Papercuts Rezension curt München

Gehört: Papercuts – „Life Among the Savages“

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Es gibt wohl kaum etwas Demütigenderes, als nach einer Wunde am Finger gefragt zu werden und zugeben zu müssen, dass der Schnitt durch Papier verursacht wurde. Kein Messer, kein Kletterunfall, sondern das Umblättern einer Seite. Aber keine Sorge, auf Demütigungen sind Papercuts nicht aus, und gefährlich kann man deren Arbeit auch nicht nennen.

Vielmehr verdanken wir den Jungs aus San Franciso fluffig-feinen Dreampop, der auf seinem Weg zu uns an vielen prominenten Stellen halt macht: Velvet Underground als Startpunkt dürfen nicht fehlen, auch Mojave 3 sagen brav Hallo und irgendwo in der Ferne sieht man MGMT auf einer Wolke dahinschweben.

Und das gilt dann natürlich auch für „Life Among the Savages“, das mittlerweile fünfte Album von Mastermind Jason Quever und seiner wechselnden Begleitband. Ein kurzes Vergnügen ist es, gerade mal 37 Minuten und 9 Tracks zeigt der CD-Player an. Etwas schade, dass nach dreijähriger Wartezeit nur eine längere EP raussprang. Aber vielleicht ist das sogar besser so. Denn auch wenn hier durch die Instrumente immer wieder Akzente gesetzt werden – die beständigen Drums beim Opener „Still Knocking At The Door“, die Streichereinlagen von „New Body“ – hier fügt sich alles so harmonisch zusammen, ist so dicht ineinander gewoben, dass es kein Entkommen aus dem Wolkenreich gibt. Was auf Dauer hätte langweilig werden können, wird so zu einem wohligen Dämmerquickie.

Rhythmische Tribalgesänge oder wild-ursprüngliche Ausbrüche gibt es daher nicht, wenn sich Papercuts unter die Urvölker mischen. Selbst beim Titellied sieht man vor dem geistigen Auge keine Krieger, sondern Himmelsanbeter, die – leicht benebelt – das Göttliche am Horizont suchen.

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Das hat oft etwas Tröstliches an sich, wenn wir etwa beim ausgedehnten „Easter Morning“ verschlafen die Träume der letzten Nacht noch im Kopf haben oder dem gitarrenlastigen „Family Portrait“ aus dem vergilbten 60s-Buch. Doch gleichzeitig ist da, verborgen hinter den warmen Arrangements, oft auch Melancholie, vielleicht sogar Trauer. „I can’t find my way home“, singt Quever, wenn er auf dem elegischen Abschlusslied „Tourist“ noch ein letztes Mal über die Welt da unten hinwegsegelt. Die Suche nach dem Göttlichen ist so immer auch die Suche nach sicht selbst.

Dass Papercuts damit „Life Among the Savages“ abschließen und nicht etwa mit „Afterlife Blues“, das trotz seines Titels mit fröhlichen La-La-La-Gesängen und einem schwungvollen Grundrhythmus daherkommt, ist nur eines der Mysterien, die das Album umgibt. Ganz schlau wird man also nicht daraus, was das Leben bei den Ureinwohnern letztendlich bedeutet. Aber das macht nichts, so lange wir dafür solchen himmlichen Melodien lauschen dürfen. Und während wir auf dem dichten Klangteppich dahinschweben, spielt es dann sogar keine Rolle mehr, wenn wir einen demütigenden Papierschnittfinger zugeben müssen – denn zu dem Zeitpunkt sind wir längst in anderen Sphären unterwegs, wo uns keiner mehr sehen kann.

TEXT: Oliver Armknecht