Chvrches Interview curt München

Im Gespräch: CHVRCHES

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Lauren Mayberry, Iain Cook und Martin Doherty von Chvrches, die sich derzeit auf Europatournee befinden, sitzen relaxt auf dem Sofa im Backstage-Bereich des Londoner HMV Forums, während einige Stockwerke tiefer der Soundcheck zu ihrer bisher größten Headlinershow ohne sie stattfindet. Was zu diesem Zeitpunkt schon ordentlich Krach macht, sollte Stunden später die Wände des alten Art-Deco-Kinos vibrieren lassen. Und der Veranstaltungsort ist Programm. Sound, Bühnenbild, Lichtershow und die Art und Weise, wie Lauren Mayberrys glasklare, emotionale Stimme den dominaten Bass live durchschneidet, sind wirklich großes Kino. Wir trafen Chvrches vorab, um mit ihnen über „Stargate“, Sexismus in der Musikindustrie und ihr eigenes Label Goodbye Records zu sprechen.

Euer Debütalbum heißt „The Bones Of What You Believe“. An welche Dinge glaubt ihr und was ist euch wichtig im Alltag?
Martin: Das Allerwichtigste sind für uns die einfachen Dinge wie Gesundheit und Glück. In professioneller Hinsicht möchten wir keine Kompromisse in Sachen Musik und unserer subjektiven Meinung eingehen müssen und einfach jederzeit in der Lage sein, unser Bestmögliches zu geben.
Lauren: Der Albumtitel ist ein Textauszug aus dem Song „Strong Hand“ und reflektiert hoffentlich die ganze Arbeit, die wir in diese Platte steckten, trotz dessen, was um uns herum sonst geschah. Wir übergaben die finalen Versionen unserer Songs anderen Leuten und waren einfach glücklich und zufrieden. Diesen Moment soll der Titel auf abstrakte Weise darstellen.

Alle eure Videos und auch das Band-Branding weisen futuristische Sci-Fi-Elemente auf. Habt ihr euch dazu gezielt entschlossen, um etwa euren Sound widerzuspiegeln, oder habt ihr einfach zu viel „Stargate“ geschaut?
Iain: Ich glaube, ich habe „Stargate“ schon seit den 90ern nicht mehr gesehen, aber danke dafür (lacht).
Martin: Ich habe noch nie „Stargate“ geschaut.
Iain: Wie, du hast noch nie „Stargate“ gesehen (redet aufgeregt)! James Spader hat im Film mitgespielt!
Martin: Ja, das ist totaler Mist.
Iain: Lauren schaut mich an, als wolle sie sagen wollen: „Oh mein Gott, James Spader!“
Lauren: Ich war mehr ein „Battlestar-Galactica“-Mädchen.
Iain: Girlactica.
Lauren: Ich weiß, was du da machst.
Iain: Ich bin ein großer Sci-Fi-Fan und glaube, dass die beiden ein wenig Sci-Fi auch ganz gut finden. Ich habe zum Beispiel erst neulich herausgefunden, dass „Alien“ einer von Laurens Lieblingsfilmen ist. Ich schätze, wir bestimmen von Video zu Video, was wir damit machen, und wählen Bilder aus, die das Gefühl unserer Musik reflektieren. Ich glaube, was du meinst, war nur im alten „Recover“-Video der Fall und vielleicht waren da auch ein paar Sci-Fi-Elemente im Video von „The Mother We Share“ … und „Lies“ … Ok, sie haben alle einen Sci-Fi-Charakter! (Lauren lacht)
Martin: Scheiße!
Iain: Wie dem auch sei, wir machen das nicht bewusst. Wir entscheiden uns für das, was sich für die Musik richtig anfühlt. Wir haben „Stargate“ also nicht wissentlich zitiert.

Lauren, Du bist ein Vorbild für viele Frauen, die entweder eine Karriere in den Medien anstreben oder einfach Fans eurer Musik sind. Ist das etwas, was du im Hinterkopf behälst, wenn du deinem Beruf nachgehst?
Lauren: Wir denken darüber nicht übermäßig nach. Das Wort „Vorbild“ an sich hat ein ziemliches Gewicht und ich glaube, dass uns das zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz bewusst ist. In erster Linie gehe ich Tätigkeiten nach, bei denen ich mich wohl und selbstsicher fühle und wo ich keine Kompromisse bezüglich der Dinge machen muss, an die ich glaube. Ich denke, dass du mit allem, was du tust und auch wie du es tust, im Reinen sein musst. Wenn dies ein gewisses Image von einem auf andere Leute wirft, dann ist das ein glückliches Nebenprodukt.

Wer sind denn eure Vorbilder?
Lauren: Ich finde das immer schwierig, wenn Leute Musiker als Vorbilder betrachten, schließlich kennen sie die Leute hinter der Musik ja nicht. Alles, auf was sie sich stützen können, ist der Eindruck, den sie gewonnen haben. Ich persönlich finde Kathleen Hanna von Bekini Kill und Bell Hooks (amerikanische Authorin sowie feministische und soziale Aktivistin) sehr interessant, da sich ihre Taten und Botschaften gegen all das wandten, was zu jener Zeit üblich war. Heutzutage werden ihre Aussagen und Handlungen viel mehr von der breiten Masse akzeptiert und gelten schon fast als vorbildlich. Ich glaube, dass jeder Bands und Künstler hat, zu denen er aufgrund ihrer Arbeit aufschaut, was wieder etwas anderes ist.
Martin: Es gibt mit Sicherheit Künstler, die ich professionell gesehen in hohem Maße respektiere. Allerdings habe ich keine Vorbilder. Ich tendiere mehr dazu, meinen eigenen Regeln zu folgen und aus meinen eigenen Fehlern zu lernen.

