so viel ehrlicher Zuneigung gedreht, dass einem die alte Dame selbst ans Herz wächst. Damit gleicht die Dokumentation einem Blick ins Tagebuch eines anderen Menschen: eigentlich viel zu privat für unsere Augen, aber doch ungemein fesselnd.

Regie: David Sieveking; Darsteller: Gretel Sieveking, Malte Sieveking, David Sieveking; VÖ: 23. August 2013

TEXT: Oliver Armknecht