Kino Rezension Einer nach dem anderen

Neu im Kino

/

Diese Woche steht unser Kinorundblick ganz im Zeichen des hohen Nordens. Denn wir stellen euch zwei überaus empfehlenswerte skandinavische Filme vor, bei denen sowohl die Freunde bitterbösen Humors wie auch die harter zwischenmenschlicher Dramen auf ihre Kosten kommen.

„Einer nach dem anderen“
Kennen wir jemals unsere Kinder? Diese Frage müssen sich Nils Dickman (Stellan Skarsgård) und seine Frau Gudrun (Hildegard Riise) stellen, als ihr Sohn Ingvar eines plötzlichen Drogentodes stirbt. Während Gudrun sich ihrer Trauer hingibt, ist für Nils klar: „Unser Sohn war kein Junkie!“ Womit er auch recht hat: Was als Heroinmissbrauch getarnt wurde, war in Wirklichkeit ein vom Drogenbaron „Der Graf“ (Pal Sverre Valheim Hagen) in Auftrag gegebener Mord. Als Nils davon entfährt, beschließt er den Tod seines Sohnes zu rächen und jeden zu töten, der damit zu tun hat. Was eine ganze Menge ist, bald schon türmen sich in der schwedischen Einöde die Leichenberge.

[display_video youtube=-jOsBx1mezA]

Schon der englische Alternativtitel „In order of disappearance“ – in Anlehnung an das aus Abspännen bekannte „In order of appearance“ – zeigt, dass das mörderische Treiben hier mit viel Humor gesehen wird. Bei jedem Ableben, auf wessen Seite dieses sich auch zutragen mag, wird mit einer netten, kleinen Todesanzeige quittiert. Und davon gibt es im Lauf der knapp zwei Stunden eine ganze Menge. Hält sich „Einer nach dem anderen“ bei den ersten Morden noch relativ eng ans Genrehandbuch, werden diese später zunehmend absurder, sowohl was die Umstände als auch die Häufigkeit betrifft. Die Komik des Films zieht sich aber nicht nur aus den wahnwitzigen Tötungsakten, sondern auch an den zahlreichen skurrilen Figuren. Ein Faible für trockenen und zynischen Humor ist hier also Grundvoraussetzung. Ist das der Fall darf hemmungslos gelacht werden. Die Charaktere gehen in dem Wahnwitz zwar ein wenig unter, allein schon weil sie selten lange überleben. Abgesehen von Nils, der bis zum Schluss – auch aus Mangel an Alternativen – Identifikationsfigur bleibt, hat kaum jemand Gelegenheit, zu einem tatsächlichen Menschen zu werden. „Einer nach dem anderen“ ist dennoch ein bitterböser und bitterkalter Spaß, der nicht zuletzt aufgrund der vielen atemberaubenden Aufnahmen der norwegischen Winterlandschaft absolut sehenswert ist.

Wertung: 8 von 10


Regie: Hans Petter Moland // Darsteller: Stellan Skarsgård, Pal Sverre Valheim Hagen, Bruno Ganz, Birgitte Hjort Sørensen, Jakob Oftebro // Kinostart: 20. November 2014


 

„Höhere Gewalt“
Einige Tage ausspannen können, Ski fahren, endlich wieder Zeit für einander haben – das war das erklärte Ziel von Ebba (Lisa Loven Konsgsli) und ihrem Mann Tomas (Johannes Bah Kuhnke). Und zunächst scheint ja auch alles zu passen: Das schwedische Paar genießt die majestätische Ruhe der französischen Alpen. Doch die ist urplötzlich vorbei, als beim Mittagessen eine kontrollierte Lawine gefährlich nahe kommt. Während Ebba sich instinktiv um ihre beiden Kinder kümmert, bringt sich Tomas erst einmal selbst in Sicherheit. Am Ende ist alles halb so schlimm, ein wirkliches Risiko bestand nicht. Dennoch ist danach nichts mehr, wie es war, die egoistische Reaktion des Familienvaters belastet die Beziehung der beiden schwer, zumal sich Tomas sein Verhalten auch nicht eingestehen mag.

[display_video youtube=iCOLG1RtgGA]

Kurz ist sie, diese besagte Lawinensequenz, keine fünf Minuten lang. Und doch ist sie der Schlüsselmoment, der die restlichen knapp zwei Stunden komplett bestimmen wird. Das liegt zum einen daran, dass sie selbst fantastisch in Szene gesetzt wurde. Und auch wenn der Schrecken schnell vorbei ist, vergessen ist er nicht, die urplötzliche existenzielle Bedrohung hallt anschließend noch immer nach, mal ausgesprochen, mal auch nicht. Die aus der Balance geratene Beziehung verdeutlicht „Höhere Gewalt“ nicht nur in harten Dialogen, sondern auch in den kleinen Szenen: beim Zähneputzen, beim Umziehen, beim Skifahren. Doch dieses Unvermögen, einen Weg aus der Krise zu finden, belastet im weiteren Verlauf auch den schwedischen Film selbst. Gerade im letzten Drittel finden sich immer mehr Szenen, die in keinem rechten Bezug zur Grundgeschichte stehen. Und noch ein Manko haftet dem ansonsten sehr starken Film an: die Tendenz zur Verallgemeinerung, was Geschlechtereigenschaften angeht. So oder so, Thema und Figuren regen zum Nachdenken an. Darüber, wie man sich wohl selbst in einer solchen Situation verhalten hätte. Ob es diesen grundsätzlichen Unterschied gibt zwischen Mann und Frau. Gleichzeitig aber auch, wie unterschiedlich zwei Menschen ein und dieselbe Erfahrung erleben können.

Wertung: 7 von 10


Regie: Ruben Östlund // Darsteller: Johannes Bah Kuhnke, Lisa Loven Kongsli, Kristofer Hivju, Fanni Metelius // Kinostart: 20. November 2014