Der Sexismus in der Musikindustrie ist ziemlich beständig. Habt ihr das Gefühl, dass sich die Situation langsam zum Guten verändert?
Lauren: Wir können uns glücklich schätzen, dass die Leute, mit denen wir täglich zu tun haben, so ticken wie wir. Sie haben die gleichen Ansichten und glauben an uns und unsere Musik. Entsprechend nehmen wir leichtfertig sexistisches Verhalten in unserem direkten Arbeitsumfeld nicht wahr. Das kommt häufiger vor, wenn wir mit Leuten von außerhalb agieren. Ich finde es gut, dass das Thema viel mehr Aufmerksamkeit in den letzten Jahren erhalten hat. Es wird viel mehr in Interviews und öffentlichen Foren darüber diskutiert, gleichzeitg hat sich die Welt im letzten Jahr aber auch nicht magischweise zum Guten gewendet. Wie mit den meisten Dingen muss man dieses Problem einfach immer wieder thematisieren – immer und immer wieder. Vielleicht ändert sich die Situation ja, vielleicht auch nicht, aber zumindest hat man seinen Teil dazu beigetragen und zwar so, wie man das wollte. Falls sich das so anfühlt, als würde man gegen eine ganze Armee kämpfen, war das die eigene Entscheidung. Ich bleibe einfach dran … Es ist frustrierend. Ich wünschte, ich hätte eine optimistischere Antwort dafür.

Ich habe vor einigen Monaten mit Biffy Clyro gesprochen und sie meinten, dass Schotten für ihren Fleiß, Einfallsreichtum und generell als industrielle Nation bekannt seien. Inwiefern passen Chvrches in diese Beschreibung?
Martin: Ich halte unsere Herkunft für absolut unabstreitbar. Wir weisen all diese Eigenschaften auf, vor allem den Fleiß. Wir haben generell eine positive Einstellung, sind aber auch selbstironisch. Das kommt vielleicht daher, wie sich die Schotten schon seit jeher gegenseitig unterstützen (lacht). Sie sind ein einzigartiger Schlag Mensch und wir passen sehr gut in dieses Bild. Für ein solch kleines Land gibt es dort sehr viele kreative Menschen.

Biffy Clyro erwähnten auch, dass sich Schotten oftmals als Außenseiter fühlten, da Schottland einfach eine kleine Nation ist, die am Zipfel von England hängt. Musstet ihr aufgrund eurer Herkunft härter für euren Erfolg arbeiten?
Iain: Das ist sehr wahr und entspricht dem schottischen Temperament total. Wir fühlen uns definitiv als Außenseiter gegenüber England oder London. Auf der anderen Seite arbeiten wir dadurch auch umso mehr. Es gibt uns regelrecht die Einstellung: „Wen interessiert’s schon? Einen Versuch ist es wert.“ Ich glaube aber nicht, dass das einen großen Einfluss auf Chvrches hat, obwohl wir, wie Martin gerade gesagt hat, unweigerlich schottisch sind. So sind wir nun mal. Es ist in unserem Blut und ich hoffe, das kommt in unserer Musik heraus. Ich glaube nur nicht, dass unsere Herkunft Einfluss auf unseren bisherigen Erfolg hatte. Vor allem heutzutage ist es egal, woher man kommt, da die Musik über das Internet verbreitet und sich über Blogs ausgetauscht wird.

Ihr befindet euch inmitten einer riesigen Tour, die euch nach Europa auch noch nach Amerika führt. In einigen Städten, wie New York und Washington, spielt ihr gleich mehrere ausverkaufte Shows. Macht euch das manchmal ein wenig Angst?
Martin: Nein (grinst, Iain lacht über seine Antwort). Es ist einfach nur ein Job und es ermutigt uns, irgendwo hinzureisen, wo wir zuvor so viel Arbeit hineingesteckt haben. Letztes Jahr waren wir vier Mal in Amerika und genauso oft kehren wir dieses Jahr zurück. Es spornt uns total an zu sehen, wie sich die harte Arbeit auszahlt. Hättest du uns die gleiche Frage vor eineinhalb Jahren gestellt, wäre unsere Antwort wahrscheinlich anders ausgefallen.

Euer Debütalbum wurde über euer eigenes Label Goodbye Records und Universal veröffentlicht. Wie funktioniert das genau?
Martin: Wir handelten Goodbye Records in der Phase aus, in der wir zwischen verschiedenen Plattenverträgen abwägten. Es ist ein Imprint, eine Marke, die wir besitzen, deren Output in die Plattenfirma hineinfließt, bei der wir unter Vertrag stehen. Dieser Imprint könnte aber auch eigenständig existieren, sodass wir Bands unter Vertrag nehmen und der Öffentlichkeit vorstellen können. Quasi eine Plattform zur Wertschätzung von Musik. Falls es uns ein Künstler wirklich antut, wie jetzt eben SOAK, können wir nun einfach die ersten Veröffentlichungen herausbringen und zwar auf einer völlig transparenten und fairen Basis. Wir wollen, dass junge Bands von unseren Erfahrungen lernen.

Herzlichen Dank an CHVRCHES für das nette Gepräch.
Das Interview führte Ines Punessen.